Let’s talk about sex – Zu Besuch auf einem Filmdreh in Luxemburg

Let’s talk about sex – Zu Besuch auf einem Filmdreh in Luxemburg
Catherine Dauphin und Larisa Faber Foto: Lisa Folschette

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Seit Menschengedenken gibt es ihn. Mindestens ebenso lange wird versucht, ihn in Worte zu fassen. Und bis heute stellt er mehr als nur einen diskursiven Stolperstein für die Gesellschaft dar: Der Sex. Ihn – oder vielmehr die Art, wie über ihn gesprochen wird – in den Fokus eines künstlerischen Projektes zu stellen, ist demnach kein leichtes, aber definitiv ein spannendes Unterfangen. Wir haben mit Menschen gesprochen, die den Versuch wagen.

Im Skatepark Péitruss läuft eine junge Frau umher, die weder Anstalten macht, sich eines rollbaren Untersatzes zu bedienen, noch schenkt sie den unzähligen Kunstküren, die dort vollzogen werden, wirklich Beachtung. Ihre Aufmerksamkeit gilt einzig und allein Dimitri Besicovitch, der sich zu allem Überfluss vollends mit seinen Rollerblades auf die Nase legt. Das gefällt ihr.

Catherine Dauphin ist nicht etwa Sadistin, sondern sie agiert hier als Regisseurin für die neue Web-Serie „What we talk about when we talk about Sex“, deren Folgen allesamt in Luxemburg gedreht werden. Aber was verbirgt sich hinter diesem sperrigen Titel? „Was den Inhalt anbelangt, so interessiere ich mich vor allem für Beziehungen, sei es im Kontext der Liebe oder eben der Sexualität“, erklärt die junge Filmemacherin. Dass die Endzwanzigerin sich dabei auf den eigenen Erfahrungsschatz sowie jenen ihrer Generation stützt, scheint naheliegend: „Ich habe den Eindruck, dass meine Generation im Allgemeinen, vor allem in Europa, die erste ist, die keinen wirklichen Verpflichtungen wie etwa der Heirat mehr unterliegt. Andererseits ist aber ein Aspekt hinzugekommen; nämlich jener des Konsums.“

Fast-Food-Beischlaf

Dauphin zufolge kann man im digitalen Zeitalter ein fast schon verschwenderisches Verhalten in Bezug auf zwischenmenschliche Verbindungen feststellen, das unter anderem auf Plattformen wie Tinder abzulesen sei. Eben hier möchte sie ansetzen, denn dieser Umstand kann laut Catherine Dauphin nicht unkommentiert im Raum stehen bleiben: „Es gibt eine neue Art von Freiheit, bei der sich die Frage stellt, wie man mit ihr umgehen soll.“
Wie der Titel es schon vermuten lässt, geht es in der Serie weniger um den Sex selbst als vielmehr um die Kommunikation über ebendiesen. Dauphin geht es dabei darum, dass Sprache auch Realität(en) schafft: „Ich glaube, dass die Art, wie wir über etwas reden, viel Einfluss auf unsere Sicht der Welt, unsere Selbstwahrnehmung sowie unsere Beziehungen hat. In einem weiteren Schritt kann dies darauf abfärben, wie wir uns selbst und andere bewerten.“

Als Negativbeispiel hierfür führt sie ein altbekanntes, leider noch nicht vollends aus dem heutigen Alltag verschwundenes, sprachliches Relikt an: „Als ich klein war, galt die Bezeichnung ‚schwul‘ noch als Schimpfwort. Solche Haltungen verändern sich erst mit der Zeit und somit auch die dazugehörige Sprache.“

Wer sich trotzdem die ein oder andere Sexszene erhofft, der sollte wohl direkt auf andere einschlägige Online-Formate zurückgreifen, wenn er (oder sie) nicht enttäuscht werden möchte. Denn die Regisseurin vertritt diesbezüglich eine klare Haltung: „Ich war irgendwann allem voran bei Serien davon gelangweilt, dass Sex quasi für umme verschleudert wird. Da kann man bei einer x-beliebigen Serie, in der es beispielsweise eigentlich um Spionage geht, auf einmal auf eine Sexszene stoßen, die für den Erzählstrang alles andere als relevant ist. Meine Idee ist es, das genaue Gegenteil davon zu tun.“
Alle sechs Rollen (darunter Dauphin selbst) basieren auf Menschen, denen die Filmemacherin begegnet ist oder mit denen sie Gespräche führte, die sie prägten. Für den Film bediente sie sich dann der dramatischen Überspitzung ebendieser. Herausgekommen sind nun unter anderem ein desillusionierter Träumer (Diogo Fernandes), ein „Serien-Verführer“ (Dimitri Besicovitch), eine irritierte Romantikerin (Catherine Dauphin), ein dauergrinsender Sunnyboy (Paul Robert) und eine Art bekehrter Straight-Edger (Philippe Meyrer).

Mit Klischees brechen

Bei wem nun die Klischee-Alarmglocken läuten, liegt nicht ganz falsch: „Mir gefiel die Idee, dass man auf den ersten Blick sehen würde, welches Klischee auf die einzelnen Personen zutreffen könnte, und man dann aber im Laufe der Erzählung Dinge über sie erfährt, durch die man erst begreift, dass mehr dahinter steckt“, erklärt Dauphin.

Genau dies trifft auch auf die letzte noch fehlende im Bunde zu, nämlich die exzentrische, bisexuelle Künstlerin Adèle, die von der luxemburgischen Schauspielerin Larisa Faber gemimt wird. Die Fassade ihres Charakters beginnt nämlich genau in dem Moment zu bröckeln, in dem sie mit der Frage konfrontiert wird, ob sie denn nun Kinder haben möchte oder nicht.

Laut Larisa Faber deckt sich dies durchaus mit Erfahrungen aus ihrem Alltag: „Je mehr ich mich umschaue, umso mehr habe ich den Eindruck, dass wir von Archetypen umzingelt sind. Man wächst mit bestimmten Erwartungen auf und glaubt, dass es Sachen gibt, die im eigenen Leben passieren müssen. Diese sind dann quasi unbewusst schon so konzipiert wie ein Kinomoment.“ Dementsprechend sagt es ihr sehr zu, dass sich die Persönlichkeiten in der Serie über den Klischeegehalt hinaus entwickeln und definiert werden.

Um sich auf die Rolle vorzubereiten, geht Faber so vor, wie sie es auch für andere Rollen tut: „Ich schreibe beispielsweise Tagebuch, also aus der Perspektive meines Charakters heraus. Das hilft dabei, die Figur mit einer konkreteren Backstory zu verbinden und eine andere Perspektive auf die anderen Charaktere sowie Ereignisse zu bekommen.“
Dass nicht nur ihre Figur, sondern auch das Projekt an sich Herausforderungen nicht ausweicht, bewertet die Schauspielerin positiv: „Ich halte es für wichtig, dass wir, also alle, die im Bereich der Kunst arbeiten, besonders in Luxemburg, versuchen, etwas mehr außerhalb jener Kriterien zu denken, die am häufigsten vorkommen.“ Damit bezieht sie sich einerseits auf das Format der Web-Serie, anderseits aber auch auf den Finanzierungsweg, den Catherine Dauphin eingeschlagen hat. Denn neben einer Subvention des „Oeuvre“ versucht sie ebenfalls, den Film über eine Kickstarter-Kampagne zu finanzieren.

D’Keess op an d’Klacken eraus

Rein um finanzielle Mittel geht es Dauphin dabei aber nicht: „Natürlich zielt Crowdfunding auf das Sammeln von Geldern ab, es ist aber auch ein probates Mittel zur Promotion und um Menschen von Anfang an mit in ein Projekt einzubinden. Ich möchte das jetzt nicht wirklich kritisieren, aber es gibt Filme, die in Luxemburg produziert werden, und zwar mit großen Budgets, die aber danach fast niemand sieht. Ich finde das sehr schade. Wenn ich was drehe, möchte ich, dass möglichst viele Menschen das Resultat zu Gesicht bekommen. Damit ich es teilen kann, statt es nur für mich zu behalten.“ Es stecke zu viel Arbeit von mehreren Seiten darin, um es im Verborgenen zu halten, erläutert Dauphin weiterhin.

Es verbleiben noch zehn Tage. Fehlen tun noch knapp 1.000 Euro bis überhaupt ein Fünftel der Zielsumme von 20.000 Euro erreicht ist. Dass man bei Kickstarter-Kampagnen gar kein Geld bekommt, wenn das Ziel nicht erreicht wird, scheint Dauphin jedoch nicht sonderlich nervös zu machen. Es sei den Versuch wert, meint sie: „Kino ist nun mal ein Risikosektor. Wenn man eine Subvention anfragt, gibt man eine Bewerbung ab und wartet. Entweder klappt es oder auch nicht. Falls Letzteres der Fall ist, kann es sein, dass das Projekt nicht gut genug ist, aber es können auch politische Gründe vorliegen oder der Filmfund hat zu dem Zeitpunkt nicht ausreichend Geld. Bei Crowdfunding ist es möglich, anders zu arbeiten und aktiver voranzuschreiten.“

Im Video zur Kickstarter-Kampagne sagt Catherine Dauphin unter anderem, dass man, wenn man eine junge Frau bei der Umsetzung eines derartigen Projektes unterstützen wolle, spenden könne. Darauf angesprochen, ob es einen grundlegenden Unterschied mache, dass sie dies als Frau tue, reagiert sie folgendermaßen: „Es gibt nicht genug Regisseurinnen, allein deswegen macht es schon einen Unterschied. Und wenn man zurückschaut, war die Frau sowohl in der Film- als auch in der Kunstgeschichte häufig ein Lustobjekt. Es ging selten um Frauen, die einen Mann begehren. Das hat damit zu tun, dass überwiegend Männer Filme produzieren und ihre Sicht zeigen. Ich finde das nicht zwingend schlecht, aber es wird Zeit, auch eine andere Perspektive zu zeigen.“

Ob die Serie etwas am allgemeinen Diskurs über Sex ändern wird, lässt Catherine Dauphin offen, verwehrt sich jedoch nicht einer gewissen Hoffnung: „Ich hoffe es. Das ist ja unter anderem das Ziel. Es geht darum, eine etwas andere Seite des Themas zu beleuchten. Ich möchte zeigen, dass jeder seine eigene Vision von etwas hat und alle einzeln ihre Daseinsberechtigung haben, es gar Widersprüche in einer einzigen Person geben kann.“