EditorialLuxemburg und die Quadratur des Kreises

Editorial / Luxemburg und die Quadratur des Kreises
Premier Bettel will schnelle und sichere Lockerungsmaßnahmen: ob ihm die Quadratur des Kreises gelingt? Foto: Editpress/François Aussems

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Ein Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, die ersten Forschungsergebnisse der Langzeitstudie Con-Vince wären, wie geplant, vor zwei, drei Wochen publiziert worden – und nicht erst gestern. Das Ergebnis der Studie: Die Corona-Durchseuchung Luxemburgs ist äußerst niedrig. Die Hoffnung auf eine schnelle, wirksame Herdenimmunität in Luxemburg hätte damals wie heute der Vergangenheit angehört. Was sich aber drastisch verändert hätte: die Entscheidungsgrundlage für die Regierung. Denn eine ähnliche Studie wie Con-Vince hatte z.B. in Österreich zu Diskussionen über politisch riskantere bzw. mutigere Lockerungen des Lockdowns geführt.

Con-Vince hatte aber nun einmal zwei, drei Wochen Verspätung. Und so musste sich Luxemburgs Regierung weiter an Indikatoren orientieren, die Corona-Infizierte ohne Krankheitssymptome ignorieren. Das Problem: Sie war dadurch bislang auf dem analytischen Auge blind, was die tatsächliche Virus-Verbreitung in Luxemburg betrifft. Der Vorteil: Sie konnte den Lockdown durch die Orientierung an Angst verbreitenden Indikatoren aufrechterhalten, das politisch-sanitäre Risiko minimieren, die Bevölkerung psychologisch sensibilisieren und Zeit für die Ausarbeitung einer Exit-Strategie gewinnen. Woran all dies nichts ändert: Die Fokussierung auf die Zahl der Intensivbetten, Neuinfektionen und Todesfälle hat rein korrektiven Charakter. Sie trägt nicht dazu bei, die asymptomatische Virus-Verbreitung in Luxemburg frühzeitig zu analysieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen – obschon gemäß Schätzungen der luxemburgischen Covid-Taskforce 80 Prozent der Infektionen ohne Symptome verlaufen.

Um das Gedankenexperiment abzuschließen: Hätte die Regierung „Bleift doheem“ vor drei Wochen aufrechterhalten können, wenn die Öffentlichkeit Hinweise dafür gehabt hätte, dass auch bei uns nur ein selbstverantwortliches Miteinander die Rückkehr zur Freiheit ermöglicht? Wohl kaum. Doch was wäre dann aus der Prämisse geworden, die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern? Genau wegen dieser Frage ist das Gedankenexperiment so reizvoll. Denn es zeigt: Eigentlich hätte sich überhaupt nichts geändert. Denn die Con-Vince-Studie hätte damals wie heute bestätigt, dass die Luxemburger bislang sehr eigenverantwortlich zu sein scheinen. Der Lockdown wurde eingehalten, „flatten the curve“ in die Bahn gebracht – und damals wie heute hätte man die Menschen in Phase 2 der Exit-Strategie schicken müssen.

Und Phase 2 hätte damals wie heute der Quadratur des Kreises geglichen: Man will größtmögliche Sicherheit bei schnellstmöglicher Rückkehr zur Freiheit. Dieser Ansatz wirkt verlockend und ist ein typisch luxemburgischer Mittelweg, um noch größeren wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Schaden abzuwenden. Allerdings verdeutlicht der Übergang zu dieser liberalen Herangehensweise, dass die Kernidee hinter „Bleift doheem“ ab Montag nicht mehr im Mittelpunkt stehen kann: der Schutz der „Vulnérables“, also jener fragilen 20 Prozent unserer Bevölkerung, die über alle Alterskategorien hinweg verteilt sind und die es doch zu schützen galt. Falls aber der Schutz dieser Menschen weiterhin oberstes Gebot unserer Gesundheitspolitik ist, könnte man die ab Montag geltenden und bereits großzügig interpretierten Lockerungsmaßnahmen mindestens als gewagt bezeichnen („Grillparty zu 20 am Gaart, zack!“). Der Ansteckungswert (Rt) liegt in Luxemburg bei 1,04. Einfach ausgedrückt: Jeder – ob bewusst oder unbewusst – Infizierte steckt mindestens einen weiteren Menschen an.

Dass sich Politik und Wissenschaft in solch heiklen Fragen den Ball zuspielen, ist ein offenes Geheimnis. Aber die Covid-Taskforce sollte der Regierung nicht zu sehr die Verantwortung in die Schuhe schieben. Denn sie lässt die Politik zwar die Kontingente bestimmen, die demnächst systematisch getestet werden sollen, um die analytische Blindheit zu überwinden. Im „Policy Brief“ der Taskforce wird aber in einer leicht übersehbaren Fußnote deutlich, welche Aspekte bei ihren Empfehlungen für die Regierung Priorität genießen. Spoiler alert, nicht die Gesundheit der „Vulnérables“ steht an erster Stelle, sondern wirtschaftliche Relevanz: „Welche Personen welchem Kontingent zugeordnet werden und welches Kontingent Priorität gegenüber einem anderen Kontingent hat, überlässt die COVID-19 Task Force den politischen Entscheidungsträgern. Die COVID-19 Task Force empfiehlt jedoch, bei der Entscheidung über die Priorisierung u.a. folgende Aspekte zu berücksichtigen: wirtschaftlicher Einfluss des Sektors; Altersstruktur des Sektors; Anzahl der Menschen im Sektor; Arbeitsbedingungen.“

Clemi
10. Mai 2020 - 22.22

Ich empfehle die Lektüre des Artikels "Die wissenschaftlichen Fakten stellen kein Absolut dar" bei den Kollegen von 100,7. M.M. nach gibt es in Sachen Covid-19 noch nirgends absolute Gewissheit, nicht in Luxemburg, nicht sonstwo auf der Welt und auch nicht in der Wissenschaft. Bsp. "Herdenimmunität", die voraussetzt dass 1x Infizierte ständig immun sind. Gibt es diesen Beweis, gibt es dazu Übereinstimmung in der Wissenschaft? Nein! Was angesichts eines 5-6 Monate alten Virus vielleicht auch nicht unbedingt überraschend ist. Das Konzept wird aber ständig und überall bemüht ... Solange die Faktenlage so ist, müssen wir uns wohl oder übel damit abfinden. Und solange ist m.M. nach auch schwarz-und-weiss-Denken, es muss richtig oder falsch geben, problematisch, v.a. wenn es auf die Spitze getrieben wird. Was war richtig, was war falsch? Das wird die Menschheit erst NACH der Pandemie wissen und beurteilen können.

Lucilinburhuc
9. Mai 2020 - 15.43

@ de maulkuerf “ech hu mir haut viirgehol, vun elo un (...) keng Kommentare méi ...“ Alles verstaan :) :) :)

de maulkuerf
8. Mai 2020 - 19.31

@Lucilinburhuc Dir hot NÄICHT verstaanen

Lucinlinburhuc
8. Mai 2020 - 13.38

korrigiert :) @de maulkuerf: “wat soll dat, de Mênsch entmündegen a fiir domm verkaafen, NEE, esou nêt” Eben nicht, die Wahrheit kennt keiner im Moment. Ist das denn so schwer zu verstehen: ein neues Virus mit unbekannten Auswirkungen und Fortpflanzungseigenschaften führt zwangsläufig zu einem mäandrierenden Fluss mit fortlaufendem Richtungswechsel. Lesen sie bitte doch den Artikel richtig!

Lucinlinburhuc
8. Mai 2020 - 13.36

@de maulkuerf: "wat soll dat, de Mênsch entmündegen a fiir domm verkaafen, NEE, esou nêt" Eben nicht, die Wahrheit kennt Keinen im Moment. Ist das denn so schwer zu verstehen: ein neues Virus mit unbekannten Auswirkungen und Fortpflanzungseigenschaften führt zwangsläufig zu einem mäandrierenden Fluss mit fortlaufenden Richtungswechsel. Lesen sie bitte doch den Artikel richtig!

CESHA
8. Mai 2020 - 10.55

Die besonders gefährdeten Gruppen müssen sich also weiterhin zuhause verbarrikadieren und hoffen, dass ihnen - etwa beim Einkaufen von Lebensmitteln - kein Idiot über den Weg läuft, der am Wochenende bei einer Grillparty war und von dort das Virus mitgebracht hat.

de maulkuerf
8. Mai 2020 - 8.53

also, séid 8 Wochen, ass all Dag mindestens eemol, eng nei Richtlinn agelaut gin, mueres war et gièl, mêttes blo, an owes grèng, asw.. êt kênnt een sech viir wéi eng Wandmillen beim Stuerm wat soll oder kann een do nach gleewen? an dat geet daper esou wäider, êt wees een nêt méi wou engem de Kapp steet ech hu mir haut viirgehol, vun elo un lauschteren ech kee Radio méi, mache keng Zeidong méi op a keen Internet keng Kommentare méi .. ech wêll just nach ee klore Kapp mat gesondem Mênscheverstand behaalen, iir ech géing duerchdréinen wat soll dat, de Mênsch entmündegen a fiir domm verkaafen, NEE, esou nêt de maulkuerf