Deutschland / Mit dem Grünen Robert Habeck im Norden auf Wahlkampftour

Robert Habeck, der Nicht-Kanzlerkandidat der Grünen, dürfte zumindest die Freiheit genießen, nicht die Nummer eins zu sein (Foto: AFP/Gregor Fischer)
Während Annalena Baerbock versucht, sich aus den Fehlern ihrer Kandidatur herauszuarbeiten, ist Robert Habeck in Schleswig-Holstein unterwegs. Dabei reist die Frage mit, ob er der bessere Grünen-Kanzlerkandidat gewesen wäre.
Mit der Badehose am Timmendorfer Strand ist das so eine Sache. Ob Grün-Schwarz oder Grün-Rot-Gelb oder Grün-Rot-Rot? Die Farben des Textils wären Robert Habeck in diesem Fall egal. Nur: Wo kommt sie her? Aus China? Aus Bangladesch? Mussten Kinderhände für Europas Bademode nähen? Das sind die Fragen, die den Grünen-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl interessieren. Die Welt ist kompliziert. Lieferketten schaffen Abhängigkeiten, wie die Pandemie zuletzt gezeigt hat. Und wer, wie die Grünen, die Transformation der Wirtschaft in Richtung einer klimaneutralen Produktion im Auge hat, der achtet auf die Bedingungen, unter denen etwa eine Badehose hergestellt wird. Das sollen auch die rund 400 Zuhörer verstehen, denen Habeck in Travemünde die Folgen ihrer Entscheidung bei dieser Bundestagswahl für globale Produktionsketten erklärt. „Ja, moin, genauso stell‘ ich mir das vor“, grüßt er noch erfreut eine Schar Möwen über seinem Kopf, die kreischend seine Ausführungen über die Weltpolitik kommentiert.
Der Grünen-Co-Vorsitzende, der in diesem Frühjahr sehr schweren Herzens die erste Kanzlerkandidatur in der Geschichte seiner Partei seiner Kollegin Annalena Baerbock überlassen hat, ist auf dem zweiten Teil seiner Küstentour in seinem Heimatland Schleswig-Holstein unterwegs. Habeck will seinen Wahlkreis in Flensburg-Schleswig gewinnen und damit direkt in den Bundestag einziehen. Am Timmendorfer Strand wird den 51-Jährigen zwei Stunden später übrigens die Badehose überhaupt nicht mehr interessieren. Es schüttet aus Kübeln. Ein Wolkenbruch. Die Kundgebung steht knapp davor, regelrecht ins Wasser zu fallen. Aber Habeck lässt sich weder Regenschirm noch Regenjacke noch sonst einen Schutzumhang reichen. Ein Wahlkämpfer muss Stürme aushalten, wie nicht zuletzt Kanzlerkandidatin Baerbock nach diversen – auch selbst verschuldeten Patzern – erfahren musste. Habeck bleibt trotz Starkregens auf dem kreisrunden Podium, das schwarze Hemd bis auf die Haut durchnässt. Habeck weiß, dass Bilder starke Botschaften senden können. Kandidat mit Schirm – das wäre ja noch schöner. Bloß nicht. Als nach 15 Minuten der Regen aufgehört hat, sagt er trocken: „Danke, dass ihr durchgehalten habt.“ Der Applaus gehört ihm.
Reden ist sein Handwerk
Habeck, der Spitzenkandidat der Grünen in Schleswig-Holstein ist, spricht hier an der Ostsee über das Meer und die Freiheit, über alte und neue Landwirtschaft, über erneuerbare Energien, über den Klimaschutz, der streng genommen gar keiner sei, weil es eigentlich darum gehe: „Wie schützen wir uns Menschen vor der Erderwärmung?“ Ja klar, er wisse schon, dass die Grünen gerne als „Verbotspartei“ und als „Besserwisser“ verschrien seien. Stimmt aber nicht: „Wir sind die Verantwortungspartei.“ CSU-Chef Markus Söder soll endlich die Windkraft installieren und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet von der Haltung abrücken: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern.“ Denn wenn es um die Erderwärmung und den Umbau der Wirtschaft auf erneuerbare Energien gehe, dann gelte: „Wir haben einen immensen Zeitdruck. 2040 ist politisch quasi morgen.“
Habeck zählt zu jenen Typen in der Politik, die man zu jeder Uhrzeit bei jedem Wetter auf jede Bühne stellen kann. „Politik ist ja vor allen Dingen reden“, sagt er in Neustadt/Holstein, als er mit Jakob Brunken einen Zimmermann von der Insel Fehmarn vorstellt, der für die Grünen in den Bundestag will. Das Plenum brauche mehr Handwerker. Reden kann Habeck. Sein Handwerk. Er liefert aus dem Stand eine Mischung zu beinahe jedem Thema (auch über US-Milliardäre im All) aus seriösen Inhalten und augenzwinkernder, manchmal selbstironischer Unterhaltung. Nach den Fehlern in der Kampagne seiner Co-Vorsitzenden Baerbock kam schon die Debatte auf, ob Habeck womöglich nicht der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre. Aber wer weiß, welche Fehler Habeck unter dem massiven Druck der Öffentlichkeit gemacht hätte. Aber großes Indianer-Ehrenwort, Winnetou in Bad Segeberg sei Zeuge: Ein eventueller Tausch der Kanzlerkandidatur von Baerbock an Habeck habe zu keinem Zeitpunkt zur Debatte gestanden.
Mir tut es leid, Baerbock wird keine Chance habenwird erstmals im Leben nicht CDU, sondern Grüne wählen
Grüne sollen Finanzen machen
In Travemünde schwärmt etwa Barbara Suck (75) aus Ahrensbök von dieser „Was wäre, wenn …-Option“. Suck und ihr Mann, ehemals mit einem Malereibetrieb selbstständig, haben ihr Leben lang CDU gewählt. Aber jetzt seien mal die Grünen dran. Angela Merkel war für Suck ein Garant. Und nun? „Mir tut es leid, Baerbock wird keine Chance haben.“ Habeck sei eindeutig der Stärkere, rhetorisch besser, sagt sie. Eine Wahlkampfstation weiter sagt etwa Anton Zucchet (67), nein, beide Grünen-Kandidaten hätten ihre Stärken. Man möge Baerbock nicht unterschätzen. Habeck sei „vielleicht rhetorisch besser, aber Baerbock kann sich sehr schnell in Themen einarbeiten“. In Neustadt/Holstein sagt Brigitta Grüllich (78), klar, „wegen der Emanzipation“ sei sie für Baerbock gewesen. Sie werde auch eine gute Vize-Kanzlerin – „ganz bestimmt, aber mehr ist nicht drin“. Kanzler oder Kanzlerin? „Da könnte ich mir Herrn Habeck sehr gut vorstellen.“ Der Kandidat selbst hat ja einmal gesagt: „Nichts wollte ich mehr, als diesem Land als Kanzler zu dienen.“ Aber daraus wird zumindest jetzt nichts.
Ich und mein Laden hoffen, dass wir in die nächste Regierung kommen
Habeck dankt den Urlaubern, dass sie für eine Stunde ihre schönste Zeit des Jahres unterbrochen haben, um ihm zuzuhören, mit ihm zu diskutieren. In Lübeck haben Zuschauer 60 Fragen an ihn eingereicht, in Travemünde binnen kürzester Zeit 30 Fragen. So geht das an jeder Station. Die kann er in diesen Minuten ohnehin nicht alle beantworten. Er sagt: „Ich und mein Laden hoffen, dass wir in die nächste Regierung kommen.“ Prestigeträchtiges Außenamt oder einflussreiches Finanzministerium? Habeck würde seiner Partei zum Finanzministerium raten, weil man so die Transformation besser steuern könnte. Die Zuhörer könnten helfen: „Geben Sie uns viel Kraft und Stimmen, dass wir wenigstens Teil der Regierung werden.“ Sollte jemand am Wahl-Sonntag noch unentschlossen sein, hat Habeck einen Tipp: „Machen Sie kurz die Augen zu, dann wieder auf, und dann ihr Kreuz an der richtigen Stelle.“ Die Möwen kreischen. Hier ist der Norden. Heimspiel. Hier wird er verstanden. Doch „Geschichte schreiben“, wie er über die Bedeutung dieser Bundestagswahl an seinen Wahlkampfstationen sagt, kann er nur woanders. Und dazu muss er nach Berlin. Habecks Geschichte.
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