GesundheitLuxemburger sind EU-weit am häufigsten von Depressionen betroffen

Gesundheit / Luxemburger sind EU-weit am häufigsten von Depressionen betroffen
Laut dem Robert-Koch-Institut haben in Luxemburg viele Menschen mit Symptomen einer Depression zu kämpfen Symbolbild: dpa

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Das Robert-Koch-Institut hat am Mittwoch eine Studie veröffentlicht, aus der abzulesen ist, dass Luxemburger EU-weit am häufigsten von einer depressiven Symptomatik betroffen sind. Doch woran liegt das? Sind Luxemburger wirklich anfälliger dafür? Ein Experte erklärt, wie es möglicherweise zum negativen Spitzenplatz kommen konnte und wie es um die Depression in Luxemburg im Allgemeinen steht.

Nach langer Zeit haben die Eltern sich mal wieder für einen persönlichen Besuch angekündigt. Am Wochenende wollen sie nach langer Zeit ihre Tochter besuchen, um nach dem Befinden ihres selbstständigen und erwachsenen Kindes zu sehen. Die eigene Wohnung ist plötzlich sauber, der Freund ist an diesem Tag unterwegs und im Job läuft sowieso alles rund. Und dann, als die Mutter ihre Tochter in den Arm nimmt, wird die Frage gestellt: „Wie geht’s?“

Wann gab es auf diese Frage zuletzt ein „Mir geht’s richtig schlecht“ als Antwort? Im Büro, beim täglichen Gang zum Kaffeeautomaten, während der Zigarettenpause – die Frage nach dem Befinden ist wohl der einfachste Einstieg, um Smalltalk zu beginnen. Man erzählt den Kollegen vom tollen Wochenende – am Samstag mit dem Freund im Spa gewesen, am Sonntag waren die Eltern zu Gast. Doch die Wahrheit ist eine andere. Schwäche, Ängste – psychische Probleme. Dinge, die Betroffene oft nur für sich behalten.

Doch es geht längst nicht darum, seine psychischen Probleme mit dem ganzen Büro zu teilen, sondern eher darum, psychische Erkrankungen zu „normalisieren“. Denn handelt es sich um depressive Symptomatik, wird bestimmt gleich der Nächste im Büro seinen Kollegen sagen: „Ich wusste es schon immer, der ist verrückt.“ Oder: „Kein Wunder, der war von Anfang an schon komplett durchgedreht.“ Und wenn sich das erst mal bis in die Chefetage umspricht?

Luxemburg mit negativem Spitzenwert

Der Psychologe Claus Vögele doziert als Professor an der Universität Luxemburg – und sieht durchaus eine größere Offenheit für das Thema: „Wir können in der Gesellschaft eine fortgeschrittene Entwicklung aufweisen. Doch die Krankheit Depression hat bei weitem noch nicht das Standing, die sie haben sollte.“ Befreiend wäre es für die Betroffenen, endlich zugeben zu dürfen, unter Depressionen zu leiden. „Warum wird ein Herzinfarkt oder eine Krebsdiagnose als normaler angesehen als eine Depression?“, moniert der Professor.

Dabei ist das Thema gerade in Luxemburg alles andere als exotisch – jedenfalls einer kürzlich veröffentlichten Studie des Robert-Koch-Instituts zufolge: Demnach leiden die Menschen hierzulande im Vergleich zu anderen EU-Ländern am häufigsten unter depressiven Symptomatiken. 4.004 Luxemburger waren anonym zum Thema befragt worden. Demnach haben 10 Prozent der Befragten schon eine depressive Symptomatik erlebt. Kein anderes Land stellt einen höheren Wert, der Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten beträgt 6,6 Prozent.

„Ich stehe dem Ganzen eher skeptisch gegenüber“, sagt Claus Vögele. „Wussten die Befragten, was depressive Symptomatik bedeutet? Was versteht ein Italiener unter einer depressiven Symptomatik, was versteht ein Luxemburger darunter?“ Vögele war vor einigen Jahren zu Forschungszwecken in Indien. „Die Inder sagten, dass sie oft unter Kopfschmerzen leiden würden. Ich habe herausgefunden, dass sie damit sagen wollten, dass sie sich traurig fühlen. Was ich damit sagen will, ist, dass es in anderen Ländern oder Kulturen andere Verständnisse von Emotionen, aber auch von Krankheiten gibt. Auch innerhalb der EU.“

Während Traurigkeit in der Regel auf eine bestimmte Situation wie dem Verlust von geliebten Menschen oder des Arbeitsplatzes basiert, ist bei Depressionen ein solcher Auslöser nicht unbedingt erforderlich. Wer außerdem depressive Symptomatiken aufweist, leide nicht gleich unter einer Depression. „Es gibt sieben verschiedene Kriterien, die über einen längeren Zeitraum erfüllt werden müssen, um eine Depression nachweisen zu können.“ Zu diesen Symptomen zählen etwa eine verminderte Freude an den Dingen, die normalerweise Spaß bereiten, Müdigkeit oder Energieverlust an fast jedem Tag bis hin zu wiederkehrenden Todesgedanken.

Andere mediale Beeinflussung

„Ich nehme diese Studie nicht für bare Münze, auch wenn ich mich nicht genau mit ihr auseinandergesetzt habe“, sagt Vögele. Dennoch müsse es Gründe für die höchste Platzierung der Luxemburger geben. Warum also denken Luxemburger deutlich öfter, dass sie schon Symptome einer Depression hatten, als etwa die Tschechen – die laut der Studie mit 2,7 Prozent am wenigsten davon betroffen sind?

Vögele selbst arbeitete mit Kollegen des Luxembourg Institute of Health an einer Studie, die darauf abzielte, die Prävalenz depressiver Symptome in Luxemburg mit den damit verbundenen Risikofaktoren und geografischen Abweichungen zu untersuchen. „Die Prävalenz betrug 21,55 Prozent, was im Vergleich zu anderen europäischen Ländern unauffällig ist“, so der Psychologe. Einerseits ist es möglich, dass die luxemburgische Bevölkerung eine andere Auffassung von depressiven Symptomatiken hat, andererseits kann es auch sein, dass die Menschen in Luxemburg anders durch die Medien beeinflusst werden.

Der Selbstmord des deutschen Nationaltorhüters Robert Enke im November 2009, der unter Depressionen litt, war ein einschneidendes Ereignis: Seit 2009 wurden Depressionen mehr und mehr in der Öffentlichkeit thematisiert. Nun ist es kein Tabu-Thema mehr, doch die Krankheit wird in der Bevölkerung immer noch nicht wirklich wahrgenommen. „Wir müssen noch offener darüber sprechen. Das vereinfacht es auch für Betroffene. Wenn es um Depressionen geht, wird man zu oft noch als Irrer in die Ecke gedrängt. Das ist in keiner Weise gerechtfertigt.“

Zwei Aspekte waren an der Studie, an der der Professor arbeitete, auffällig: Erstens, dass die Menschen aus dem Südwesten des Landes eine höhere Prävalenz der Symptomatik aufwiesen. Zweitens, dass bei Einwanderern zweiter Generation die Häufigkeit signifikant höher als bei Nicht-Einwanderern war, unabhängig von sozioökonomischen und verhaltensbezogenen Merkmalen.

Die Krankheit normalisieren

Es gibt eine weitere Erklärung, warum Luxemburg in der Studie des RKI den Spitzenwert belegt: Ärzte diagnostizieren zu schnell Depressionen – bei jungen Menschen, aber besonders bei älteren Patienten. Oft werden angstlösende Medikamente über einen längeren Zeitraum verschrieben, die Probleme effizient und schnell aus dem Weg räumen sollen, ohne dabei aber auf gravierende mögliche Nebenwirkungen aufmerksam zu machen. Luxemburg ist im europäischen Vergleich der Verschreibung von Psychopharmaka weit vorn.

Es sei möglich, einen großen Bogen um Psychopharmaka zu machen, in Luxemburg sei der Griff in die Pillenschublade jedoch sehr nah, sagt Vögele. „Oft können Depressionen durch eine Psychotherapie behandelt werden, die zwar auch Nebenwirkungen mit sich bringen kann, aber nicht in der Form, wie es Psychopharmaka tun können.“

Geht es um psychische Erkrankungen, muss sich noch einiges ändern. Dafür ist aber nicht nur die Politik verantwortlich, sondern vor allem die Gesellschaft. Betroffenen würde ein anderer Umgang mit ihrer Krankheit das Leben erleichtern. Denn verlassen die Eltern wieder die Wohnung, wird sich der Zustand nicht verbessern: Bis zum nächsten Besuch wird die Wohnung nicht aufgeräumt und im Job läuft es wie immer: schlecht. Bloß keine Schwäche zeigen, nicht im Büro, nicht vor den Eltern.

Doch es wird Zeit, dass Depressionen endlich normalisiert werden. Denn sind diese Vorurteile und falschen Denkweisen gegenüber der Krankheit verschwunden, könnten sich Betroffene freier und wie „normale“ Kranke fühlen und behandeln lassen. Wie Menschen, die eine Erkältung auskurieren.

Miette
16. Dezember 2019 - 22.01

Mir liewen an engem Land, wou baal keen grouss Suergen em d'Iwerliewen huet, reng materiell gesinn. Awer mir liewen och an engem "kaalen" Land, wou vill Menschen sech net mei drem kemmeren, ob den Mensch deen der um Kaffisdech geintiwer setzt net grad immens traureg an doduerch emotional aarm drun ass.

de Schmatt
16. Dezember 2019 - 12.44

Depression: der Tribut den wir dem Wohlstand und den damit einhergehenden hohen Ansprüchen zollen.