Luxemburger Polit-Urgestein Astrid Lulling ist immer noch „von der Long op d’Zong“

Luxemburger Polit-Urgestein Astrid Lulling ist immer noch „von der Long op d’Zong“

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Sie lehrte mehrere Politikergenerationen das Fürchten. Nun erzählt Astrid Lulling in einer so eben erschienenen Autobiografie ihr Leben, ihre politischen Erfolge, ihre Version der Affären und Skandale, in die sie verwickelt war.

Als wir sie telefonisch kontaktieren, ist sie in Eile. Sie treffe sich mit ehemaligen Abgeordnetenkollegen zum Mittagessen. Sie fahre mit Jean Spautz in einem Auto. „Wir machen auf grün“, fügt sie spitzmündig hinzu. Auch vier Jahre nach ihrer politischen Zwangspensionierung hat Astrid Lulling (89) nichts an Schlagfertigkeit verloren.

Davon gibt sie nun eine gebündelte Ladung zwischen zwei Buchdeckeln verpackt feil. Wer das politische Urgestein kennt, wird sie sofort an ihrer Sprache erkennen – „vun der Long op d’Zong“. Das mag wohl auch die zunehmende Unruhe in CSV-Kreisen erklären, als die Veröffentlichung ihrer Autobiografie bekannt wurde, sagt sie.

Nein. Bloßgestellt wird im Buch niemand, fast niemand. Einige ihrer Lieblingsfeindinnen sind seit Langem bekannt. Sie verschont Lulling nicht. Andere politische Konkurrenten erwähnt sie, ohne sie frontal anzugreifen. Doch da der Ton bekanntlich die Musik macht …
Küche und Kochen seien noch nie ihre Stärken gewesen, sagt sie entschuldigend. Man merkt es, als sie uns zu Beginn unseres Gesprächs eine Tasse Kaffee reicht. Aber derlei Eigenschaften wurden von Astrid Lulling nicht erwartet, als sie 1949 ihre Arbeit bei der Gewerkschaft antrat. Als „Sekretärin“ des damaligen LAV-Bosses Antoine Krier war alles andere als Kaffeekochen gefragt. Sie habe ihm in allen wichtigen nationalen und internationalen Dossiers zugearbeitet. Sie habe Sitzungsberichte auf Basis seiner Notizen erstellt, Artikel in der damaligen Gewerkschaftszeitung „Aarbecht“ verfasst. Wegen ihrer Mehrsprachigkeit übersetzte sie bei internationalen Gewerkschaftertreffen. Sie war dabei, als Anfang der 1950er Jahre Gewerkschafter die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl diskutierten, dem Embryo der zukünftigen Europäischen Gemeinschaften.

Die zwei Jahrzehnte Syndikalismus, zuerst im LAV, der Vorgängerorganisation des heutigen OGBL, und später beim Europäischen Gewerkschaftsbund EGB, haben sie politisch geprägt, ihr weiteres sozialpolitisches Engagement und ihren Einsatz für Frauenrechte mitbestimmt.

Von ihrem gewerkschaftlichen Arbeitgeber Antoine Krier erbte sie jedoch auch dessen Antikommunismus, die Abneigung einer Zusammenarbeit mit der in jenen Jahren noch starken KPL. Sogar eine LSAP-KPL-Regierungskoalition Mitte der 1960er hätte die damalige Parteiführung um Henry Cravatte als Präsident und Fernand Georges als Vizepräsident befürchtet, schreibt Lulling.

Ausschluss und Spaltung

Ihre allzu reformistische Haltung bezahlen fünf LSAP-Abgeordnete, darunter Lulling, mit dem Parteiausschluss, was schließlich zur Spaltung der LSAP beitragen wird. Nicht sie habe diese verursacht, beteuert Lulling. Schließlich sei sie niemals Mitglied der Parteileitung gewesen.

Doch damit redet sie ihre Rolle im damaligen politischen Leben klein. Denn ausgerechnet an ihrer Person soll die Fortführung der damaligen DP-LSAP-Koalition von 1974-1979 gescheitert sein. Tatsächlich hätte sie 1979 zusammen mit Henry Cravatte als zweiten Abgeordneten der 1972 gegründeten „Sozialdemokratischen Partei Luxemburgs“ (SdP) eine zweite Auflage von Blau-Rot ermöglichen können. Da die LSAP jedoch keine Lulling duldete, sollte sie mit einem Botschafterposten in Straßburg aus der Landespolitik verbannt werden. Was sie ablehnte.

Lullings Autobiografie liefert eine Unmenge an Details zu parteiinternen Rangeleien, wie etwa den Kampf um den mitgliederstarken, sozialistisch gefärbten „Foyer de la femme“, dessen Präsidentin Lulling während 18 Jahren war.

Für Aufregung dürfte jedoch vor allem ihre Abrechnung mit politischen Gegnern sorgen. Vieles, was in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren in den Medien Seiten füllte, entzieht Lulling der Vergessenheit, genauso wie die Namen damaliger politischer Schwergewichte, an die sich heute niemand mehr erinnert. Dabei teilt sie aus, nach links und nach rechts.
Die von der LSAP verehrte Ex-Präsidentin Lydie Schmit zählte genauso wenig zu Lullings Freundinnen wie Viviane Reding heute. Ersterer wirft sie vor, immer wieder politische Wahlmandate abgelehnt oder lustlos ausgeführt zu haben, der zweiten zählt sie ihre politischen Fehlschläge in Straßburg auf. „Eigentlich eine Blamage für so eine prominente Politikerin, die 15 Jahre Mitglied, davon fünf Jahre Vizepräsidentin der EU-Kommission war“, schreibt Lulling zur misslungenen Kandidatur Redings auf einen der Vizepräsidentenposten im EP 2014.

Mit anderen noch heute aktiven Politikern geht sie sanftmütiger um. So, wenn sie aus einem „mit ‚MdB‘ unterzeichneten Artikel im Tageblatt“ (6.1.1982) zitiert. Darin hatte MdB, das Kürzel von Parlamentspräsident Mars di Bartolomeo als Tageblatt-Journalist, im Zusammenhang mit einer Baufirma-Affäre Lullings Rücktritt als Schifflinger Bürgermeisterin und Abgeordnete gefordert. Über den späteren freundlichen Umgangston MdBs ihr gegenüber zeigt sich Lulling noch heute erstaunt.

Für die CSV dürfte die Veröffentlichung der Autobiografie, rund drei Wochen vor den Parlamentswahlen, kaum ungünstiger ausfallen. Der Zeitpunkt sei Zufall, beteuert Lulling unschuldig. Doch so recht überzeugen kann sie nicht. Die Arbeit an den Memoiren begann sie kurz nach den Europawahlen 2014, an denen sie auf Geheiß ihrer Partei nicht teilnehmen durfte, und das obwohl sie seit 1984 der CSV einen Sitz in Straßburg gesichert hatte. Also doch die Revanche eines zutiefst verletzten Parteimitglieds?

Einen frontalen Angriff auf die CSV wagt Lulling nicht. Sie bedauert, dass heute die politischen Aussagen beliebig seien. Niemand traue sich mehr, dem Land die Wahrheit zu sagen. Womit sie auch ihre Partei einschließt. Ist Claude Wiseler der geeignete Spitzenkandidat? Ja, sagt sie ohne zu zögern, fügt aber sogleich hinzu, dass sich ein Luxemburger Premierminister ausgezeichnet in Wirtschafts- und Finanzfragen auskennen müsse. Wiseler studierte Literatur in Paris. Pierre Werner war ein Wirtschafts- und Finanzexperte, Juncker weniger, so Lulling. Auch Luc Frieden kenne sich aus.

Hätte man sie gefragt, sie hätte Frieden wohl zum Premierminister gemacht, und das bereits 2005, als Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident werden konnte. Doch das Amt lehnte dieser ab, obwohl auch sie ihn dazu ermunterte. 2009 habe sich dann niemand mehr getraut, Juncker die Ablösung nahezulegen. Wer es dennoch versuchte, sei kaltgestellt worden, so Lulling.

Alles, nur nicht Schwarz-Grün

Und die Konkurrenz? LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider findet sie gut. Er mache eine gute Politik. Nur sei er in der falschen Partei, da er mit Teilen der Basis zu tun habe, die noch immer nichts hinzugelernt hätten. Welche Koalition sie denn nach dem 14. Oktober bevorzuge? CSV-LSAP wäre gut, aber auch CSV-DP, bloß keine CSV-„déi gréng“. Letztere und ihresgleichen würden doch überall schützenswerte Biotope entdecken. Sogar bei Schlackenhalden, erinnert sich Lulling aus ihrer Zeit als Schifflinger Bürgermeisterin.

„Mein Leben als Frau in der Politik“ ist der Versuch einer „Bête politique“, ihre Version der Ereignisse zu geben, durch die sie in den Medien, bei der politischen Opposition und in der eigenen Partei angefeindet wurde. So etwa die Affäre um das bankrotte Bauunternehmen GTL. Der Vorwurf lautete damals auf „Immixtion“, Vermischung öffentlicher und privater Interessen. Bis heute beteuert Lulling ihre Unschuld in dieser als Klodeckel-Affäre bekannt gewordenen Geschichte um angeblich unbeglichene Begünstigungen seitens der Baufirma. Und das obwohl sie in letzter Instanz zu einer Geldstrafe und zu fünf Jahren Verbot zur Ausübung öffentlicher Ämter verurteilt worden war. Eine Abstimmung im Parlament, um ihr das Abgeordnetenmandat zu entziehen, sollte jedoch zu ihren Gunsten ausfallen.

Zurechtbiegen will sie auch das von einem Niederländer in seinem Buch gestreute Gerücht, „in meinem Bett wäre ein Luxemburger Minister beim Sex zu Tode gekommen“. Der Autor, den sie später als niederländischen EP-Abgeordneten wiedertraf, soll sich im Nachhinein bei ihr entschuldigt haben. „Es sei alles aus der Luft gegriffen.“

Lullings Autobiografie ist jedoch auch Auflistung ihrer politischen Erfolge, die Bilanz ihres politischen Wirkens in einem halben Jahrhundert Bürgermeisterin- und Abgeordnetenleben in Luxemburg und in Straßburg. Lulling verfasste sie wohl auch aus Sorge, sie werde lediglich als die Frau der Skandale und Skandälchen im kollektiven Gedächtnis des Landes bleiben.

„An der Politik ass et egal, ob s du gelueft oder beschass gëss. Ower wann se net méi vun der schwätzen, da bass de net méi do.“ Den Rat, den der damalige Justizminister Victor Bodson (LSAP) ihr zu Beginn ihrer politischen Laufbahn erteilte, befolgt sie noch heute.
Ihre Autobiografie ließ Astrid Lulling im Eigenverlag in einer Auflage von 2.000 Exemplaren drucken. Ein Verleger ließ sich ihren Aussagen zufolge nur schwer finden, entweder weil die kommerziellen Ansprüche zu hoch waren oder sie selbst dem potenziellen Verleger aus politischen Gründen misstraute.

Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar von Lucien Montebrusco.

duscholux
26. September 2018 - 16.16

"Küche und Kochen seien noch nie ihre Stärken gewesen, sagt sie entschuldigend." Singt sie denn noch ? Und wie war das mit dem Klodeckel?

Ruckert
26. September 2018 - 15.10

"Vun der Long op d'Zong' Mir hunn dat ëmmer hondsgemeng a frech genannt. Besonnesch bei der Damm déi eng Véirelsdose Parteie gebraucht huet fir nawell ni Ministesch ze ginn, ee Gléck fir d'Land.

Jacques Zeyen
25. September 2018 - 23.34

Lulling for ever. Skandale und Skandälchen, Heldentaten oder -tätchen, Lulling schreibt curriculum Bescheidenheit geht ist anders rum.

Jang
25. September 2018 - 17.55

Haut misstem maer nach e puer Madammen Lulling hunn.

roger wohlfart
25. September 2018 - 12.59

Freche Schnauze, nicht Klein zu kriegen, aber kompetent.

keendoheem
25. September 2018 - 11.24

super