SpanienManhattan am Mittelmeer: Wieso in Benidorm die Zukunft des Massentourismus liegen könnte

Spanien / Manhattan am Mittelmeer: Wieso in Benidorm die Zukunft des Massentourismus liegen könnte
Benidorm: Vor 70 Jahren noch ein Fischernest, das vom Thunfischfang lebte – heute die europäische Stadt mit der größten Wolkenkratzerdichte pro Quadratkilometer Foto: AFP/José Jordan

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Urlaub zwischen Wolkenkratzern und am überfüllten Strand? Das gefällt nicht jedem, aber Benidorm hat trotzdem seine Fans. Zudem klatschen Umweltschützer Beifall. 

Die Skyline, die schon bei der Anfahrt über die Autobahn aus kilometerweiter Entfernung in Sicht kommt, erinnert an New York: Ein Wolkenkratzer neben dem anderen ragt hoch in den blauen Himmel. Im Hintergrund, zwischen den Straßenschluchten, funkelt in der Sonne das türkisblaue Meer. Ein Kontrast, der Benidorm auch den Beinamen „Manhattan am Mittelmeer“ einbrachte.

Gerade ist ein neues und atemberaubendes Hochhaus in dieser Betonlandschaft im Osten Spaniens fertiggestellt worden. Der Apartmentriese „Intempo“, der mit 198 Metern laut Eigenwerbung „das höchste Wohnhaus Spaniens“ ist. Auch die Bauzeit ist mit 14 Jahren rekordverdächtig. Was allerdings damit zu tun hat, dass der erste Bauherr kurz vor der Vollendung pleiteging und ein neuer Investor gefunden werden musste.

47 Stockwerke hoch, 256 Wohnungen, alle haben Meerblick. Mit Infinity-Pool, Spa und Restaurant im obersten Stockwerk. Und High-Speed-Aufzügen, die in weniger als einer Minute an die Spitze des Doppelturms rasen. Die teuersten Wohnungen ganz oben, im Himmel von Benidorm, kosten weit mehr als eine Million Euro, hört man.

„Dieser Wolkenkratzer wurde zum Symbol für die Spekulation und den Immobilienboom“, kommentiert der öffentliche spanische Fernsehsender TVE das Gigantenwerk. Ein Boom, der noch immer nicht zu Ende ist. Sieben weitere Wohn- und Hotelhochhäuser werden derzeit in Benidorm gebaut oder geplant.

Wachstum in die Höhe reduziert Flächenverbrauch

Das urbanistische Konzept dieser Stadt, die 40 Autominuten nördlich vom Urlauber-Airport Alicante entfernt liegt, ist am ganzen Mittelmeer einzigartig: Benidorm wächst vor allem in die Höhe, aber kaum in die Breite, das reduziert den Flächenverbrauch. Bisher hat diese Ferienstadt aus himmelstürmenden Konstruktionen bereits 27 Turmbauten, die höher als 100 Meter sind.

Nicht nur die Aussicht aus dem obersten Stockwerk des neuen Intempo-Gebäudes, das einen Steinwurf vom langen Poniente-Sandstrand entfernt aufragt, ist schwindelerregend. Auch wenn man unten an der Playa im Sand liegt, beeindruckt der Stahlbetonriese: „Wenn du nach oben guckst, hast du das Gefühl, dass die Türme auf dich drauffallen“, sagt die spanische Urlauberin Nieves González, die neben ihrem Mann am Strand in der Sonne brät.

Vor allem Spanier drängeln sich in diesem Sommer in Benidorm, das Spaniens bekannteste und meistbesuchte Urlaubsbadestadt ist. Die Briten, die normalerweise hier in Scharen einfallen, sind in diesem zweiten Covid-Sommer nur eine kleine Minderheit. Deutschsprachige Touristen verirren sich auch in normalen Zeiten eher selten in dieses Mekka des Massentourismus, in dem das ganze Jahr über Betrieb herrscht: Im Sommer kommen Familien und junge Leute, im Winter vor allem Rentner.

Der Ort ist nichts für Touristen, die Einsamkeit suchen. Die Sonnenschirme stehen an den urbanen Stränden so dicht, dass man aus der Vogelperspektive den Sand nicht mehr sieht – dagegen ist Mallorcas vielbesuchter Strand Playa de Palma geradezu idyllisch. Wenigstens 70.000 Touristenbetten gibt es in Hotels und Apartmentblocks. Die allermeisten Betten sind in diesen Spätsommertagen belegt.

Verschiedene Gäste kommen vier- oder fünfmal im Jahr – irgendetwas Attraktives muss diese Stadt dann ja wohl haben

Toni Pérez , Bürgermeister

Wer einen Platz am Strand mit Sicht aufs Wasser haben will, muss früh aufstehen. Die ersten rammen morgens um sieben, noch vor dem Frühstück, ihre Sonnenschirme in den Sand, um sich ihr Territorium zu sichern. Auch wer in einem Lokal speisen oder in einer Bar eine Sangria trinken möchte, muss meist Schlange stehen, um einen Tisch zu bekommen.

Dass Kritiker Benidorm als öde Betonwüste bezeichnen, wischt Bürgermeister Toni Pérez vom Tisch: Der Erfolg dieser Ferienstadt, die niemals schläft und in der auch im Winter Sonne und milde Temperaturen locken, spreche für sich. „Wir haben Gäste, die kommen vier- oder fünfmal im Jahr und in verschiedenen Jahreszeiten“, sagt er. „Irgendetwas Attraktives muss diese Stadt dann ja wohl haben.“

Vor 70 Jahren noch ein Fischernest

Vor 70 Jahren war Benidorm noch ein Fischernest, das vom Thunfischfang lebte. Doch als die Netze leerer wurden, kam dem damaligen Bürgermeister Pedro Zaragoza der rettende Einfall: Benidorm sollte zum spanischen Musterort für Sonnen- und Strandurlaub werden. Und zwar mit einem Bebauungsplan, der das Wachstum in unbegrenzter Höhe erlaubte. Das Ergebnis: Benidorm gilt heute als die europäische Stadt mit der größten Wolkenkratzerdichte pro Quadratkilometer.

Diese Kulisse mögen nicht alle schön finden, doch das Experiment am Mittelmeer findet den Beifall von Städteplanern und sogar von Umweltschützern. Durch diese urbane Konzentration in der Höhe werde weniger Landschaft zubetoniert. Und es gebe weniger Energie- sowie Wasserverbrauch. Auch die Transportwege seien geringer, weil alles nah beieinander liege. „Benidorm“, bekräftigt ein Sprecher der örtlichen Architektenvereinigung, „ist sehr viel nachhaltiger als andere Orte“.

Observer
28. August 2021 - 8.10

Massentourismus, ein Leckerli für Corona Viren!