Dienstag9. Dezember 2025

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Wenn Bartringen im Krieg versinkt„Les Traversées“ ist ein immersives Theaterstück zur Menschlichkeit

Wenn Bartringen im Krieg versinkt / „Les Traversées“ ist ein immersives Theaterstück zur Menschlichkeit
Eindrücke von „Les Traversées“: Bei der Vorführung waren keine Fotos erlaubt, dafür aber bei der Probe  Foto: David Angeletti

Die Luxemburger Croix-Rouge zeigt in diesem Dezember erstmals ein immersives Theaterstück, das die Zuschauer mitten in die Realität von Krieg, Leid und Hoffnung versetzt. „Les Traversées“ ist ein Projekt, das nicht nur informiert, sondern berührt – und das Recht auf Menschlichkeit ins Zentrum rückt.

Das Stück trägt den Titel „Les Traversées“ – ein Durchqueren, ein Übergang, aber auch ein Aushalten. „Das Theater ist der Ort, an dem der Mensch ins Zentrum gestellt wird, um ihn besser zu hören und zu sehen. Was könnte geeigneter sein, um den zeitlosen Appell von Henry Dunant zu verbreiten?“, erklärt Regisseurin Renata Neskovska im Gespräch mit dem Tageblatt. Gemeinsam mit dem internationalen Hilfsdienst der Croix-Rouge hat sie ein Konzept entwickelt, das in einer 250 m2 großen Lagerhalle eine eindringliche Reise durch Geschichte und Gegenwart ermöglicht.

Die Regisseurin Renata Neskovska 
Die Regisseurin Renata Neskovska  Foto: Carole Theisen

Und immersiv ist das Stück auf alle Fälle. Der Abend beginnt bereits vor dem Gebäude der Croix-Rouge in Bartringen, wo Konstantin Rommelfangen als Moderator und Leiter gemeinsam mit seinen Schauspielkolleg*innen das Publikum begrüßt. Nach einigen Fakten über die Arbeit der Organisation führt der Weg durch den Garten hinunter zum „Bloen Hangar“, einer Lagerhalle, in der sonst Spendenartikel lagern.

Nach dreimaligem Klopfen öffnet sich das große Tor – dahinter eine improvisiert wirkende Kriegsunterkunft aus Holz und Stoff, wie sie die Croix-Rouge tatsächlich in Krisengebieten nutzt. Durch diese Unterkunft gelangen die Zuschauer*innen in die Halle, wo sie auf Figuren aus unterschiedlichen Epochen treffen: Soldaten, Krankenpflegerinnen, Überlebende und Zeug*innen.

Noch bevor sie Platz nehmen können, bricht Chaos aus: „Schnell, schnell, hier durch!“, rufen die Figuren. Panik, Krieg – das Publikum wird in die Szenerie hineingezogen. Erst danach beginnt die eigentliche Aufführung.

Henry Dunant als roter Faden

Neskovska erinnert sich an die Anfänge: „Am Anfang stand eine Begegnung. Die Croix-Rouge suchte nach einem Weg, junge Menschen für das humanitäre Völkerrecht zu sensibilisieren – aber ohne schulische Schwere. Es sollte Kunst sein. Erlebnis.“

Bevor sie das Projekt annahm, las die Regisseurin Henry Dunants Schriften – und stieß auf einen Mann, der zeitlebens mit den Schatten seiner eigenen Vision rang. „Ich habe mich in seine Erinnerungen vertieft … und einen Mann getroffen, der zufällig Zeuge der Schlacht von Solferino wurde und nie wieder loskam von den Schreien der Verwundeten. Ein Mensch voller Enthusiasmus, aber auch voller Zweifel.“ Seine Augenzeugenberichte der Schlacht von Solferino bilden den Kern der ersten Szenen.

Immersives Erlebnis: Videoprojektionen unterstützen die Erzählung
Immersives Erlebnis: Videoprojektionen unterstützen die Erzählung Foto: David Angeletti

Der erste Teil des Stücks ist entsprechend der aufreibendste. Schauspieler*innen und Videoprojektionen an den umzingelnden Wänden erzählen wahre Geschichten und Gefühle von Menschen, die den Krieg erlebt haben. Schüsse, Explosionen, Feuer, Tränen – ihre Stimmen verweben sich zu einem chaotischen, nervenaufreibenden Mosaik aus historischen Fakten, literarischen Texten und persönlichen Erinnerungen. Von Solferino bis zur Schlacht um Troja entsteht ein Panorama, das die Grausamkeit der Kriege ebenso zeigt wie die Kraft der Solidarität.

Bereits nach wenigen Minuten verlässt eine Frau den Saal – ihr Sohn ist im Militärdienst aktiv. Später folgen zwei weitere Besucherinnen. Für sie ist die Intensität kaum auszuhalten, doch genau darin liegt die Kraft des Stücks.

Es soll zeigen, wie aus der Erfahrung von Grauen die Idee entstand, Verwundete unabhängig von ihrer Herkunft zu schützen – und medizinisches Personal als neutral zu deklarieren. Ein Gedanke, der später im humanitären Völkerrecht verankert wurde.

Stimmen der Geschichte

Die Dramaturgie greift auf Texte von Euripides, Homer, Karl Kraus, Wajdi Mouawad und die Erinnerungen der „Poilus“ (Veteranen des Ersten Weltkriegs, Anm. d. Red.) zurück. Besonders eindringlich sind die Passagen aus (Nobelpreisträgerin) Svetlana Alexievitchs Interviews mit Frauen im Zweiten Weltkrieg. „Es war schwierig, eine Auswahl zu treffen“, sagt Neskovska. „Aber ich wollte drei große Kapitel der ‚Furie des Krieges‘ zeigen: das erste Erleben von Tod, das Leiden der Verwundeten und die Gewalt gegen Frauen.“ Die Texte sind brutal, aber poetisch. „Es geht darum, die Schönheit der Sprache zu bewahren, auch wenn der Inhalt schwer zu ertragen ist“, betont die Regisseurin.

Ein Stück, in dem viele Emotionen und Bewegung herrschen
Ein Stück, in dem viele Emotionen und Bewegung herrschen Foto: David Angeletti

Der zweite Teil schlägt einen ruhigeren, lehrreichen Ton an. Die Zuschauer*innen erfahren mehr über die Gründung der Croix-Rouge, die Genfer Konventionen, Dunants Lebensweg, sein Glaube an Neutralität und an die Würde selbst des Feindes bis hin zu seinem Friedensnobelpreis 1901. „Man begegnet einem Mann, der vergessen wurde, verarmt, aber weiterhin von seiner Idee getragen“, erklärt Neskovska. Es ist die historische Verankerung des zuvor erlebten Chaos.

Der dritte Teil bricht dann scheinbar radikal aus. Die Zuschauer finden sich plötzlich im antiken Troja wieder – in einem „Tribunal“ über eine der ältesten Kriegserzählungen Europas. Helena, Paris und andere Figuren treten auf, argumentieren über Schuld und Notwendigkeit des Krieges. Was hätte verhindert werden können? Welche Verantwortung tragen die Figuren? Welche Parallelen gibt es heute? „Das ist ein Moment echter Interaktion,“ sagt Neskovska. „Ich lade das Publikum ein, mit uns zu überlegen.“

Klangwelten zwischen Himmel und Hölle

Eine Besonderheit ist das akustische Konzept. Der Komponist Michel Moglia hat ein Universum aus „thermischen Instrumenten“ geschaffen, inspiriert von der historischen „Orgue à feu“. Die Klänge reichen von tiefen, dröhnenden Tönen bis zu hellen, fast mystischen Schwingungen. „Manchmal klingt es wie die Tiefen des Meeres, manchmal wie das Jenseits“, beschreibt Neskovska. „Es ist die Dualität von Himmel und Hölle, die Dunant selbst erlebt hat.“

Projektionen auf fünf Flächen, Schauspieler*innen live und auf Video, Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln – all das erzeugt eine Erfahrung, die jede*r Zuschauer*in anders wahrnimmt. „Es ist ein Stück, das man mehrmals sehen kann, weil man je nach Platz eine andere Perspektive hat“, erklärt Neskovska.

Die antiken Texte hat die Theaterpädagogin für ein junges Publikum zugänglich gemacht, ohne ihren Rhythmus zu brechen. „Ich wollte die klassische Sprache bewahren… aber hier und da eine Wendung verändern, damit sie verstanden wird.“ Die Botschaft: Auch 2.800 Jahre alte Dramen sprechen von uns. Von unseren Ängsten, unseren Abstürzen, unseren Kriegen.

Auf einen Blick

Unbedingt wetterfest anziehen, denn die Vorstellung findet teilweise im Freien statt. Aber keine Sorge, später wird’s wieder trocken und warm!

Weitere Termine: 9., 11. und 12. Dezember 2025, jeweils 19:30 Uhr

Ort: 10, cité Henri Dunant, L-8095 Bartringen

Dauer: 1 St. 45

Sprache: Französisch mit Elementen in Luxemburgisch und Deutsch

Eintritt: frei, Reservierung über Eventbrite

Zielgruppe: ab 15 Jahren