Ende des Zweiten Weltkriegs„Mit der Befreiung im September waren größere Emotionen verbunden“

Ende des Zweiten Weltkriegs / „Mit der Befreiung im September waren größere Emotionen verbunden“
Die Ardennenoffensive erschütterte vor allem den Norden Luxemburgs Foto: leemage

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Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht – der Tag steht symbolisch für das Ende des Zweiten Weltkriegs und das Ende der nationalsozialistischen Vorherrschaft in Europa. Auch in Luxemburg hatten die Schrecken nun offiziell ein Ende. Das Tageblatt hat sich mit dem Historiker Christoph Brüll von der Universität Luxemburg über die Befreiung Luxemburgs, den 8. Mai 1945 und die unmittelbare Nachkriegszeit unterhalten.

Tageblatt: Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht, der Tag markiert das Ende des Zweiten Weltkrieges. Wie wurde dieser Tag in Europa und speziell in Luxemburg aufgenommen?

Christoph Brüll: Der 8. Mai 1945 ist natürlich der symbolische Tag, an dem die Waffen schwiegen. Wir wissen, dass es zwei Kapitulationszeremonien gegeben hat: In Reims für den Westen und in Berlin-Karlshorst für die Sowjetunion, die ihren Feiertag am 9. Mai begeht. Das deutet auch auf zwei verschiedene Deutungen hin, die das Datum erfahren hat. Einerseits der Westen, wo der Tag als Tag der Befreiung angesehen wird, und andererseits Osteuropa, wo der Tag in vielen Ländern eben auch dafür steht, danach für etliche Jahrzehnte in Unfreiheit unter kommunistischen Regimen und sowjetischen Einfluss gefallen zu sein. 

Der 8. Mai 1945 ist jedoch auch in Westeuropa keinesfalls ein unproblematisches Datum. An diesem Tag haben französische Truppen im algerischen Sétif mit einem mehrtägigen Massaker begonnen, das zwischen 15.000 und 40.000 Opfer forderte. Der 8. Mai steht also auch für die Kolonialkonflikte, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzten und die auch wieder gewaltsame Formen annehmen konnten. 

Für die kleineren europäischen Länder und speziell die Benelux-Länder ist der 8. Mai der Tag, an dem man sich sicher sein konnte, dass die deutsche Bedrohung nicht mehr zurückkehren konnte. Das war schon mehrere Monate seit dem Scheitern der Ardennenoffensive klar, aber hier war es jetzt offiziell. 

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Luxemburgs Existenz und Souveränität nicht mehr infrage gestellt, was eine Errungenschaft der Exilregierung war. Das war alles andere als sicher, als sie sich ins Exil begeben hat. Das ist für das Selbstverständnis Luxemburgs sehr bedeutend. Das bedeutet nicht, wie in der Vergangenheit oftmals behauptet wurde, dass Luxemburgs Identität hiermit gefestigt war. Die ist immer im Fluss. Aber die Frage der Souveränität wurde nunmehr weder im Inland noch vom Ausland gestellt.

In erinnerungskultureller Hinsicht ist es auch ganz interessant zu sehen, dass der 8. Mai in Frankreich und in Belgien zum Beispiel – im Gegensatz zum 11. November (11. November 1918: Waffenstillstand des Ersten Weltkrieges) – nicht immer ein gesetzlicher Feiertag war. In diesem Jahr ist er in der Bundesrepublik Deutschland einmalig ein gesetzlicher Feiertag, auch wenn man es aufgrund der aktuellen Umstände kaum wahrnehmen wird. Am Datum des 8. Mai lässt sich also auch die Geschichtspolitik der Regierungen in Westeuropa ablesen.

Wie wird denn der 8. Mai 1945 verglichen mit der Befreiung im September 1944 in Luxemburg wahrgenommen?

Es ist natürlich ganz klar, dass mit der Befreiung im September größere Emotionen verbunden waren. Emotionen, die in jede Richtung ausschlugen: Freude einerseits über das Ende der deutschen Besatzung, aber auch Zorn, der sich Bahn brechen konnte gegenüber Kollaborateuren. Es gab einfach eine ganz andere emotionale Intensität im September 1944. Vieles war ja auch noch unsicher, z.B. das Schicksal vieler Luxemburger, die in der Wehrmacht kämpfen mussten.

Dazu kam, dass Luxemburg noch immer besetzt war, wenn auch dieses Mal freundschaftlich von den Amerikanern. Tatsächlich ist es so, dass sich im Norden Luxemburgs, ähnlich wie in der belgischen Provinz Luxemburg und Teilen der belgischen Provinz Lüttich, die Befreiung durch die Amerikaner in der Erinnerungskultur in puncto Straßennamen und Denkmäler sehr deutlich niedergeschlagen hat. Dies hängt natürlich eng mit der amerikanischen Rolle bei der Abwehr der deutschen Ardennenoffensive ab dem 16. Dezember 1944 zusammen.

Der 8. Mai 1945 hat diese emotionale Verbindung nicht mehr, auch wenn es in vielen Ländern große Kundgebungen zum Kriegsende gegeben hat. Diesen eher offiziellen Charakter sieht man z.B. darin, dass die Großherzogin nach ihrer Rückkehr durch die Gebiete im Ösling gereist ist, die als Folge der Ardennenoffensive wieder aufgebaut werden mussten.

Wie wurde die deutsche Besatzung in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgearbeitet ?

Mit der Befreiung im September 1944 und im Frühling 1945 brachen natürlich sehr viele Konflikte auf. So auch zwischen der „Unioun“, also dem Zusammenschluss der Widerstandsorganisationen, und der aus dem Exil zurückgekehrten Regierung, die sich nicht unbedingt großer Popularität erfreute. Es gab einige, die das Verlassen des Landes der Regierungsmitglieder als Flucht betrachteten. Es entbrannte also ein Konflikt um die Frage, wer jetzt legitimiert ist, politische Macht in Luxemburg auszuüben: Diejenigen, die die staatliche Kontinuität im Ausland gesichert hatten, oder die Widerstandsorganisationen, die in ihrem Selbstverständnis für die Unabhängigkeit Luxemburgs und gegen die Deutschen gekämpft hatten. 

Dann traten ebenfalls Konflikte auf, die man heute als Opferkonkurrenz beschreiben würde. Das sind die Streitpunkte zwischen den Widerstandsorganisationen auf der einen und den Zwangssoldaten auf der anderen Seite. Hier sind wir mitten in den Opfererzählungen, die den luxemburgischen Diskurs über den Zweiten Weltkrieg in der Öffentlichkeit jahrelang dominiert haben und dies teilweise immer noch tun.

Das Wiltzer Krankenhaus nach der Ardennenoffensive
Das Wiltzer Krankenhaus nach der Ardennenoffensive

Im vergleichenden internationalen Kontext kam es dann in Luxemburg, genau wie in anderen Ländern auch, zu der sogenannten „épuration“, der strafrechtlichen Verfolgung von Kollaborateuren. In Luxemburg wurde hier sehr streng vorgegangen, die Zahl der Verurteilungen liegt im internationalen Durchschnitt recht hoch. Es wurden zwölf Todesurteile erteilt, acht davon wurden vollstreckt. Die „Unioun“ hat es damals auch geschafft, dass es kaum zu Lynchjustiz gekommen ist. Meines Wissens hat es in Luxemburg vier Lynchmorde gegeben, was in Anbetracht der Emotionen nach der Befreiung doch recht gering ist. Dazu kam dann die „épuration administrative“, bei der das Verwaltungspersonal und die Beamtenschaft auf ihre Haltung während des Krieges überprüft wurden. Bei dieser wurde allerdings weit weniger streng vorgegangen, sodass man schon eher von einer Weißwaschung sprechen muss. Auch hier tut sich also ein Spannungsfeld zwischen der strengen strafrechtlichen Verwaltung und der Weißwaschung in der Verwaltung auf, die auf die bisher für Luxemburg noch kaum erforschten Elitenkontinuitäten verweist. Auch gegenüber deutschen Kriegsverbrechern fielen die Urteile vergleichsweise milder aus.

Neben der Verfolgung von Kriegsverbrechern und Kollaborateuren gibt es aber auch zahlreiche Inklusionsmaßnahmen, z.B. die Ehrung von Widerstandskämpfern. Daraus konnten auch wieder Konfliktfelder resultieren wie derjenige zwischen Widerstandskämpfern und Zwangsrekrutierten um die  Ehrenauszeichnung „mort pour la patrie“.

Wie ging es poltisch mit Luxemburg weiter?

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellen sich zahlreiche Parteien auch neu auf. Aus der Rechtspartei wurde ja die CSV, mit einem breiteren, aber immer noch stark katholischen Profil und aus der Arbeiterpartei wurde die LSAP. Es gab ja dann im Herbst 1945 Neuwahlen, um die politische Macht neu zu begründen, schließlich waren Parlament und Regierung seit der Vorkriegszeit im Amt und bedurften dringend einer neuen demokratischen Legitimierung durch Wahlen. Das Resultat war dann eine Allparteienregierung unter Einschluss der Kommunisten bis 1947. Für viele westeuropäische Regierungen der unmittelbaren Nachkriegszeit ist eine gewisse Nervosität kennzeichnend – die man in Luxemburg an der Verhaftung von fünf angeblichen Putschisten im August 1946 sehen kann.

Wie sah das luxemburgische Verhältnis zu den Bundesländern und späterhin der Bundesrepublik Deutschland in der unmittelbaren Nachkriegszeit aus?

Luxemburg war im Ersten und im Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzt, wenn auch die Haltung gegenüber den Besatzern in beiden Kriegen durchaus unterschiedlich war. Es gab nach Kriegsende 1945 sehr offensichtliche Ressentiments gegenüber den Deutschen im Nachkriegsluxemburg. Da bildet Luxemburg auch keine Ausnahme im internationalen Vergleich. Die Frage ist dann, wie man daraus eine politische Position entwickelt. Das oberste Ziel der Luxemburger Politik war kaum überraschend, dass eine erneute deutsche Aggression unbedingt vermieden werden musste. Zudem tat sich recht schnell nach Kriegsende ein neues Feindbild auf: der sowjetische Kommunismus und die Sowjetunion.

Luxemburg drängte, ähnlich wie Belgien und die Niederlande darauf, sich regional zusammenzuschließen. Der erste Zusammenschluss war natürlich ein Produkt der Exilregierungen, das war Benelux. Der zweite Punkt war natürlich, dass Luxemburg in wirtschaftlichen Fragen bereits eng mit Belgien verbunden war durch die „union économique belgo-luxembourgeoise“, die ja weiterhin funktionierte. Recht schnell kam dann eine sicherheitspolitische Dimension hinzu. Diese konkretisierte sich im Frühjahr 1948 mit dem Brüsseler Pakt zwischen den Benelux-Staaten, Frankreich und Großbritannien. Damit hatte Luxemburg auch die Abkehr von seiner Neutralitätspolitik offiziell verankert.

Opfererzählungen dominierten jahrelang den luxemburgischen Diskurs über den Zweiten Weltkrieg

Christoph Brüll, Historiker

Die Benelux-Länder haben dann auch versucht, bei der Zukunft Deutschlands ein Wörtchen mitzureden. Das hat man versucht, indem man seit 1945 Soldaten nach Deutschland entsandte, es gab ja auch luxemburgische Soldaten in der französischen Zone. Politisch relevant war diese Präsenzpolitik schlussendlich eher nicht, das war dann doch eher Benelux, auch wenn die Haltung der drei Länder gegenüber Deutschland doch sehr unterschiedlich war. Ein erster Erfolg war jedoch die Tatsache, dass man im Frühling 1948 bei der Londoner Sechsmächtekonferenz mitreden und seine Vorstellungen präsentieren durfte.

Und auch hier tat sich demnach ein weiteres Spannungsfeld auf: Einerseits gab es sicherheitspolitische Bedenken gegenüber dem Nachbarn und andererseits waren die westdeutschen Zonen und später die Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Handelspartner für die Beneluxländer. Die deutsch-luxemburgischen Beziehungen sind deshalb auch nur in diesem westeuropäischen und internationalen Kontext zu verstehen.

Wie ist Luxemburg den wirtschaftlichen Wiederaufschwung angegangen?

Luxemburg stand nach dem Krieg vor der Herausforderung, seine Wirtschaft zu diversifizieren. Man musste das Monopol der Stahlproduktion im Süden des Landes aufbrechen, andererseits sah man sich mit der Entwicklung konfrontiert, dass die Landwirtschaft und die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft im Niedergang waren. Hinzu kam, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1948 einen Koksmangel hatte, was die Produktion relativ stark dämpfte. Man hat dann auch recht schnell nach dem Zweiten Weltkrieg, also um 1949, damit begonnen, ausländische Unternehmen anzuwerben.

Luxemburg war nach 1947 natürlich auch Teil des Marshall-Plans und kam in den Genuss der amerikanischen Gelder. Diese wurden hauptsächlich in große Infrastrukturprojekte gesteckt wie zum Beispiel die Kanalisierung der Mosel, die Elektrifizierung der Eisenbahn und natürlich der Wiederaufbau der zerstörten luxemburgischen Gebiete.

Inwiefern hat sich Luxemburg beim Wiederaufbau der Wirtschafts- und Handelswege mit seinen Nachbarländern koordiniert?

Die  Wirtschaftspolitik war zu diesem Zeitpunkt noch immer eine stark nationale Angelegenheit. Die Handelspolitik wurde natürlich stark verändert, dadurch dass die belgisch-luxemburgische Wirtschaftsunion wieder funktionieren durfte und dass zu diesem Zeitpunkt die Benelux und die Zollunion entstanden. Man verfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Abbau von Handelshemmnissen, die in den 50er Jahren mit der EGKS natürlich noch einmal eine andere Dimension erfuhr. Man verfolgte ganz klar eine Politik der Öffnung, aber durchaus im nationalen Interesse und sah im Abbau von Zoll und Handelshemmnissen das geeignete Mittel.

Wie ordnet sich das politische Feld in Luxemburg mit dem Aufkommen des Kalten Krieges?

Mit dem „Groupement patriotique et démocratique“ trat eine Partie auf den Plan, die das Erbe eines Teils des Widerstands vertrat. 1951 geht daraus die Demokratische Partei hervor. Das Wichtigste ist, dass mit der DP und der LSAP nun zwei weitere Parteien nebst CSV bereit waren, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die LSAP war erstmals 1938 an einer Regierungsmehrheit beteiligt und es war im Rahmen der sozialistischen Parteien immer umstritten, ob eine Regierungsbeteiligung das richtige Mittel war, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Das stand nun nicht mehr infrage. Die LSAP wurde auch zu einer staatstragenden Partei.

Dann war da natürlich noch die Kommunistische Partei, die nicht die gleiche Zahl der Mitglieder hatte und noch immer mit Moskau identifiziert wurde. Je länger der Kalte Krieg jedoch dauerte, je mehr sich ein virulenter Anti-Kommunismus in der luxemburgischen Gesellschaft durchsetzte. Hierzu gibt es ein sprechendes Beispiel: 1945 hatte man in Luxemburg-Stadt den Boulevard de la Pétrusse in Boulevard de Stalingrad umbenannt. Diese Umbenennung wurde dann 1956 nach der Zerschlagung der Proteste in Ungarn wieder rückgängig gemacht. Der Verweis darauf, dass es eben nicht nur die westlichen Alliierten waren, die zur Befreiung Luxemburgs und Europas vom NS-Regime beigetragen hatten, sondern an maßgeblicher Stelle auch die Rote Armee und damit die Sowjetunion, wurde der neuen Logik des Kalten Krieges und dem antikommunistischen Konsens, der sich in vielen westeuropäischen Ländern durchsetzte, geopfert.

J.Scholer
9. Mai 2020 - 8.37

Adi: Gerechnet an den Toten, Verstümmelten, den Sachschäden waren die Zeiten des „ Cold War“ peanuts.

Antoine
8. Mai 2020 - 15.45

W.e.g. erspuert eis daat ganzt matt der grossherz. Famill. Et ass nämlech fir datt et engem schlecht get, wann denen hir groussarteg Leeschtungen emmer erem opgedescht gin, an wann een dann bedenkt waat aaner Leit richtech erliewt hun!! Ech waar leschtens an engem klengen Duerf am Westen vum Land op eng Gedenktafel gestouss, wou vum Doud vun 3 (also dréi!!!) Bridder bericht get!! Onvirstellbar daat Leed!! An dann get emmer vun denen aaner do geschwaat, déi jo an Amerika an Canada baal wéi an enger Vakanz waren.

Adi
8. Mai 2020 - 12.42

Ende des Zweiten Weltkriegs = Anfang des Kalten Kriegs