GroßbritannienMiese Stimmung beim Parteitag der Konservativen in Birmingham

Großbritannien / Miese Stimmung beim Parteitag der Konservativen in Birmingham
Der britische Finanzminister Kwasi Kwarteng (l.) und Premierministerin Liz Truss beim Parteitag der Torys in Birmingham: Nicht nur in der Opposition mehren sich bereits Rufe nach einem Rücktritt – der beiden Foo: Oli Scarf/AFP

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Selten war die Stimmung schlechter bei einem Parteitag der britischen Konservativen. Erst vor knapp vier Wochen war die neue Premierministerin Liz Truss ins Amt gekommen. Die Jahreskonferenz in Birmingham sollte zum Jubelfest für die Nachfolgerin von Boris Johnson werden. Doch dann hatte der Mini-Haushalt des Schatzkanzlers Kwasi Kwarteng vor zehn Tagen eine veritable Finanzkrise ausgelöst.

Kwartengs radikale Steuersenkungspläne auf Pump und ohne Gegenfinanzierung gefielen den Finanzmärkten überhaupt nicht: Der Pfundkurs rauschte in den Keller, und die Kosten für die staatliche Kreditaufnahme schossen in die Höhe, weil massenhaft britische Staatsanleihen abgestoßen wurden. Ebenfalls in den Keller fielen die Umfragewerte für die Regierungspartei. Um 33 Prozentpunkte liegen die Konservativen zurzeit hinter Labour, und mehr als die Hälfte der Briten wünscht sich einen Rücktritt der frisch gebackenen Premierministerin Liz Truss.

Und so erfolgte am Montag eine spektakuläre Kehrtwende. Liz Truss hatte noch am Sonntag betont, sie sei „absolut entschlossen“, ihre Steuersenkungspläne durchzusetzen. Tags darauf musste ihr Finanzminister den umstrittensten Teil zurücknehmen: Der Spitzensteuersatz von 45 Prozent, der auf Einkünfte über 150.000 Pfund gezahlt werden muss, wird nun doch nicht gestrichen. Denn die geplante Entlastung hatte einfach zu unverschämt ausgesehen. Die Reichsten im Lande zu entlasten, während den Ärmsten die Sozialhilfe gekürzt wird, kam tatsächlich nur bei dem einen Prozent der Briten gut an, die in diese Steuerklasse gehören. Für alle anderen war es politisch nicht vermittelbar.

„Wir haben es verstanden“, schrieb Kwarteng daher am Montag in einem Statement auf Twitter, „wir haben zugehört.“ Der Streit um die Abschaffung des Spitzensteuersatzes sei zu einer „großen Ablenkung“ geworden und hätte die anderen Komponenten seines Haushaltes überlagert. Daher würde er im Einvernehmen mit der Premierministerin diesen Schritt zurücknehmen. An den anderen Teilen seines „starken Pakets“ werde allerdings festgehalten. Dazu gehört, dass die geplante Erhöhung der Körperschaftssteuer ebenso gestrichen wird wie die Erhöhung der Sozialversicherungsabgabe. Der Basissteuersatz wird um ein Prozent gesenkt. Zudem wird es Lockerungen bei der Grunderwerbssteuer geben, und die Obergrenze für Banker-Boni wird aufgehoben. Die Streichung des Spitzensteuersatzes hätte für den Fiskus Mindereinnahmen von zwei Milliarden Pfund bedeutet. Jetzt belaufen sich die restlichen Steuersenkungen immer noch auf ein Volumen von 43 Milliarden Pfund.

Rufe nach Rücktritt

Kwarteng geriet am Montag unter massiven politischen Druck. Rufe nach seinem Rücktritt wurden laut, und die kamen sowohl von Parteifreunden hinter vorgehaltener Hand wie von der Opposition. Labour forderte, dass die Regierung „ihre gesamte ökonomische und diskreditierte Trickle-Down-Strategie zurücknimmt“. Darunter versteht man die thatcheristische Annahme, dass der Wohlstand der Reichsten zu den unteren Gesellschaftsschichten „herunterrieselt“ und zu Wirtschaftswachstum führt. Rachel Reeves, die Schatzkanzlerin im Schattenkabinett, sagte im Hinblick auf die durch die Finanzkrise ausgelösten Zinssprünge, dass Kwartengs Kehrtwende „zu spät für die Familien kommt, die jetzt höhere Hypotheken und Preise für die nächsten Jahre zahlen müssen“.

Ob der Schritt des Schatzkanzlers die Märkte beruhigt, muss abgewartet werden. Das Pfund, das gegen den Dollar auf einen Tiefstwert gefallen war, erholte sich leicht am Montagmorgen. Doch der eigentliche Test wird am 14. Oktober kommen, wenn die Zentralbank (BoE) ihr Notfallprogramm zum Ankauf britischer Staatsanleihen, das sie in der letzten Woche urplötzlich auflegen musste, beenden wird. Bis dahin muss der Schatzkanzler die Finanzmärkte davon überzeugen können, dass er sein Steuersenkungspaket fiskalisch verantwortlich gestalten kann. Es wird erwartet, dass Kwarteng dafür die Ausgabenpläne der Regierung beschneidet. Im Gespräch sind Effizienzeinsparungen bei verschiedenen Ministerien und Kürzungen bei der Sozialhilfe.