Festival de CannesLuxembourg on Fire

Festival de Cannes / Luxembourg on Fire
Der israelische Regisseur Ari Folman und Film-Fund-Direktor Guy Daleiden während der „Journée luxembourgeoise“ Foto: Jeff Schinker

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Selten war der Luxemburger Film international so prominent vertreten wie dieses Jahr. Wegen der Pandemie fiel der traditionelle Luxemburger Tag in Cannes dieses Jahr trotz der anstehenden Feierlichkeiten etwas spärlicher aus. Dennoch war die Stimmung feierlich – besonders für das Produktionsstudio Samsa, das nach dem Erfolg von „Capitani“ und der Oscar-Nominierung von „Collective“ gleich zwei Filme in der „Sélection officielle“ hat. Das Tageblatt hat sich vor Ort mit dem Film-Fund-Direktor Guy Daleiden und dem Samsa-Produzenten Bernard Michaux unterhalten.

Wie so einige der in Cannes ansonst überaus belebten Standorte wirkt auch das „internationale Dorf“ etwas leer, viele haben ihre Stände – kleine Strandhäuser mit Terrasse und Blick aufs Meer – verkleinern lassen, einige sind gar nicht erst aufgekreuzt. „Umso mehr Aufmerksamkeit für diejenigen, die vor Ort sind“, meint Françoise Lentz vom Film Fund, als ich im Pavillon für die traditionelle „Journée luxembourgeoise“ aufkreuze.

Dass einige der Traditionen jedoch aufgrund der Pandemie noch ein Jahr ausfallen würden, war klar – auf das feierlich Abendessen und die improvisierte Feier, die vor zwei Jahren im wunderbar trashigen Petit Majestic endete – einer Kneipe direkt hinter dem prunkvollen Grand Majestic, einem Hotel für Menschen mit dem Monatsgehalt, das dem Budget einer europäischen Filmproduktion entspricht –, musste ebenso verzichtet werden wie auf die Tradition, die will, dass Luxemburger Schauspieler vor dem heimischen Pavillon ins Meer schwimmen gehen – ein absurdes Verbotsschild verdeutlicht, dass der einsame Schwimmer ein größeres Infektionsrisiko darstellt als das Filmpublikum in den zum Bersten gefüllten Kinosälen.

„Das ist schon etwas kurios“, meint Film-Fund-Direktor Guy Daleiden. „In Luxemburg sind die Kinos ja schon wieder länger geöffnet, aber mit einem sinnvollen Hygienekonzept. Dass man hier von 0 auf 100 geht, ist erstaunlich und wohl auch nicht wahnsinnig gut durchdacht. Und trotzdem: Zu sehen, wie prall gefüllt der Kinosaal bei der Premiere von Aris Film war, wie der Sektor, für den ich arbeite, wieder aufblüht – das ist schon sehr ergreifend.“

Dass in Cannes weniger Besucher als sonst sind und auch (offiziell) weniger gefeiert wird, ist umso bedauerlicher, weil 2021 für die luxemburgische Filmindustrie ein Jahr der Superlativen ist – ganz gleich, wie man darüber berichtet, klingt allein das Auflisten der diversen Auszeichnungen wie ein schäbiger Nation-Branding-Versuch. Versuchen wir also, die Sache so nüchtern wie möglich anzugehen: Neben dem weltweiten Netflix-Erfolg von „Capitani“ ist der Dokumentarfilm „Collective“ für die Oscars nominiert. Die luxemburgische Koproduktion „Bad Luck Banging or Loony Porn“ hat den Goldenen Bären auf der Berlinale gewonnen. Und nun sind mit „Where Is Anne Frank“ von Ari Folman, „Les intranquilles“ von Joachim Lafosse und „Le sommet des dieux“ von Patrick Imbert nicht nur gleich drei luxemburgische Koproduktionen in Cannes vertreten, mit Hauptrollen im Wettbewerbsfilm „Bergman Island“ von Mia Hansen-Love und Mathieu Amalrics „Serre-moi fort“ ist die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps gleich doppelt auf dem Festival vertreten.

„Man kann nicht oft genug hervorheben, wie sensationell das ist. Wir produzieren etwa 20 Filme im Jahr – und dann werden gleich drei davon für Cannes zurückbehalten. Wenn man bedenkt, wie viele Filme weltweit jährlich produziert werden und wie wenige davon in Cannes vorgestellt werden, ist dies schon wahnsinnig beeindruckend. Eine Warnung möchte ich jedoch aussprechen: Wir werden dieses hohe Niveau nicht jedes Jahr halten können.“

Kairos als Geburtstagsgeschenk für Samsa

Bernard Michaux vom Produktionsstudio Samsa
Bernard Michaux vom Produktionsstudio Samsa

Im Zentrum dieser Auszeichnungen steht das Produktionsstudio Samsa, das dieses Jahr seinen 35. Geburtstag feiert. „Bleibt zu hoffen, dass es nicht erneut 35 Jahre dauert, bis wir ein ähnliches Erfolgserlebnis feiern können“, scherzt Bernard Michaux, einer der drei Samsa-Produzenten, die vor Ort in Cannes sind. „Eigentlich ist es ein schöner Zufall, wie gerade alles zusammenläuft. Mit ‚Collective‘ waren wir vor zwei Jahren in Venedig, an Ari Folmans Film wurde insgesamt über fünf Jahre gewerkelt. Eigentlich müssten wir noch schnell eine Produktion für Venedig einreichen, um diesen guten Lauf richtig zu nutzen. Aber irgendwann schämt man sich fast, in sozialen Netzwerken zu posten, dass man mal wieder einen Preis abgesahnt hat (lacht).“ Die alten Griechen hätten von Kairos gesprochen – für Samsa ist dieses Jahr auf jeden Fall der richtige Zeitpunkt.

Seinen Festivalaufenthalt – der längste in Cannes bisher, weil der Samsa-Wettbewerbsbeitrag „Les intranquilles“ erst am Freitagabend, als letzter Film vor der Preisverleihung am Samstag, läuft – sieht Michaux äußerst gelassen. „Ich bin noch nie zuvor so unvorbereitet auf ein Festival gegangen. Und trotzdem ist der Terminkalender mittlerweile voll, weil mich inzwischen so viele Menschen kontaktiert haben.“ Da merkt man dann doch, dass der Bekanntheitsgrad und der Ruf von Samsa inzwischen ein anderer ist als noch vor zehn Jahren.

Einer der Gründe des Höhenflugs der Produktionsfirma, die ironischerweise nach einem kafkaesken Ungeziefer benannt ist, dessen Existenz nicht unbedingt von Erfolg gesäumt war, liegt wohl u.a. am rezenten Netflix-Erfolg von „Capitani“. Wie es dazu kam, erklärt uns Michaux. „Da wäre zum einen natürlich der Fakt, dass das von Claude (Waringo. Anm. d. Red.) produzierte Projekt qualitativ gut war. Was danach passierte, war Folgendes: An meiner Filmschule erklärte uns mal jemand, wir sollten nicht versuchen, die wichtigen Manager, die es zu dem Zeitpunkt gab, zu kontaktieren. Viel wichtiger wäre es, Kontakte untereinander zu knüpfen. Denn wir alle würden uns in der Filmwelt gleichzeitig weiterentwickeln, sodass wir späterhin auf die Kontakte, die wir während unseres Studiums geknüpft haben, oder die Freundschaften, die dort entstanden sind, zurückgreifen könnten.“ Genau dies passierte für „Capitani“: Michaux begegnete einem früheren Münchener Kommilitonen, der ihn nach Amsterdam einlud, wo dieser für Netflix arbeitet. Danach ging alles recht schnell: Michaux stellte den Kontakt her, Waringo schickte die Serie an Netflix. Die Antwort vom Streaming-Dienst kam dann unverhofft: „Mögen wir, wollen wir“, resümiert Michaux.

In diesem Sinne könnte der diesjährige Erfolg der Luxemburger Filmindustrie im Allgemeinen und von „Capitani“ insbesondere ein richtiger Gamechanger sein: „Wenn man früher eine Produktion mit der ARD oder einem anderen deutschen Sender eingehen wollte, musste man eine deutsche Produktionsfirma sein. Netflix oder Amazon ist es jedoch ziemlich egal, wo genau deine Firma ihren Sitz hat. Hier könnte sich die Möglichkeit ergeben, etwas zu entwickeln, das es einem erlaubt, nicht erst durch den ganzen Prozess des Film Fund gehen zu müssen, bevor einem das grüne Licht für ein Projekt erteilt wird. Damit meine ich nicht, dass wir den Film Fund nicht brauchen, ganz im Gegenteil – aber es würde den Markt, der in Luxemburg so klein ist, etwas vielfältiger gestalten, neue Möglichkeiten aufmachen und den Produktionsfirmen eine größere Autonomie geben, wie es ja im Ausland auch der Fall ist.“

Human Factor

Film-Fund-Direktor Guy Daleiden
Film-Fund-Direktor Guy Daleiden Foto: Editpress/Julien Garroy

Auch wenn man bei Filmindustrie und Filmbusiness immer mehr an Business oder Industrie denkt – ohne die menschliche Komponente geht dann doch nichts. Die beiden Samsa-Koproduktionen wären ohne jahrelange Kontakte zu den beiden Regisseuren Lafosse und Folman nicht möglich gewesen. „Kein anderer Produzent als Jani (Thiltges, Anm. d. Red.) hätte Aris Film produzieren können. Die beiden kennen sich, schätzen sich. Wenn das Projekt dann am Laufen ist, kann man sich den Prozess und das Verhältnis zwischen Produzent und Regisseur ein bisschen wie eine Ehe vorstellen: Manchmal wünscht man sich nur noch die Scheidung – und dann gibt’s Momente des Glücks und des Feierns, wie hier in Cannes.“

Den Film von Joachim Lafosse hat der belgische Produzent ganz klassisch auf der Internetseite des Festivals angemeldet. Für beide Werke gab es aber von den Festivalorganisatoren regelmäßiges Feedback. „Man bekommt jetzt nicht einfach mal kurz eine Mail, in der man erfährt, dass der Film abgelehnt oder akzeptiert wurde. Wir standen in Kontakt mit Thierry Frémeaux und Christian Petit. Nachdem man den Film eingeschickt hat, ist man erst mal angespannt und wartet. Für ‚Les intranquilles’ kam dann irgendwann eine erste Antwort im Stile von: ‚On a vu le film, on a apprécié.’ Was sowohl viel- als auch nichtssagend ist.“

Über mögliche Auszeichnungen habe man sich bisher nicht zu viele Gedanken gemacht. „Als wir mit ‚Tel Aviv on Fire‘ in Venedig waren und das Publikum den Film mit einer Standing Ovation feierte, habe ich mein Telefon gezückt, gegoogelt und herausgefunden, dass man da auch einen Preis gewinnen kann. Ich dachte: Wir sind hier, in einer gewissen Weise haben wir doch bereits gewonnen. Hier verhält es sich ähnlich“, so Michaux.

Neben dem Treffen unter Film-Fund-Direktor*innen steht für Guy Daleiden vor allem der „Fonds de co-développement“ für die Entwicklung von audiovisuellen Projekten, die die Geschichte der Beziehung zwischen Luxemburg und Portugal erzählen, auf dem Programm. „Die Vergangenheit unseres Landes ist mit der von Portugal sehr eng verknüpft. Da gibt es eine ganze Menge von Geschichten, die es sicherlich wert sind, filmisch nachzuerzählen. Der Film Fund und sein portugiesischer Homologe (der ICA Portugal, Anm. d. Red.) investieren 200.000 Euro in diesen Fonds, um Projekte, die dieses Thema aufgreifen, zu unterstützen.“

Diese Initiative gliedert sich in eine Reihe von Maßnahmen ein, die der Film Fund unterstützt, um die Beziehung zu anderen Ländern zu intensivieren und so die durch die Pandemie aufgekommene Krise im Sektor einzudämmen. „Wir mussten einige Filme absagen, weil wir vor Ort nicht drehen durften. Das Wegbrechen der Festivals war in dem Sinne schlimm, weil wir hier die Zukunft der Branche planen. Ohne Festivals kommen wir nur schleppend voran. Klar, man konnte sich via Zoom treffen. Aber man geht kein Filmprojekt, das sich wie das von Ari Folman über fünf Jahre zieht, mit einer Person ein, die man während einer Zoom-Sitzung kurz kennengelernt hat.“ Im Sinne des langsamen Wiederauflebens einer Branche ist Cannes auf jeden Fall, trotz eines weniger großen Andrangs, überaus wichtig – für den Filmsektor im Allgemeinen, aber auch für die luxemburgische Filmindustrie.

„Where Is Anne Frank“-Regisseur Ari Folman
„Where Is Anne Frank“-Regisseur Ari Folman