Linken-Abgeordneter Marc Baum: „Wir haben nichts gegen Handel“

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Als die Partei „déi Lénk“ in der vergangenen Woche im Parlament den Antrag stellte, dass die Luxemburger Regierung das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan nicht unterschreiben soll, wollte keine andere Partei die Motion mittragen. Das Tageblatt unterhielt sich mit dem Abgeordneten Marc Baum über Freihandel und die Ideologie der anderen.

Tageblatt: Ihre Partei hatte eine Motion eingereicht, um zu erreichen, dass die Regierung das neue Freihandelsabkommen mit Japan nicht unterschreibt. Was haben Sie gegen Freihandel?
Marc Baum: Wir haben nichts gegen Handel. Das, was als Freihandel bezeichnet wird, bedeutet in der Praxis aber vor allem eine Deregulierung. Deregulierung aber bedeutet einen immer kleiner werdenden Einfluss der Öffentlichkeit und einen immer größeren Einfluss der großen Unternehmen. Und das, auf beiden Seiten. Wir haben keine Angst vor Japan, Kanada oder Australien. Es geht darum, dass die Macht dieser großen Unternehmen durch solche Abkommen stetig zunimmt.

Marc Baum.

Diese Abkommen bestehen aus Hunderten Seiten, gefüllt mit Regeln. Wie können Sie da von einer Deregulierung sprechen?
In Kapitel 16 des Abkommens mit Japan stehen vor allem viele Regeln, wie Unternehmen Einspruch einlegen können und wie die öffentliche Hand dem Rechnung zu tragen hat. Das bedeutet, dass das, was als Regeln daherkommt, in Wirklichkeit das Aufstellen neuer Regeln – etwa im Sozial- und Umweltbereich – erschwert.
In der Bewegung der Freihandelskritiker wird das als Lock-in-Effekt bezeichnet. Das heißt, dass sehr viele Unternehmen gegen jeden Versuch, etwas zu regulieren, Einspruch einlegen können. Sie müssen nur behaupten, dass ihnen persönlich durch eine neue Regulierung, z.B. im Umweltbereich, geschadet wird. Die Beweispflicht liegt bei dem, der die Regel aufgestellt hat, also bei der öffentlichen Instanz, z.B. bei der EU oder der japanischen Regierung.
Durch den Lock-in-Effekt wird es schwerer, Beschränkungen einzuführen. Auch in der Außenhandelskommission wurde gesagt, das sei ziemlich „tough“ und man würde sich dann bereits im Vorfeld zweimal überlegen, ob man tatsächlich eine Regulierung einführt.

Die Verträge bilden auf der anderen Seite einen Schutz vor protektionistischen Maßnahmen.
Ohne protektionistische Maßnahmen würde in Japan nicht eine der besten Whiskey-Sorten hergestellt werden. Japan hat, um diesen Bereich zu fördern, protektionistische Maßnahmen ergriffen. Ähnliche Beispiele gab es in anderen Ländern im Weinbau. Protektionismus ist nicht der Feind. Auch jetzt gibt es viele protektionistische Regeln, zum Beispiel in der Entwicklungspolitik. Damit Entwicklungsländer einen eigenen Markt aufbauen können, dürfen sie nicht mit Waren aus hoch entwickelten Ländern geflutet werden, die natürlich viel effizienter Massenprodukte herstellen können.

Das bedeutet, die Politik des US-Präsidenten Donald Trump ist gut?
Nein. Trump schützt mit seiner Politik nicht die amerikanischen Arbeiter. Im Gegenteil. Trumps Protektionismus läuft darauf hinaus, dass der Markt von verschiedenen Großunternehmen in den USA, die zum Teil seit Generationen in der Hand oligarchischer Familien sind, geschützt wird. Trumps Protektionismus halten selbst Ökonomen in den USA für wirtschaftlichen Schwachsinn. Protektionismus ist weder gut noch schlecht, es kommt auf das Ziel an, das damit erreicht werden soll.

In Luxemburg gehen viele Aktivistinnen und Aktivisten gegen Freihandelsabkommen auf die Straße. Parlament und Regierung sind eher für den Freihandel. Sind die Aktivisten nicht repräsentativ für die Bevölkerung oder das Parlament?
Im November 2016 gab es eine große Demonstration, an der 5.000 Menschen teilnahmen. In Luxemburg kommt es nicht häufig vor, dass Demonstrationen stattfinden, bei denen sich Tausende Leute mobilisieren. Wenn ich aber sehe, dass wir als Linke im Parlament die beiden einzigen waren, die kritische Fragen dazu gestellt haben, dann hat das sehr viel mit einer dominanten Ideologie zu tun.
Ich habe in der zuständigen Kommission einen Fragenkatalog eingereicht, was Japan angeht. Die erste Frage lautet: Gibt es eine Impaktstudie für Luxemburg, und wenn nicht, welche Strategie verfolgt Luxemburg. Welche Sektoren profitieren und können sich positive Effekte erwarten? Welche Sektoren geraten unter Druck, weil die Märkte wachsen? Die Beamten des Außenhandelsministeriums konnten diese Fragen nicht einmal auf Sektoren bezogen beantworten. Wenn jemand diese Fragen nicht beantworten kann und gleichzeitig behauptet, dass dieses Abkommen für jeden von Vorteil ist, dann glaube ich, dass eine Menge Ideologie dahintersteckt und weniger ökonomischer Sachverstand.
Das stört mich in dem Diskurs der Regierung am meisten. Sie argumentiert rein ideologisch.

Sie betrachten das Thema also von einem objektiven und wirtschaftlichen Standpunkt aus?
Auch. Ich erwarte, dass jemand, der behauptet, dass etwas wirtschaftlich sinnvoll ist, dies beweisen kann, anstatt nur ideologisch zu argumentieren, dass durch den Wegfall von Handelsbarrieren der Handel größer wird und jeder profitiert. Das ist eine Aussage, die im Raum steht. Aber wo ist das Zahlenmaterial, um dies zu belegen?
Bei TTIP wurde eine makroökonomische Analyse für die ganze EU gemacht. Das erwartete BIP-Wachstum ist lächerlich klein, gegenüber den Risiken, die im Falle von Deregulierung entstehen.
Auch bei Japan hat die EU-Kommission eine solche makroökonomische Studie gemacht. Die kommt natürlich zum Schluss, dass das Abkommen sinnvoll ist. Die EU würde zwar 1,6 Milliarden Euro Zölle verlieren. Dagegen würden die Länder 10 Milliarden Euro mehr durch Steuern einnehmen. Viele Nichtregierungsorganisationen behaupten, die Methodologie stimme vorne und hinten nicht. Das Ganze ist hochspekulativ und insbesondere die Form der Umsetzung ist infrage zu stellen. In einer meiner Fragen habe ich mich auf die Organisation „Corporate Europe Observatory“ berufen. Durch eine Reihe von Anfragen hat die Organisation herausgefunden, dass es 213 Treffen hinter verschlossenen Türen zwischen der Kommission und „Lobbyisten“ gab. Davon neun mit Organisation aus der Zivilgesellschaft und 190 mit Industrieverbänden. Daran erkennt man bereits, welches Gewicht multinationale Konzerne haben, um in ihrem eigenen Interesse zu wirken.
Es gibt ja bereits Handel mit Japan. Niemand verlangt, dass er eingeschränkt wird. Die Frage lautet, wie der Handel organisiert ist und ob wir nicht über kurz oder lang Gefahr laufen, dass es schwieriger wird, neue Regeln aufzustellen und ob das Gewicht großer Unternehmen noch schwerer wird.

Einer der Punkte, in denen Freihandelsabkommen kritisiert werden, sind Schiedsgerichte. Außenminister Jean Asselborn sprach davon, dass diese Gerichte nun anders gehandhabt werden …
Vorher gab es ISDS (Investor-state dispute settlement; Anm. d. Red.), in dem die Streitparteien selbst Richter waren – außerhalb aller Rechtsnormen, wie wir sie kennen. Das neue System zweiter Generation, das ICS (Investment court system; Anm. d. Red.), soll ein öffentliches Gericht sein mit öffentlich ernannten Richtern, die ein Mandat haben und unabhängig sind. Diese zweite Generation ist aber noch nirgends wirksam. Ein Spruch des Europäischen Gerichtshofes über das ICS mit Kanada steht noch aus. In dem Abkommen mit Japan wurde alles, was Schiedsgerichte betrifft, ausgeklammert – auch weil es unterschiedliche Positionen gibt. Die Europäer hätten gerne das ICS und die Japaner private Schiedsgerichte.
Ich glaube daran, dass die Europäer Druck ausüben, damit es die neuen Gerichte werden. Aber auch die öffentlichen Schiedsgerichte entscheiden auf Basis eines Textes, der in dem Freihandelsabkommen mit Kanada oder Japan steht.
Nehmen wir das Beispiel eines internationalen Bergbaukonzerns mit Sitz in Kanada, der wegen nicht erfüllter Umweltauflagen auf der Ausschlussliste des „Fonds de compensation“ steht. Würde diese Firma sich darüber beschweren, weil sie in Luxemburg ja gegen kein Recht verstoßen hat und sich geschädigt fühlt, weiß ich nicht, wie ein öffentliches Gericht dies handhaben würde. Es entspricht dem Geist des Freihandelsabkommens, Handelshemmnisse zu beseitigen. Andererseits steht im Vertrag ein „right to regulate“. Diese Prinzipien prallen aufeinander. Wenn einmal ein solcher Fall eintritt, wird es interessant zu sehen, welche Rechtsprechung es geben wird. Alleine dass diese Frage offen ist, birgt ein Risiko.

Wie sieht für Sie ein idealer Welthandel aus?
Ein Handel, in dem die einzelnen Länder die Souveränität haben, um Regeln aufzustellen. Dass vor allen die Population der einzelnen Länder in die Diskussionen von Anfang an mit einbezogen werden. Das ist heute nicht der Fall. Vertreter der Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Sozialverbände und Konsumentenschutz müssen bei der Ausarbeitung solcher Abkommen mindestens die gleiche Beachtung finden wie Kapitalinteresse.

Ist es nicht kompliziert, aus einer linken Logik heraus einerseits Grenzen abbauen zu wollen, andererseits aber zu sagen, die Länder sollten ihre wirtschaftlichen und nationalistischen Interessen schützen?
Im besten Fall wahren die Länder nicht nationalistische Interessen. Erstens geht es hier um Europa. Das sind 27 verschiedene Nationen. Wichtig ist, dass es durch die Demokratisierung der Populationen ein Kollektivinteresse gibt. Für mich ist es kein Nationalismus, wenn z.B. Burkina Faso entscheiden würde, eine Landesreform zu machen, um sich gegen Land Grabbing und Baumwollmonokulturen zur Wehr zu setzen, kleinbäuerliche Betriebe zu fördern und den Mark zu schließen. Es geht nicht um die nationalistische Aussage „wir sind besser als die anderen“. Es geht darum, Menschen und Umwelt zu schützen und eine eigene Wirtschaft aufzubauen.

Wenn angeblich weder Mensch noch Land, noch Umwelt gewinnen, wer profitiert von den Freihandelsabkommen?
70 Prozent des Welthandels geschieht zwischen Unternehmen. Oft innerhalb einer Unternehmensgruppe …

… wenn etwa ein Stahlwerk, Vorprodukte für ein anderes Werk herstellt?
ArcelorMittal etwa hat eine zweischneidige Herangehensweise. In Europa z.B. regen sie sich über die Strafzölle der Amerikaner auf. In den USA unterstützt das gleiche Unternehmen Trump mit seinen Strafzöllen, weil dadurch ihre Betriebe in den USA wachsen. Von Freihandelsabkommen profitieren vor allem die großen Unternehmen. Die Europäer sind seit zehn Jahren die, die am meisten Druck machen, um Freihandelsabkommen zu erzielen, nicht die USA. Die Europäer predigen immer Multilateralismus und machen Bilateralismus. Sie greifen einzelne Länder heraus, um Druck auf andere Länder zu machen. Das ist mit Südkorea passiert. Japan musste ein Freihandelsabkommen mit Europa eingehen, damit seine Automobilindustrie auf dem europäischen Markt konkurrenzfähig bleibt – eine Dominostrategie.
Es ist ein Irrglaube der Europäer, sie könnten damit ihren Unternehmen einen Vorteil verschaffen. Denn es sind nicht ihre Unternehmen. Die Unternehmen funktionieren längst global. Die ganz großen Unternehmen profitieren.