Menschen wie wir (4): Bei Tania Brugnoni hat jeder Gegenstand seine Geschichte

Menschen wie wir (4): Bei Tania Brugnoni hat jeder Gegenstand seine Geschichte

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Tania Brugnoni, 43, leitet den Creative Hub 1535°, den Schmelztiegel kreativer Energien, in Differdingen. Sie sitzt in den Verwaltungsräten von Radio 100,7 und der „Rockhal“, sie verhilft in der RTL-Success-Story erfinderischen Jungunternehmern zum Durchbruch und interessiert sich sehr für das Projekt „Esch 2022“. Sie mag ihre Vespa, Verreisen und Venedig. Kraft und Inspiration schöpft die alleinerziehende Mutter einer Tochter aus dem Spannungsfeld zwischen intellektueller und manueller Arbeit.

Von Marco Goetz mit Fotos von Alain Rischard

Früher Abend in Differdingen. Eine ruhige Straße, Kinder spielen auf dem Bürgersteig. Warmes Licht fällt auf eine geschmackvoll renovierte Fassade.

Das Haus von Tania Brugnoni aus dem Jahr 1917 wirkt einladend. Holztreppe und bunte Fliesen im Flur. Alles original. Im Wohnzimmer liegt Parkett. Tochter Maya schaut fern. In der Küche steht eine Kiste mit „Pane carasau“, einer Spezialität aus Sardinien. Über dem Esstisch aus Holz baumelt eine Lampe. Die Vergangenheit als Straßenlicht sieht man ihr nicht an.

„In diesem Haus hat jeder Gegenstand eine Geschichte“, erklärt Tania. Es gibt viel zu entdecken. Schränke, Stühle, Skulpturen, Fotografien, Zeichnungen und Bilder. Vieles hat sie vom Sperrmüll gerettet. Und dann repariert und renoviert: „Selbst ist die Frau“, sagt sie, nicht ohne Stolz. Gelernt ist gelernt. Würde auch passen, denn Tania ist ausgebildete Restauratorin, Konservatorin und Antiquarin.

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Menschen wie wir

Die Studienjahre in Florenz haben sie geprägt. In vielerlei Hinsicht. Zunächst aber muss sie sich in der Familie durchsetzen. Sie ist 19. Will Gas geben und mit ihrem Toyota Starlet nach Italien fahren. Die Großmutter unterstützt sie. Die anderen bremsen. Tania fährt – und lernt, in Florenz angekommen, erst einmal die Sprache des Geburtslandes ihres Vaters. „Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen, sie ist Luxemburgerin“, erzählt Tania.

Mit 19 nach Italien

Leidenschaft für Kunst und das Schöne, Harmonische entwickelt sie früh. Bei einer Reise nach Rom. Mit ihrem Vater. Sie ist 12 und begeistert von der Doppelkirche auf der Piazza del Popolo: „Da gingen mir die Augen auf!“ Sie schwärmt – heute noch. Mit 15 schenkt die Mutter ihr ein Lexikon der Malerei. „Ich habe das ganze Buch auswendig gelernt.“

Tania hat eine angenehme Stimme. Zwischen 5 bis 12 Jahren singt sie mit ihrer Schwester im Chor „D’Léiweckercher aus dem Kordall“. „Beim Singen oder Musikhören kann ich alles andere vergessen“, betont sie und fügt hinzu, dass sie sich, wenn sie etwas bedrücke, ein Lied in Endlosschleife und „laut, bis die Ohren platzen“ anhöre.

In ihrem Garten findet sie Entspannung. Der körperlichen Arbeit wegen. Aber auch weil sie nachdenken und langfristig planen muss, der Natur ausgeliefert ist und nie genau weiß, was die Ernte bringen wird. Dieses Spannungsfeld braucht sie im Leben.

Sie erwähnt, dass sie von Herzen gerne Vespa fahre: „Das sorgt für Durchzug – auch im Kopf.“ Mit der Vespa gelangt sie auch zu ihrem Arbeitsort. Bevor sie zur Direktorin des Creative Hub 1535° ernannt wird, arbeitet sie in der Kulturplanung der Gemeinde. „Chargée de cours“ im Lyzeum ist sie übrigens auch mal gewesen. Und Museumsführerin.

Tania erzählt. Die Zeit vergeht. Kartoffelchips sind alle. Tochter Maya bekommt Spätzle mit Butter und Speck. Richtig Spaß bereitet das Kochen ihr allerdings nur gemeinsam mit anderen Menschen: „Kochen als Zelebration“, so nennt sie es.

Italien sei ihr Lieblingsreiseziel. Dabei unterscheidet Tania zwischen Verreisen und Urlaub machen. Das eine heißt Museen und Kirchen besichtigen – Tochter Maya weiß ein Lied davon zu singen –, das andere ist „dolce far niente“ – oder fast. Denn an Tintoretto, dem Renaissance-Genie aus Venedig, kommt sie selten vorbei.

Erinnerungsstücke

Kunst- und Reisebücher besitzt sie eine Menge. Eine ganze Wand voll. Krimis mag sie nicht so gerne. Romane, ja. Aktuell: Amélie Nothomb. Ab und an liest auch sie Predigten. Von Papst Franziskus, zum Beispiel. Dann überprüft sie, wie die Presse darüber berichtet. Das macht sie auch bei anderen Themen. Sie streitet nicht ab, eine kritische Leserin zu sein.

Kino mag sie auch. „Superjhemp“? „Ein richtig luxemburgischer Film“, kommentiert sie. Jetzt steht Weihnachten vor der Tür. Für Tania eine Zeit der Besinnung und des Teilens: „Viel Zeit mit der Familie zum Beispiel.“ Die dogmatische Seite des Festes interessiert sie weniger. In den Buchrücken der Bibliothek spiegeln sich die Lichter des Weihnachtsbaums wider. Der Baum sei Mayas Wunsch, so Tania: „Ich versuche allerdings, den Dekorationsalbtraum zu reduzieren.“ Das passt zu ihrem mit Erinnerungstücken so reich geschmückten Haus.

Im Flur fällt vor allem ein Foto auf. Ein nicht besonders großes. Eine Gruppe von Grubenarbeitern. „Das ist mein Urgroßvater, der kurze Zeit später, beim Unglück 1918 in der Thillenberg-Mine, ums Leben gekommen ist“, erklärt sie. Jung sieht er aus. Jung und ohne Zukunft.

Was wünscht Tania sich fürs neue Jahr? „Dass es ruhiger wird!“ Einen Traum hat sie auch: „Zurück an die Uni, besser verstehen lernen, wie die Welt tickt.“