BangladeschAbseits des Booms: Wo Entwicklungshilfe aus Luxemburg die „Menschen der Inseln“ unterstützt

Bangladesch / Abseits des Booms: Wo Entwicklungshilfe aus Luxemburg die „Menschen der Inseln“ unterstützt
Vom wirtschaftlichen Boom in Bangladesch haben die sechs bis sieben Millionen „Menschen der Inseln“ nur wenig mitbekommen  Foto: Christian Muller

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Zwischen dem reichen Luxemburg und den „Char people“ aus Bangladesch liegen Welten. Viele tausend Kilometer. Für diese isoliert lebenden Menschen bedeuten Finanzierungen aus dem Großherzogtum jedoch einen spürbaren Unterschied ihrer Lebensqualität. Erkenntnisse aus einem offiziellen Besuch.

Im Norden Bangladeschs leben die „Char people“. Isoliert auf über 250 Inseln aus Sand auf dem mehrere Kilometer breiten Fluss Brahmaputra. Die sogenannten „Menschen der Inseln“ zählen zu den Ärmsten im Land. Es fehlt an allem, von Ärzten über Schulen bis hin zu Polizisten.

Auch die Natur macht es ihnen nicht leicht. Während im Süden Bangladeschs die Menschen mit den Fluten des Meeres zu kämpfen haben, so sind es hier im Norden Monsun und Schmelzwasser des Himalayas, die Überschwemmungen verursachen. Hinzu kommen nicht abgestimmte Öffnungen von Staudämmen im Nachbarland Indien.

In der Flutsaison steigt der Fluss um die Inseln der „Char people“ mehrere Meter in die Höhe. Die kleinen Inseln aus Sand werden überschwemmt. Teils auch abgetragen. Die größeren, auf denen es auch Bäume und Felder gibt, werden meist „nur“ überflutet. Wenn eine Insel verschwindet, dann ziehen die Menschen auf eine andere. Oder sie müssen als Tagelöhner in die Städte ziehen. Ihre Häuser bauen sie aus Blech, dann können sie sie beim Umziehen gleich mitnehmen.

Inseln aus Sand auf dem Fluss Brahmaputra: Die Landschaft verändert sich mit den Fluten
Inseln aus Sand auf dem Fluss Brahmaputra: Die Landschaft verändert sich mit den Fluten Foto: Christian Muller

Die „Char people“ sind eine kleine ethnische Minderheit. Sie unterscheiden sich vom Rest der Bevölkerung durch ihren zum Teil nomadischen Lebensstil. Ihre Zahl wird auf sechs bis sieben Millionen Menschen geschätzt. Wegen der Distanz zum Festland bleiben sie von vielem abgeschnitten. Vom wirtschaftlichen Boom des Landes in den vergangenen 15 Jahren haben sie, abgesehen vom gelegentlichen Smartphone, kaum etwas mitbekommen. Auf den Inseln gibt es keine Ablenkung, kein Theater, keinen Fernseher, kaum Strom.

Eine ungewöhnliche NGO

„Alle Institutionen, die man sonst als normal gegeben nimmt, sind hier nicht vertreten“, so Runa Khan gegenüber dem Tageblatt. Sie ist Gründerin und treibende Kraft der NGO (nicht-profitorientierte und nicht-staatliche Organisation) Friendship. „Die Flüsse führen in die abgelegensten, ärmsten und am wenigsten erschlossenen Gemeinden. (…) Deshalb sind wir dorthin. Weil dort noch niemand war.“

Friendship ist groß für eine NGO und überdurchschnittlich professionell organisiert. Die Organisation beschäftigt mehr als 4.500 Personen. Die meisten von ihnen sind Menschen aus den Communitys vor Ort, die sie selber ausgebildet haben und die das Wissen nun an die Gemeinschaften weitergeben. Jedoch zählt sie auch professionelle Teams, etwa in der Kommunikation. Im Jahr 2023 haben so bereits sowohl das Magazin Economist als auch der Guardian über sie berichtet.

Die NGO bietet integrierte Projekte für vergessene Gemeinden, aufgeteilt in vier große Bereiche: Leben retten, Klimaanpassung, Armutsbekämpfung und „Empowerment“. Friendship entwickelte und betreibt zwei schwimmende Krankenhäuser, bietet Risikovorsorge und Schutzmaßnahmen für flutgefährdete Gemeinden, stellt Schulen und Bildungsdienste bereit, klärt die Menschen über ihre Rechte auf und informiert über Landwirtschaft und Ernährung. Man arbeitet auch mit anderen NGOs zusammen: Eines der ersten Krankenhausschiffe war die Rainbow Warrier II von Greenpeace.

Niederlassungen in Europa gegründet

Laut Angaben von Friendship haben mehrere Millionen Menschen Zugang zu ihren Gesundheitsdiensten, 330.000 profitieren jedes Jahr von dem integrativen Programm zur Sensibilisierung für Staatsbürgerschaft, 98.000 Menschen haben bisher vom Programm für nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung profitiert. Zudem haben 80.000 Zugang zu sauberem Wasser aus den sechs Friendship-Wasserwerken in Küstengebieten und 25.000 Kinder und Erwachsene besuchen speziell auf diese Gemeinschaften zugeschnittene Bildungsprogramme.

Von Bangladesch aus hat Friendship eigene Niederlassungen in Europa gegründet. Diese helfen beim Geldsammeln für die vielen unterschiedlichen Hilfsinitiativen. Dass die erste 2006 in Luxemburg gegründet wurde, ist ursprünglich auf ein Treffen von Runa Khan mit Großherzogin Maria Teresa zurückzuführen. Weitere Niederlassungen sind in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien entstanden. Das internationale Netzwerk ist derweil nicht nur eine Geldquelle, sondern auch eine Plattform für technische Unterstützung, den Austausch von Fachwissen, Erfahrungen und Ideen.

Vom Luxemburger Staat aus wird Friendship bereits einige Jahre finanziell unterstützt. Mit den Jahren hat das Gewicht dieser Hilfen zugenommen. „Ohne Luxemburg könnten wir das, was wir heute tun, nicht tun“, so Runa Kahn. „In Luxemburg sind wir auf richtiges Verständnis gestoßen.“

Das von Luxemburg finanzierte Krankenhausschiff
Das von Luxemburg finanzierte Krankenhausschiff Foto: Christian Muller

Besonders wichtig wurden die Gelder aus Luxemburg mit der Covid-Krise. Als die Passagierzahlen in der Luftfahrt einbrachen, stoppte Emirates Airlines, der bis dahin wichtige Sponsor von einem der Krankenhausschiffe, den Geldfluss. Der Luxemburger Staat sprang ein und rettete die Aktivität. Im Oktober 2021 hatte der für Entwicklungshilfe zuständige Minister Franz Fayot angekündigt, die Unterstützung für 2022/23 von 2,2 auf 2,57 Millionen Euro pro Jahr zu erhöhen.

Seitdem kreuzt das Schiff, das jährlich etwa 50.000 Menschen mit medizinischen und chirurgischen Leistungen versorgt, in den Luxemburger Farben über den Fluss. Es dient als Referenzkrankenhaus in einem Gesundheitssystem, das mittels 175 dezentralisierter medizinischer Räumlichkeiten und mithilfe von 275 kommunalen Gesundheitshelferinnen eine Bevölkerung von etwa 700.000 Menschen versorgt. Mit zum Schiff zählen auch Ambulanzboote, um Patienten notfalls ans Festland in ein offizielles Krankenhaus zu bringen.

Ohne Luxemburg könnten wir das, was wir heute tun, nicht tun

Runa Kahn, Friendship-Gründerin

Zu Monatsbeginn war Minister Franz Fayot mit einer Delegation aus Luxemburg in Bangladesch, um sich die Resultate der Hilfen anzuschauen. Vor Ort zeigte sich, wie wichtig die Unterstützung ist: Die Inseln bestehen vor allem aus Sand und Staub, es gibt keine Straßen zur Fortbewegung. In der leicht höhergelegenen Mitte gibt es Vegetation, Bäume … und die Felder der „Char people“. Jeder leicht fruchtbare Quadratmeter wird genutzt. Jetzt im Frühling sieht alles vertrocknet aus, zu anderen Jahreszeiten ist alles überschwemmt. „Es gilt sicherzustellen, dass das Geld der Steuerzahler gut ausgegeben wird“, so der Minister gegenüber dem Tageblatt. „Solche Besuche helfen uns, unsere Prioritäten zu definieren.“

Minister Franz Fayot mit Friendship-Gründerin Runa Kahn
Minister Franz Fayot mit Friendship-Gründerin Runa Kahn Foto: Christian Muller

Auf den besichtigten Vorzeigeinseln wurde der Minister von Runa Kahn umher geführt. Zu sehen bekam er Dorfgemeinden, die vom Paket der Friendship-Initiativen profitieren können. Dazu zählen neben dem dort angedockten Krankenhausschiff und einer Schule auch ein Berufsbildungszentrum, in denen Frauen und Mädchen das Weben und Nähen beigebracht wird. Nach der Schulung erhalten die Ausgebildeten weitere Unterstützung, um sich bestenfalls wirtschaftlich selbstständig zu machen. Ähnliche Projekte gibt es im Bereich der Landwirtschaft, wo unter anderem alternative Gemüsearten (zu dem sonst üblichen Reis und Mais) gezeigt werden.

Gesamtbedürfnisse der Gemeinschaft

Auch gezeigt wurden dem Minister die Kurse zum Thema „Inklusive Bürger“. Hier wird über die staatlichen Strukturen, das Rechtssystem und mögliche soziale Hilfen aufgeklärt. Friendship hat hierzu ein spezielles Programm für die Chars entwickelt. Ein Theaterstück, das die lokale Bevölkerung gegen Kinderhochzeiten, gegen die Stigmatisierung von Behinderten und für wissenschaftliche Medizin sensibilisieren soll, konnte sich der Minister gemeinsam mit der Dorfbevölkerung ansehen.

Daneben stellte Runa Kahn die Klimaaktionsprogramme der Organisation vor. Die Gemeinden werden aktiv auf die Risiken hingewiesen, denen sie ausgesetzt sind, und an der Erstellung von Präventionsplänen beteiligt. Schwimm- und Rettungskurse werden angeboten und Bäume gepflanzt. Auf mehreren Inseln hat Friendship geholfen, eine weitere zentrale Erhöhung im Dorf zu bauen, auf der sich die Schule sowie mit Solarstrom versorgte Gebäude mit Brunnen und Latrinen befinden. Bei Überschwemmungen können auch die anderen Menschen und die Tiere des Dorfes hierhin flüchten.

Auf den Inseln, wie im gesamten Land, wird jeder leicht fruchtbare Quadratmeter genutzt
Auf den Inseln, wie im gesamten Land, wird jeder leicht fruchtbare Quadratmeter genutzt Foto: Christian Muller

„Wir sind ziemlich beeindruckt von der Professionalität“, so der Luxemburger Minister zu Friendship und ihrer Gründerin. „Sie will das Leben besser machen für die, die vergessen wurden. Sie entwickelt und setzt Projekte um, die einen großen Impakt auf die Gemeinschaften haben. Durch das Integrieren der verschiedenen Projekte erzielen sie und ihr Team ein gutes Ergebnis. Die ganzen Initiativen geben den Menschen eigene Verantwortung und dadurch Stolz. Das ist wichtig und beeindruckend. (…) Und ziemlich einzigartig – eine NGO, die im Zielland entstanden ist und dann international expandiert hat.“

Für Friendship steht Luxemburg für einen bedeutenden Teil der jährlichen Einnahmen. Die Organisation schätzt ihr Gesamtbudget für 2023 auf etwa 18,8 Millionen Euro. Davon 12 Millionen für die Kernprogramme von Friendship in den nördlichen Char-Gebieten und in der südlichen Küstenregion, sowie 6,8 Millionen für Maßnahmen im Rahmen der Rohingya-Flüchtlingskrise. Der Gesamtbeitrag von Luxemburg (über Friendship Luxemburg) wird auf etwa 5 Millionen Euro geschätzt, davon 4,75 Millionen für die Kernprogramme, 0,25 für die Rohingya-Krise.

Das Land versalzt

Vom besonderen Ansatz der Hilfen von Friendship, dem Fokus auf die Gesamtbedürfnisse einer Zielgemeinschaft, war auch die Luxemburger Raiffeisen Bank angetan. Im Rahmen ihrer „ESG“-Politik (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) hatte sie 2021 unter anderem ein Programm ins Leben gerufen, bei dem sie – für alle 200 Transaktionen, die Kunden mit ihren Kreditkarten tätigen – einen Baum pflanzt.
„Ein Minimum von 15.000 Bäumen pro Jahr soll es sein“, so der für den Bereich zuständige Jacques Hoffmann. „Letztes Jahr waren es 22.074 Bäume.“ Insgesamt bereits fast 50.000. „Jedes Mal, wenn man die Kreditkarte nutzt, trägt man so zu einer besseren Welt bei“, so Georges Heinrich vom Direktionsvorstand der Bank.
Laut dem ursprünglichen Plan sollten all die Bäume in Luxemburg gepflanzt werden. Da hier jedoch nicht immer ausreichend passendes Land verfügbar ist, hat „Hëllef fir d’Natur/natur&ëmwelt“ die Bank auf Friendship aufmerksam gemacht. Die NGO hat im Süden von Bangladesch ein Projekt zum Wiederanpflanzen von Mangroven. Mitfinanziert wird es vom Luxemburger Umweltministerium, wie auch von einigen Familien und kleinen Unternehmen.
Eine eigene Baumschule für Mangroven hat Friendship in der küstennahen Region errichtet. Die Gebiete, die durch Abholzung nicht bereits zu sehr versalzt oder ausgetrocknet sind, werden neu bepflanzt. „Dabei ist das Binden von CO2 eigentlich nur die Kirsche auf dem Kuchen“, so Marc Elvinger, Präsident von Friendship Luxemburg. „Die Mangroven erfüllen gleich mehrere Zwecke: Sie sind ein Schutz vor den Salzwasserfluten des Meeres; sie schaffen neuen Lebensraum für Fische und Krabben – was wiederum den Menschen der Region neue wirtschaftliche Möglichkeiten bietet und die Menschen vor dem Verlassen der Gegend schützt.“
Nach der „integrierten Vorgehensweise“ der Organisation pflanzt sie nicht „nur“ Bäume an, sondern betätigt sich in den gleichen Gemeinschaften auch im Bereich der Bildung, der Gesundheit und informiert die Menschen über ihre Rechte und über Gemüseanbau. „Es geht darum, die Gemeinschaften nachhaltig zu stärken“, so Elvinger. Während fünf Jahren bleibt auch eine Person zuständig für den Schutz der Setzlinge vor Ziegen.
Vom Erfolg der Pflanzungsaktion gibt sich Elvinger sehr beeindruckt. „Die Regenerierung geht wirklich sehr schnell. Meist wachsen rund um einen gepflanzten Baum bereits fünf neue.“ Mehr als 100 Hektar sollen so wieder aufgeforstet worden sein. „Uns gefällt besonders auch der kooperative Ansatz dabei“, so Hoffmann von der einzigen Genossenschaftsbank des Landes.

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JJ
21. Mai 2023 - 10.15

"Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade." Was für ein Satz. Schon George Harrison sang von Bangladesh.Erinnern wir uns an die Aid for Afrika Konzerte? Initiiert von Bob Geldorf sangen und rockten fast alle Stars auf der Bühne.Das war in den 80er Jahren.Was hat sich geändert? Durch die dauerhafte Unterstützung kann vielen Menschen geholfen werden! Wirklich? Oder ist es,weil wir die Ursachen nicht auf die Reihe bekommen,ein Tropfen auf den heißen Stein? Solange es keine Einsicht in Sachen Überbevölkerung gibt wird sich die Natur wehren. Statt Missionare zu schicken die das Wort Gottes verbreiten,wäre Aufklärung, Schule und die Gleichberechtigung der Frauen der bessere Weg. So bleibt es beim Satz des Pestalozzi: Wir ersäufen das Recht dieser Menschen auf ein besseres Leben indem wir durch Wohltätigkeit über die Ursachen hinwegsehen und unser Gewissen beruhigen und weiterhin Könige krönen die kein Mensch braucht.