Booker PrizeMaaza Mengiste erzählt in „The Shadow King“ von Frauen im Abessinienkrieg

Booker Prize / Maaza Mengiste erzählt in „The Shadow King“ von Frauen im Abessinienkrieg
Die Schriftstellerin Maaza Mengiste

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In epischem Stil erzählt Maaza Mengistes zweiter Roman von einer jungen Sklavin, die nach der Invasion ihrer Heimat Äthiopien durch das faschistische Italien zur Widerstandskämpferin wird. Die historische Perspektive ist aufschlussreich, aber die Autorin trägt dick auf und die Wahl der Form ist nicht unproblematisch.

„The Shadow King“ beleuchtet ein wenig bekanntes Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg: Rund 40 Jahre nachdem die italienische Kolonisierung Äthiopiens gescheitert war, eroberte Benito Mussolini 1935 das afrikanische Kaiserreich und besetzte es bis 1941.

Maaza Mengiste legt ihren erzählerischen Schwerpunkt auf die Monate vor und nach dem Einmarsch der italienischen Truppen und die Widerstandsbewegung, die im Anschluss daran entstand. Die Figuren, zwischen denen die Erzählerin hin- und herspringt, finden sich auf beiden Seiten des Konflikts. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist jedoch eine junge äthiopische Magd.

Die Waise Hirut gelangt am Anfang in den Haushalt von Kidane, einem Freund ihrer Mutter. Vom Hausherrn wird sie misshandelt, von seiner jähzornigen Ehefrau Aster als Nebenbuhlerin verachtet. Als Verbündete bietet sich einzig die Köchin an, bis die drohende Invasion die sozialen Verhältnisse aufzuwirbeln beginnt.

Die Autorin nutzt den Abessinienkrieg, um eine langsame Verwandlung ihrer aufmüpfigen, aber unbedarften Protagonistin zur reifen Kämpferin zu beschreiben. Später wird Hirut unter anderem den „Shadow King“ bewachen, ein Double des ins Exil geflohenen Kaisers Haile Selassie, das den Widerstand vor Ort befeuern soll.

Zweifrontenkrieg

Der Krieg ist bei Mengiste sowieso immer gedoppelt: Es geht in „The Shadow King“ natürlich um den Guerillakrieg der Afrikaner gegen die übermächtigen Faschisten – mit alten Gewehren gegen modernes Kriegsgerät –, aber auch um einen Krieg der Geschlechter, der insbesondere weibliche Körper zum Schlachtfeld macht.

Kidane sammelt als Offizier in Haile Selassies Armee seine Männer und bittet die Frauen, sich um Verpflegung und Verwundete zu kümmern. Angeführt von Aster erheben diese allerdings den Anspruch, selbst ins Gefecht zu ziehen und aus dem Schatten ihrer Ehegatten und Söhne herauszutreten.

Auf italienischer Seite steht ihnen der Archetyp des Faschisten, Colonel Fucelli, gegenüber, zu dessen Umfeld auch seine bevorzugte Prostituierte Ferres – eine einheimische Spionin – und der jüdische Fotograf Ettore Navarra gehören, der die Entwicklungen in Europa aus der Distanz besorgt verfolgt. Viel später wird Hirut eine Kiste mit Ettores Aufnahmen, Briefen und weiteren Dokumenten besitzen, die von der Erzählerin auch in kurzen Kapiteln beschrieben und zitiert werden. Um eine präzise historische Rekonstruktion der Ereignisse in den 1930ern geht es Maaza Mengiste allerdings nur zum Teil.

Epische Gesänge

„The Shadow King“ ist ein Zitat aus Homers „Ilias“ vorangestellt, das das Vorhaben des Romans treffend beschreibt: „… hereafter we shall be made into things of song for the men of the future.“ Mengistes Projekt ist genauso ein episches wie ein historiografisches: Sie schreibt Kriegsgesänge über die Helden des Abessinienkriegs – nur, dass mit den „men of the future“ in diesem Fall Frauen mitgemeint sind und die Helden sich des Öfteren als Heldinnen erweisen. Zum stilistischen Arsenal der Autorin gehört auch ein Frauenchor, der das Geschehen regelmäßig kommentiert (ein paar Zeilen aus Aischylos’ „Agamemnon“ stehen ebenfalls auf der Mottoseite).

Augenscheinlich verfolgt der Roman das Ziel, eine neue Art von Kriegserzählung zu produzieren, aus der doppelt unterdrückten Perspektive der afrikanischen Frau, die er der von Homer begründeten Tradition entgegensetzt. Dabei handelt es sich allerdings um eine rein inhaltliche Umstellung; formal bleibt „The Shadow King“ zutiefst konventionell.

Es ist ein sprachgewaltiges und lyrisches Werk, allerdings auch ein langatmiges und weitschweifiges. Alles wird in eine hochdramatische Sprechweise eingekleidet und auf den über 400 Seiten hätte man auch den ein oder anderen Exkurs streichen können. Und obwohl die Autorin bemüht ist, ihre Figuren allesamt mit einer gewissen Zwiespältigkeit auszustatten, bleiben ihre Wege doch vorgezeichnet.

Was man bei „The Shadow King“ vermisst, ist eine tiefere Auseinandersetzung mit der Form epischen Erzählens. Hier wird zu sehr darauf vertraut, dass die Parteinahme für die zu Unrecht Vergessenen der Geschichte bereits eine gute Erzählung ausmacht, zu wenig darüber reflektiert, inwieweit der Heldengesang an sich auf fragwürdigen Voraussetzungen beruht, etwa mit Blick auf, was eine tugendhafte und lobenswerte Handlung überhaupt ausmacht. Das schmälert nicht Maaza Mengistes Verdienst, die äthiopischen Frauen und ihren Kampf gegen den Faschismus überhaupt ins Gespräch gebracht zu haben, es macht lediglich keinen durchgängig gelungenen Roman daraus.

Maaza Mengiste: The Shadow King. Canongate, Edinburgh 2020. 428 Seiten. 9,99 £