Lizenz für mehr Schulden? EU-Kommission verschiebt erneut Defizitverfahren gegen Rom

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Die EU-Kommission hat das angekündigte Defizitverfahren gegen Italien erneut verschoben. Dahinter steckt ein Machtkampf in Brüssel – und Rücksicht auf die Innenpolitik in Rom.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel

Valdis Dombrovskis gab sich unbeugsam: Diesmal werde man hart gegen den „Schuldensünder“ Italien durchgreifen, erklärte der Vizepräsident der EU-Kommission Anfang Juni. Doch nun, da es an die Umsetzung geht, kommen der EU-Behörde plötzlich Zweifel. Eine Entscheidung über das Defizitverfahren wurde am gestrigen Dienstag in Brüssel vertagt. In Rom hofft man nun auf eine Lizenz für noch mehr Schulden.

„Das Kollegium ist keine Industriefabrik, die einen bestimmten Output liefern muss“, begründete Kommissionssprecher Margaritis Schinas den überraschenden Rückzieher. Die Entscheidung sei um eine Woche verschoben worden. Eine Begründung wollte Schinas nicht liefern. Doch für die Vertagung gibt es in Brüssel eigentlich nur einen Grund: Die Kommissare sind sich nicht einig.

Wirtschaftskommissar will „Euroskeptiker nicht gegen sich aufbringen“

Ganz ähnlich wie im vergangenen Herbst, als ein Defizitverfahren bereits schon einmal in letzter Sekunde gestoppt worden war, steht auch diesmal Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici auf der Bremse. Der Franzose fürchtet, dass ein Sanktionsverfahren den italienischen Innenminister Matteo Salvini und seine rechtsradikale Lega stärken könnte. Am Ende könnte Salvini die Macht übernehmen, so die Sorge.

Es müsse vermieden werden, dass die Haltung der Kommission für die politischen Zwecke bestimmter Zirkel in Italien ausgenutzt werde, soll Moscovici gesagt haben. Zwar gebe es keinen Zweifel mehr, dass Italien gegen die EU-Stabilitätsregeln verstoßen hat, heißt es in einem geleakten Sitzungsprotokoll. Aber man müsse vermeiden, die Euroskeptiker in Rom gegen sich aufzubringen.

Es geht also wieder einmal um Politik, nicht (nur) um die Finanzen. Darf man daraus im Umkehrschluss ableiten, dass der italienische Schuldenberg in Höhe von 132 Prozent der Wirtschaftsleistung gar nicht so schlimm ist? Nein, sagen die Hardliner in der EU-Kommission, zu denen neben Dombrovskis auch der deutsche Haushaltskommissar Günther Oettinger zählt. Im Falle Italiens sei es nicht fünf vor, sondern schon fünf nach zwölf.

Neue Begehrlichkeiten nach Brüsseler Rückzug

Doch die Hüter der Stabilitätsregeln konnten sich nicht durchsetzen. Laut Protokoll wurde in Brüssel sogar diskutiert, Italien eine halbjährige Schonfrist zu gewähren – bis Januar 2020. Auch dahinter stecken politische Erwägungen. Die nächste EU-Kommission kommt nämlich erst im November oder Dezember ins Amt.

Bis dahin soll Ruhe herrschen – die EU hat mit dem Brexit schon genug Ärger. In London könnte es Ende Oktober zum Showdown kommen.

In Rom sorgt der Rückzieher aus Brüssel bereits für neue Begehrlichkeiten. Wenn es nötig sei, um Steuern zu senken und mehr Stellen zu schaffen, dann werde die EU auch eine höhere Verschuldung zulassen, sagte Vize-Regierungschef Luigi Di Maio der Zeitung Il Corriere della Sera. Auch Finanzminister Giovanni Tria sieht gute Chancen für eine Einigung. „Ich bin optimistisch“, sagte er in Rom.

Beide stehen unter Druck von Salvini. Der starke Mann in Rom hatte bereits vor der Parlamentswahl Anfang 2018 kräftige Steuersenkungen versprochen. Vor wenigen Tagen hatte er mit seinem Rückzug aus der Regierung gedroht, sollten die Steuern nicht bald runtergehen.