Krise in Nordirland / London und Belfast richten heftige Vorwürfe gegen die EU
In Nordirland spitzt sich die politische Krise zu. In der protestantisch-unionistischen Regierungspartei DUP herrscht nach dem Amtsantritt des umstrittenen neuen Vorsitzenden Edwin Poots offener Grabenkrieg.
Poots’ Vorgängerin Arlene Foster hat ihren Parteiaustritt angekündigt und will vorzeitig als Ministerpräsidentin zurücktreten, was den Fall der Belfaster Allparteien-Regierung zur Folge hätte. Unterdessen bezichtigen sich London und Brüssel gegenseitig, durch rigides Beharren auf unvereinbaren Positionen indirekt den fragilen Frieden in der einstigen Bürgerkriegsprovinz zu gefährden.
In den 50 Jahren seit Gründung der aus einer fundamentalistischen Sekte hervorgegangenen Partei hatte die DUP ihre Streitigkeiten stets hinter verschlossener Tür ausgetragen. Übers verlängerte Ferienwochenende hingegen kam es zu einem beispiellosen Hauen und Stechen. Zunächst gab es beim Sonderparteitag, der das knappe Votum (19:17) von Parlamentsabgeordneten absegnen sollte, stundenlangen Streit um den Abstimmungsmodus; Poots‘ Gruppierung wollte ein geheimes Votum vermeiden. Daraufhin mochten innerparteiliche Gegner um den unterlegenen Kandidaten Jeffrey Donaldson der Siegesrede des neuen Vorsitzenden nicht zuhören. Der Vorsitzende von Fosters Ortsverein trat aus der Partei aus.
Die 50-Jährige Noch-Regierungschefin kündigte nicht nur ihren eigenen Parteiaustritt an; sie werde auch umgehend ihr Regierungsamt niederlegen, sagte Foster der BBC, wenn Poots wie angekündigt noch diese Woche die der DUP zuständigen Ministerien mit seinen Gefolgsleuten besetzen will. Der Rücktritt der Ministerpräsidentin zieht nach den komplizierten Regeln der Allparteienregierung automatisch die Demission der gleichberechtigten Vize-Regierungschefin Michelle O’Neill von der katholisch-republikanischen Sinn-Féin-Partei nach sich. Können sich die Partner nicht binnen einer Woche auf ein neues Führungsteam einigen, muss der britische Nordirland-Minister automatisch vorzeitige Neuwahlen ansetzen.
Der eigentlich erst in einem Jahr fällige Urnengang jagt der neuen DUP-Spitze Angst ein. Den Umfragen zufolge würde die bisher größte Partei nämlich weniger Stimmen einfahren als Sinn Féin, womöglich sogar hinter die konfessionsneutrale Alliance auf Platz drei zurückfallen. Das hat nicht zuletzt mit der Person von Poots zu tun: Das 56-jährige Mitglied einer protestantischen Sekte leugnet die Evolution und setzt Schwule gleich mit Menschen, die „gefährlichen“ Sex haben.
Das Hauptproblem der DUP aber ist der Brexit. Die Nordiren (56 Prozent für den Verbleib) leiden darunter, dass Premier Boris Johnsons auf England konzentrierte Tory-Regierung an Neujahr den harten Ausstieg aus dem Binnenmarkt und der Zollunion mit der EU durchsetzte.
Keine Lösungsvorschläge aus London
Eigentlich wäre damit die kaum noch erkennbare Landgrenze zwischen den Teilen der grünen Insel zur EU-Außengrenze geworden. Weil das den mühsam zurechtgezimmerten Frieden in Nordirland zerstört hätte und deshalb politisch undenkbar war, gilt nun eine Ausnahmeregel. Dieses Protokoll im EU-Austrittsvertrag hält die Landgrenze offen und garantiert den Verbleib von ganz Irland im europäischen Binnenmarkt. Dies machte aber begrenzte Zoll- und Warenkontrollen zwischen der einstigen Bürgerkriegsprovinz und der britischen Hauptinsel nötig – eine Notwendigkeit, die von Johnsons Regierung lang geleugnet oder heruntergespielt wurde.
Neuerdings hat der britische Brexit-Minister David Frost die Taktik gewechselt: Er räumt Probleme ein, schiebt sie aber allesamt der EU in die Schuhe. Ähnlich verhielt sich auch Poots: In Medieninterviews überschüttete er Dubliner Regierungsverantwortliche sowie die EU-Kommission mit Vorwürfen. Der irische Vizepremier Leo Varadkar und der Außenminister Simon Coveney, beide von der Fine-Gael-Partei, seien dafür verantwortlich, dass es in Nordirland zuletzt Versorgungsschwierigkeiten mit Krebsmedikamenten sowie Grundnahrungsmitteln gab. Brüssel behandele Nordirland als „Spielzeug, um das Vereinigte Königreich für den Brexit zu bestrafen“.
Die Reaktion des zuständigen EU-Kommissars Maros Sefcovic fiel kühl aus: Natürlich engagiere sich Brüssel auch weiterhin für den Frieden in Nordirland, zeige „Kreativität und Pragmatismus“. Hingegen habe London bisher keine Vorschläge zur Lösung gemacht. Kommende Woche soll eine neue Verhandlungsrunde die Handelsprobleme beseitigen – gerade noch rechtzeitig, ehe es rund um die traditionsreichen Aufmärsche der Unionisten zu Gewalttätigkeiten kommen kann.
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