Ende der TabuisierungMein Leben nach dem Suizidversuch: Ein junger Luxemburger erzählt

Ende der Tabuisierung / Mein Leben nach dem Suizidversuch: Ein junger Luxemburger erzählt
Ein Gespräch kann in einem Krisenmoment dein Leben retten Foto: Caritas

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Wie fühlt es sich an, einen Suizidversuch zu überleben? Wie reagieren Familie und Freunde? Und was hilft wirklich, um die Krise zu bewältigen? Ein Gespräch mit einem Betroffenen.

„Du denkst in diesem Moment nicht nach. Du tust es einfach und du bereust es sofort.“ So beschreibt Felix Wagner (25)* seinen Suizidversuch. Auch wenn er die Tat als Kurzschlussreaktion beschreibt, so habe er die Entscheidung dennoch zehn Jahre mit sich herumgeschleppt. „Dazwischen ging es mal besser, mal schlechter. Aber es sind auch immer wieder Sachen passiert, die mich aus der Bahn geworfen haben. Irgendwann wird es zu viel“, erklärt der junge Mann. Wagner konnte sich wieder zurück ins Leben kämpfen. Doch in unserem Gespräch wird schnell klar, dass dieser Weg nicht leicht war.

Die Schwierigkeiten begannen bereits während seines Krankenhausaufenthalts. „Hilfe nach einem Suizidversuch in Luxemburg ist inexistent“, bewertet Wagner seine Betreuung nach dem Selbstmordversuch. Der junge Luxemburger wird nach einem gescheiterten Suizidversuch in die Psychiatrie des „Centre hospitalier de Luxembourg“ (CHL) eingewiesen. Gut aufgehoben fühlt er sich dort nicht. „Es fängt damit an, dass du davon ausgehst, dass du nach einem Suizidversuch in deiner Muttersprache Hilfe im Krankenhaus bekommst“, erklärt der Betroffene.

„Doch all die Therapien waren nur auf Französisch. Was habe ich also gemacht: Ich habe mich die ganze Zeit in meinem Zimmer eingeschlossen.“ Auf seinen Rückzug habe das Personal nur begrenzt reagiert. Es sei ab und an vorbeigekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Einige der Patienten, die zur selben Zeit als Wagner in der Psychiatrie waren, hätten sofort nach ihrer Entlassung einen weiteren Suizidversuch unternommen.

Endlich darüber reden

Dabei hatte sich Luxemburg mit dem ersten „Suizidpräventionsplan“ von 2015-2019 viel vorgenommen. Die Hilfeleistung für Menschen mit Selbstmordgedanken sollte verbessert werden. Wagner empfindet allerdings nicht, dass die Situation sich verbessert hat: „Meiner Erfahrung nach hat sich überhaupt nichts verbessert, absolut nichts. Wenn man wirklich Hilfe möchte, bekommt man gesagt, dass man ins Ausland gehen muss.“ Auch wer im Vorfeld Hilfe sucht, hat es nicht leicht. Vor allem, weil Psychologen nicht von der Krankenkasse bezahlt werden und eine Sitzung sehr viel Geld kostet. „Dann gehst du nicht hin, weil es zu teuer ist und du bleibst halt weiter krank“, bedauert Wagner.

Auch die Reaktionen der Familie waren für den Betroffenen nicht immer leicht. „Die haben es zu Beginn überhaupt nicht verstanden. Aber das ist so bei älteren Generationen. Die kennen nur den Spruch ‚was dich nicht umbringt, macht dich stärker‘“, erzählt der junge Mann. Nach einem intensiven Gespräch hätte seine Familie ihn aber besser verstanden und versucht, ihn aufzufangen. Doch dazu gehört auch, dass Felix Wagner ihnen erklärt, dass Aussagen wie „es geht schon wieder, morgen ist ein anderer Tag“ überhaupt nicht hilfreich sind.

Seine Freunde hätten zudem ganz unterschiedlich darauf reagiert. Während einige schockiert oder traurig gewesen seien, waren andere wiederum wütend auf den jungen Luxemburger. Viele seiner Freunde hätten den Vorfall scheinbar nach einigen Monaten wieder vergessen. „Es ist, als sei es nie passiert, weil es keine sichtbare Krankheit ist.“

Wagner hat eine Erklärung für dieses Verhalten: Suizid sei in Luxemburg immer noch ein Tabuthema, das man unter den Tisch kehren wolle. Diese Ignoranz gegenüber Suizid empfindet der junge Mann als falsch: „Ich finde, es sollte kein Tabuthema sein und man sollte unbedingt darüber reden.“ Laut Wagner müsse Luxemburgs Gesellschaft aufhören, sich für Suizidgedanken zu schämen. Der junge Luxemburger ist davon überzeugt, dass Suizid kein Tabu mehr sei, wenn die Menschen mehr über diese Problematik diskutieren würden. Dadurch könnten viele Menschen möglicherweise von einem Suizidversuch abgehalten werden, da sie sich endlich trauen würden, sich zu öffnen: „Reden hilft einfach.“

* Name geändert

Hilfsangebote bei Suizidgefahr

Der Umgang von Medien mit dem Thema Selbstmord ist sehr heikel. Sensible Berichterstattung kann jedoch auch präventiv wirken. Hast du Suizidgedanken? Dann wende dich bitte an folgende Rufnummern:
SOS Détresse: (+352) 45 45 45
Kanner-Jugendtelefon: 116 111
Informative Seite zum Thema: https://www.prevention-suicide.lu/de/ 

Een den keng Tomaten op den Aen huet
10. Februar 2020 - 23.14

Jede Grippe, jeder Schnupfen ist äusserlich erkennbar. Er wird in der Gesellschaft akzeptiert! Depressionen sind äusserst schwere Erkrankungen die genau so tödlich wie Krebs oder ein Infarkt sein können. Aber sie wird von der Gesellschaft regelrecht ignoriert! Dabei sind die seelischen Narben mindestens so schmerzhaft und können genau so invalide machen wie z.b. ein Infarkt! Aber selbst die Krankenkasse bietet nur bedingte und begrenzte Möglichkeiten zur Heilung an!

Sandra
10. Februar 2020 - 22.17

Bei Reseau Psy Esch sind die Psychologen gratis da sie vom Ministere bezahlt werden

Loreena
8. Februar 2020 - 18.56

Psychische Krankheiten haben gerade in Luxemburg noch immer ein Akzeptanzproblem. Die fehlende Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkassen trägt ihren Teil dazu bei : Wenn es die Kasse nicht zahlt, ist es keine "richtige" Krankheit. Dass man sich bei einer Depression für seine "schlechte Laune" noch entschuldigen muss, dass psychische Erkrankungen bei Teenagern einfach auf die Pubertät geschoben werden, dass Betroffene durch die Tabuisierung oft jahrelang selbst nicht wissen, dass ihre Krankheit einen Namen hat, dass das Thema selbst innerhalb einer Familie totgeschwiegen wird, weil man sich für die Betroffenen schämt, all dies ist immer noch mehr die Norm als die Ausnahme.

Lucilinburhuc
8. Februar 2020 - 8.24

”Suizid sei in Luxemburg immer noch ein Tabuthema, das man unter den Tisch kehren wolle.". Stimmt. TB war die einzige Zeitung, die einen (einzigen) Artikel publizierte mit Vermerk der Todesursache zum Ableben von Eugene Berger.