Nach Strich und FadenLuxemburger erzählen, warum sie Kleidung selber nähen

Nach Strich und Faden / Luxemburger erzählen, warum sie Kleidung selber nähen
Unsere fünf Interviewpartnerinnen haben sich mächtig ins Zeug gelegt – das sind einige ihrer Werke Fotos: privat

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wenn vorwiegend Frauen durch die Hallen der Luxexpo The Box schlendern, oft mit Koffern ausgestattet, und an Ständen Stoffe und Nähzubehör anfassen und begutachten, bedeutet dies nur eines: Es ist „Stoffen-Spektakel“. Seit vielen Jahren zieht die Kreativmesse aus den Niederlanden durch die Benelux-Länder und wird zu einem Treffen für Nähbegeisterte. Stoffe aller Art werden zu reduzierten Preisen angeboten. Doch warum nähen Menschen eigentlich? Das Tageblatt hat bei fünf Luxemburgern nachgefragt, wie sie zu dem Hobby gekommen sind. Die Antworten reichen von der Lust, Einzelstücke erschaffen zu wollen, bis hin zum Kampf gegen Fast Fashion und Ressourcenverschwendung.

Nachhaltigkeit und Qualität

Nachhaltigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch Angèles Leben. Ob Gemüse aus dem heimischen Garten, eine fleischarme Ernährungsweise oder der Verzicht auf häufige Flugreisen, die 55-Jährige aus Luxemburg-Stadt achtet auf ihren ökologischen Fußabdruck und auf die Herkunft dessen, was sie konsumiert. Kein Wunder, dass sich dies auch in ihrer Garderobe widerspiegelt. „Klar besitze auch ich Einzelstücke von Fast-Fashion-Ketten und es ist nicht alles schlecht“, gibt sie zu bedenken. „Doch die heutige Modeindustrie arbeitet viel mit synthetischem Material, das nicht biologisch abbaubar ist, und die Qualität ist oft schlecht. Die Kleidungsstücke halten nicht lang, gehen schnell kaputt.“ Sie spricht von „disposable fashion“ und von Ressourcenverschwendung. Wenn sie näht, achtet sie auf gute Qualität, auf hochwertige, am besten natürliche Stoffe wie Leinen und Wolle. Gerne arbeitet sie auch mit „deadstock“, also Resten aus der Textilindustrie. Für Angèle ist Kreativität die schönste Form der Rebellion. „Indem man Sachen selber macht, entzieht man sich dem System“, sagt sie. „Natürlich werden beim Nähen auch Ressourcen verwendet und es wird konsumiert. Doch man setzt auch gleichzeitig ein Zeichen für eine nachhaltigere Mode.“ Sie kommt aus einer teils holländischen Familie, in der das Nähen schon seit Jahren eine große Rolle spielt. Und: „Handwerk ist ein wunderbarer Ausgleich zu Bürojobs vor dem Computer!“

Für Angèle ist Kreativität die größte Rebellion
Für Angèle ist Kreativität die größte Rebellion Fotos: privat

Ein Zeichen gegen Ausbeutung

Ob das Umsetzen eigener Ideen oder einfach der Spaßfaktor – Gründe, zu nähen, gibt es viele, weiß auch Myriam (56) aus Luxemburg-Stadt. Doch für sie spielt noch ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle: Sie möchte die Modeindustrie, die sie als ausbeuterisch bezeichnet, nicht länger unterstützen. Seit zehn Jahren hat sie nichts mehr für ihren Kleiderschrank gekauft und näht alles selbst. „Ob teure oder günstige Marken, vieles wird von Niedriglohnarbeitern in Schwellenländern produziert. Oft steckt auch Kinderarbeit dahinter“, erklärt die Hobbynäherin. „Du kaufst ein T-Shirt für zehn Euro und schon im Laden gehen die Fäden auseinander und nach dreimal Waschen ist es für die Tonne. Qualität wird ignoriert und Menschen werden ausgebeutet. Nachhaltig und fair ist etwas anderes.“ Beim Selbernähen kann sie auf die Stoffarten ihrer Wahl zurückgreifen, beispielsweise auf Bambusjersey, für dessen Herstellung weniger Wasserverbrauch als für Baumwolljersey anfällt. Auch in Sachen Färbung wird in der Modeindustrie teilweise mit giftigen Stoffen gearbeitet, denen die Arbeiter dann ausgesetzt sind. Missstände in der Produktion von Kleidung möchte Myriam nicht mehr unterstützen. Sie weiß aber auch: „Selbernähen ist nicht unbedingt die Lösung des Problems. Auch da können Missstände entstehen. Doch wenigstens findet hier keine direkte Ausbeutung von Menschen statt, die in Fabriken dahinvegetieren.“

Myriam näht alles selbst, von der Unterwäsche bis hin zum Mantel
Myriam näht alles selbst, von der Unterwäsche bis hin zum Mantel Fotos: privat

Unikate für Verwandte

Jördis (45) aus Capellen mag es, einen kreativen Ausgleich zu ihrem Beruf zu haben. Die Psychologin liebt das Nähen, da sie dadurch Einzelstücke erschaffen kann, die sonst niemand besitzt und bei denen die Passform stimmt. „Es ist schön, weil man schnell eigene Erfolge sieht“, sagt sie. „Man sieht, was man selber geschaffen hat.“ Die ersten Schritte an der Nähmaschine hat Jördis mit 15 Jahren während eines Schulpraktikums gemacht. Damals nähte sie vorwiegend Kissen oder mal eine Tischdecke. Vor zwölf Jahren hat sie das Nähfieber richtig gepackt. Als sie nach der Geburt ihres ersten Sohnes eine Tasche haben wollte, in der sie Spielzeug aufräumen konnte, konnte sie kein passendes Modell finden. Also beschloss sie, selbst ans Werk zu gehen – sie hatte nämlich eine genaue Vorstellung, wie die Tasche am Ende aussehen sollte. Das Modell war so beliebt, dass andere Mütter aus der Spielgruppe auch so eines haben wollten, berichtet Jördis. Sie näht Kleider für sich, aber auch für ihre Kinder. Denn: „Das Leuchten in den Kinderaugen ist einfach unbezahlbar“, sagt sie.

Jördis näht Kleidungsstücke, aber auch zum Beispiel Sitzkissen
Jördis näht Kleidungsstücke, aber auch zum Beispiel Sitzkissen Fotos: privat

„Ich kann mich kreativ austoben“

Eigenes per Hand erschaffen – davon ist Christelle (32) aus Wahlhausen schon seit eh und je fasziniert. „Ich war bereits als Kind sehr kreativ und habe gerne Neues ausprobiert“, erzählt die dreifache Mutter. Ihre größte Leidenschaft gilt der Herstellung von Teppichen mit bunten Motiven und dem Modellieren von Fimo-Figuren. Tufting nennt sich Ersteres – Christelle hat es vor fünf Monaten im sozialen Netzwerk TikTok entdeckt. „Daraufhin habe ich ein passendes Arbeitszimmer eingerichtet, mir eine Tufting Gun und Wolle gekauft und losgelegt“, berichtet die 32-Jährige. Hat sie sich für ein Motiv entschieden, spannt sie zuerst ein spezielles Tuch an den Rahmen, malt die Vorlage und sucht sich die passenden Wollfarben aus. Anschließend wird mit der Tufting Gun gearbeitet, es wird geschnitten, geklebt und versäubert.

Die Teppiche, die durch diesen Prozess entstehen, sind bunt und auffällig. Ob Manga-Figuren oder Metalbands, bei der Motivsuche setzt sich Christelle wenig Grenzen. Die Wolle erwirbt sie in luxemburgischen Läden, die speziellen Tücher gibt es im Onlinehandel. Als Nächstes möchte sie ein Bild tuften, das ihre Tante gemalt hat.

Christelle und ihre farbenfrohen Teppiche
Christelle und ihre farbenfrohen Teppiche Fotos: privat

Upcycling schont den Geldbeutel

Carmen (43) arbeitet gerne mit Stoffresten – Wiederverwertung von Material und Upcycling liegen ihr sehr am Herzen. Die Hausfrau, die sich ehrenamtlich in Huldingen engagiert, näht gerne für sich und für ihre Kinder oder stellt Spielzeug für ihre Katzen her. „Das Budget ist ganz klar ein Aspekt“, sagt sie. Das Arbeiten mit Stoffresten schont den Geldbeutel. Dies drückt sich beispielsweise dadurch aus, dass alte T-Shirts in Mützen umgewandelt werden. Die 43-Jährige, die sich selbst als „kreativ und äußerst chaotisch“ bezeichnet, hat das Nähen von ihrer Mutter erlernt und sich ansonsten alles selber beigebracht.

Als die Corona-Pandemie ausbrach und ganz Luxemburg nach Masken suchte, war ihr Können besonders gefragt. „Die größte Herausforderung bestand darin, das perfekte Schnittmuster zu finden“, erzählt Carmen. Es sollte gut sitzen und nicht rutschen. So begann sie, zahlreiche Masken für Familien und Freunde zu nähen – vorwiegend aus Secondhand-Material. Einen weiteren Vorteil hat das Nähen noch: Die zweifache Mutter ist nicht auf die Größen im Handel angewiesen und kann alles an ihre persönlichen Maße anpassen.

Carmen arbeitet gerne mit Stoffresten und Upcycling
Carmen arbeitet gerne mit Stoffresten und Upcycling Fotos: privat