Alain spannt den BogenMal mehr, mal weniger Dynamik: OPL, Jean-Guihen Queyras und Krystian Zimerman

Alain spannt den Bogen / Mal mehr, mal weniger Dynamik: OPL, Jean-Guihen Queyras und Krystian Zimerman
Gustavo Gimenos kühler und analytischer Gestus wurde vom OPL perfekt umgesetzt, was der Interpretation eine ungemeine Dichte und lebendige Dynamik verlieh Foto: Eric Devillet

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Zwei der weltbesten Solisten waren in dieser Woche zu Gast in der Philharmonie. Der einzigartige Cellist Jean-Guihen Queyras, der immer wieder durch aufregende Interpretationen begeistert, und der introvertiertere Krystian Zimerman, der zweifelsohne zu den größten Pianisten der Gegenwart gezählt werden darf.

Wie seine Komponistenkollegen Bela Bartok und Zoltan Kodaly war auch der junge György Ligeti an der Volksmusik aus dem Balkan interessiert. „1949/50 hielt ich mich in Rumänien auf, studierte am Folklore-Institut in Bukarest, dann nahm ich teil an mehreren Reisen zum Aufzeichnen von teils rumänischer, teils ungarischer Volksmusik. Das vorliegende viersätzige Orchester-Konzert (mit Streicher- und Bläser-Soli) basiert auf einer Vielzahl rumänischer Volksmelodien, die ich aufgezeichnet habe, doch stammen sie überwiegend von Wachsrollen und Schallplatten aus dem Bukarester Folklore-Institut. In Covasint habe ich die gängigen harmonischen Wendungen der rumänischen Bauernmusik kennengelernt, die ich stilisiert im „Konzert“ verwendet habe.(….) Das „Concert Romanesc“ spiegelt meine tiefe Liebe zur rumänischen Volksmusik und zur rumänischsprachigen Kultur schlechthin wider.“ (György Ligeti, im September 2000)

Auf musikalischen Reisen mit dem OPL

Gustavo Gimeno und das Orchestre Philharmonique beschränkten sich in ihrer Interpretation aber nicht alleine auf die volkstümlichen Elemente. Gimeno nahm das Orchester sogar manchmal stark zurück, um aller Vordergründigkeit zu entgehen. Stattdessen legte er das Klangbild mit seinen vielen Nebenstimmen und Linien offen, sodass man als Hörer auch die innere Struktur des Stückes hören konnte.

Nach dieser Reise folgte dann das komplexe, aber enorm spannende Cellokonzert Tout un monde lointain von Henri Dutilleux, für mich eines der großartigsten Werke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die sehr ungewöhnliche Gegenüberstellung von Cello und Orchester ermöglicht dann auch eine eigene Dynamik und recht viel Spielraum zum Interpretieren. So formte der Cellist Jean-Guihen Queyras Dutilleux’ Musik mit einem großzügigen, warmen, ja manchmal sogar romantischen Klang. Der natürliche Atem seiner Phrasierung ließ die Musik sehr fließen und führte den Zuhörer in ungeahnte seelische Abgründe und fantastische Welten, die mich mehr als einmal an die surreale Atmosphäre eines Lovecraft erinnerten. Im Gegensatz zu Queyras’ eher rundem Spiel kontrastierte Gustavo Gimeno das Klanggeschehen mit einem eher nervösen, kühlen und analytischen Gestus, den das OPL hervorragend umsetzen konnte und der der Gesamtinterpretation eine ungemeine Dichte und lebendige Dynamik verlieh.

Nach der Pause führte uns diese musikalische Reise dann in den Orient. Mit seiner Scheherazade hat Nicolai Rimsky-Korsakow wohl die erste Filmmusik komponiert. In einem typischen Breitwandsound entwickelt der Komponist seine viersätzige Suite mit einem deutlich narrativen Charakter, ebenso klangprächtigen wie feinen Orientalismen und einer satten, üppigen Farbenpalette. Obwohl das kurzweilige Werk eher als gehobene Unterhaltungsmusik zu betrachten ist, beließ es Gustavo Gimeneno nicht bei einer plakativen und wirkungsvollen Interpretation. Wie schon beim Concert Romanesc interessierte er sich mehr für den musikalischen Inhalt als für das, was sich hinter der Melodienseligkeit versteckt. Und dort entdecken Gimeno und das exzellent disponierte und mit Freude aufspielende Orchester so manche klangliche Kostbarkeit. Mit geschickten Tempowechseln, einem Sinn für Nebenstimmen und insbesondere für musikalische Rhetorik ließ er den Hörer die Musik anders, vielseitiger und tiefgründiger erfahren, als dies üblicherweise im Konzertsaal der Fall ist.

Die neue Konzertmeisterin gibt ihren Einstand

So kann man bei diesem Konzert wieder einmal von einem Glücksmoment sprechen, bei dem sich auch die neue Konzertmeisterin des OPL, die Südkoreanerin Seohee Min, gleich zweimal beweisen konnte. Sowohl im Concert Romanesc von Ligeti wie auch in der Scheherazade von Rimsky-Korsakow begeisterte sie mit einem wundervollen Spiel und einer in allen Punkten makellosen Phrasierung. Min war 2. Konzertmeisterin beim Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, hat etliche Preise gewonnen und ist u.a. als Solistin unter Daniel Barenboim in der Carnegie Hall in New York aufgetreten. Ihre spielerische Qualität ist sicherlich ein Gewinn für das Orchester. Übrigens: Ihr Vorgänger Philippe Koch hat sein erstes Solo als Konzertmeister des damaligen RTL-Symphonieorchesters unter Leopold Hager ebenfalls in der Scheherazade absolviert. Ein Solo, das Koch als „das schönste, delikateste und eleganteste Violinsolo der Musikgeschichte“ bezeichnete.

Es fehlte an Feinschliff und Kommunikationsfreudigkeit

Wenn ein Star unter dem Titel „… & Friends“ auftritt – ein Begriff, den wir eher aus dem Jazz- und Rockbereich kennen als jetzt aus der Klassik – so ist damit meistens eine musikalische Session unter gleichwertigen Musikern gemeint, bei denen Kommunikation, Improvisation und Lebendigkeit großgeschrieben werden. Das war leider beim Konzert Krystian Zimerman & Friends am vergangenen Sonntag in der Philharmonie nicht der Fall. Eher routiniert und kommunikationsarm spulten die Musiker ihr Programm herunter, dabei verdienten die beiden Klavierquartette Nr. 2 & 3 von Johannes Brahms eine viel intensivere, nuanciertere Leseart, als das hier der Fall war.

Das Konzert begann mit dem Quartett Nr. 2 op. 26. Ab den ersten Takten spürte man, dass die Musiker das Werk an diesem Abend nicht so ganz im Griff hatten, vielleicht auch ihre Interpretation nicht mit der Akustik der Philharmonie in Einklang bringen konnten. Aber vor allem wirkten die drei Streicher als Ensemble nicht homogen. Am meisten störte das hektische, unsensible und raue Spiel der Violinistin Maria Nowak, die den Eindruck machte, diesen Konzertabend so schnell wie möglich hinter sich bringen zu wollen. Katazyna Budnik, Bratsche und Yuya Okamoto phrasierten wunderschön, aber leider persönlichkeitsarm und schienen immer hinter Nowak hinterzuhinken. Etwas besser wurde es nach der Pause mit dem Klavierquartett Nr. 3 op. 60. Erst ab dem 2. Satz Poco Adagio schienen die Musiker einen gemeinsamen Puls zu finden, wenngleich das unschöne, aufdringliche Spiel der Violinistin immer noch störte. Kristyan Zimermans Intonation war dagegen wie immer perfekt, voller wunderbarer Nuancen, dabei klar und dem Ausdruck der Musik verbunden. Leider schaffte er es nicht, bei diesem Konzert sein Ensemble zu einem Team zu formen. Wenig Begeisterung beim Publikum und nur kurzer Beifall zeigten, dass die musikalische Leistung an diesem Abend keinen wirklich gepackt hatte.