/ Leben in Luxusburg: Warum die Wohnungssuche zur „sozialen Frage“ wird
Seit Jahren steigen die Immobilienpreise in Luxemburg. Ein Preisbruch
ist nicht in Sicht. Mit gravierenden Folgen. Für viele wird die Wohnungssuche zum Problem. Eine Spurensuche.
Von Luc Laboulle und Pol Schock
Vor rund 15 Monaten zog Jeanne (34) mit ihrem damals 16-jährigen Sohn aus der Wohnung ihres Ex-Freundes aus. Weil sie sich mit ihrem Gehalt einer Marktfrau keine eigene Bleibe leisten konnte, suchte sie eine dritte Person, um eine Wohngemeinschaft zu gründen. Der Informatiker Tom (31), ein Bekannter von Jeanne, der damals noch bei seinen Eltern wohnte, weil auch er alleine keine Wohnung bezahlen konnte, erklärte sich bereit, mit den beiden zusammenzuziehen.
Gemeinsam suchten sie ein Drei-Zimmer-Apartment im Süden Luxemburgs. Beide sind im „Minett“ aufgewachsen, haben Familie und Freunde dort. Die Größe der Wohnfläche war zweitrangig. Wichtig war nur, dass die Wohnung in der Nähe eines Bahnhofs oder einer Bushaltestelle liegt, weil Jeanne und ihr Sohn kein Auto besitzen und daher auf den öffentlichen Transport angewiesen sind.
Schnell mussten sie feststellen, dass die meisten Mietwohnungen für „traditionelle“ Familien konzipiert sind. Ein Elternschlafzimmer und ein Kinderzimmer. Zumindest die Objekte, die sie sich leisten konnten.
Vom Süden in den Norden
Wohnungen, die über drei Zimmer verfügten, überschritten meist ihr Budget. Unter 2.000 Euro Monatsmiete war nur selten etwas zu finden. Bei insgesamt 3.000 Euro Nettoeinkommen wäre ihnen zu dritt nur noch wenig zum Leben geblieben.
Eine Wohnung kaufen ging nicht, weil sie nicht über ausreichend Eigenkapital für einen Immobilienkredit verfügten. Auch wenn die Rückzahlungen deutlich niedriger gewesen wären als die Miete. In Bascharage hätten sie einmal fast eine Wohnung gefunden, erzählt Tom. 1.300 Euro hätte sie gekostet. Doch ihre Bewerbung sei umgehend abgewiesen worden, weil der Vermieter die Bedingung gestellt habe, dass mindestens eine Person im Haushalt über ein Nettoeinkommen von wenigstens 4.000 Euro verfügen müsse.
Nach und nach gaben sie ihre Hoffnung, eine Wohnung im Süden zu finden, auf und dehnten ihre Suche in den Norden Luxemburgs aus. Auch der Mietbetrag von 1.400 Euro, den sie sich anfangs als Obergrenze gesetzt hatten, stellte sich schnell als illusorisch heraus. „Zu Beginn gingen wir noch ein bisschen selektiv vor, um im Süden bleiben zu können. Später nahmen wir dann alles, was auch nur ansatzweise in unser Budget gepasst hat“, erzählt Jeanne.
„Wir verdienen zu wenig, um uns eine Wohnung aussuchen zu können, doch zu viel, um Hilfe bekommen zu können“
Nach fast sechsmonatiger Suche und rund 100 Anfragen, von denen viele unbeantwortet blieben, fanden sie schließlich eine Wohnung in Ettelbrück. Mit etwas Glück und dank guter Beziehungen, wie Jeanne schildert: „Bei der Besichtigung trug ich meine Arbeitskleidung mit dem Firmenlogo. Die Vermieterin kannte meinen Arbeitgeber. Von da an war das Eis gebrochen. Auch bei der Wohnungssuche spielt also das Prinzip ‚wann s de ee kenns, deen ee kennt‘ eine Rolle.“
1.700 Euro zahlen sie für die Wohnung in Ettelbrück. Jeanne bleiben durchschnittlich 650 Euro pro Monat für sie und ihren Sohn. Plus Kindergeld. Tom hat wegen seines Studentendarlehens noch 350 Euro zum Leben.
Wohnungsbeihilfe („aide au logement“) hätten sie bereits beantragt, erklärt Tom. Doch ihr Bruttogehalt liege knapp über der Einkommensgrenze. „Wir verdienen zu wenig, um uns eine Wohnung aussuchen zu können, doch zu viel, um Hilfe bekommen zu können“, sagt Tom. Am Ende hat die Wohnungssuche nicht nur Nerven, sondern auch viel Zeit gekostet. Alleine für die Besichtigungen mussten Jeanne und Tom mehrere Urlaubstage opfern.
Mussie und der Mindestlohn
So weit wie die beiden Luxemburger ist der 28-jährige Mussie noch nicht gekommen. Im Mai 2014 kam der gebürtige Eritreer nach Luxemburg, um internationalen Schutz zu beantragen. Fast drei Jahre lang lebte er in einem Flüchtlingsheim in Wecker. Dank des Engagements hilfsbereiter Luxemburger konnte der mittlerweile anerkannte Flüchtling im Januar 2017 mit seinem Freund Solomon eine Wohnung in Düdelingen beziehen. Zu zweit zahlen sie rund 1.400 Euro Miete.
Vergangenes Jahr kam Solomons Frau aus Eritrea nach Luxemburg. Im Frühjahr heirateten sie ein zweites Mal in Düdelingen. Jetzt wohnen sie zu dritt in der Zwei-Zimmer-Wohnung. Sein Freund Solomon und seine Frau wollen nach ihrer Ehe eine Familie gründen. Deshalb muss Mussie sich eine eigene Bleibe suchen.
Seit zehn Monaten arbeitet er im regionalen Tierasyl in Düdelingen. Es läuft gut. Im Januar 2019 soll Mussie einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Er reinigt die Käfige, mäht das Gras und leistet andere Unterhaltsarbeiten. Er verdient den Mindestlohn. Nach Abzug der Steuern und Sozialleistungen bleiben ihm rund 1.700 Euro im Monat.
Schon mehrere Wochen sucht er nach einer Einzimmerwohnung (Studio). Vorzugsweise im Süden, weil er dort arbeitet. Ein Auto hat er nicht. Die durchschnittlichen Mietpreise liegen bei 1.000 bis 1.100 Euro. Nebenkosten inklusive, hat Mussie ausgerechnet. „Zieht man Strom-, Internet- und Telefongebühren ab, bleibt nicht mehr viel übrig. Ich muss ja auch essen. Aber ich habe keine andere Wahl“, erklärt der 28-Jährige. Hinzu kommen noch die Kaution von zwei Monatsmieten und eine Monatsmiete Provision für die Immobilienagentur. Ohne Erspartes ist das viel Geld, das er aufbringen muss.
Die Wohnungssuche gestaltet sich nicht ganz einfach. Mussie spricht eigentlich ganz gut Französisch, doch die Anzeigen im Internet sind für ihn nicht immer leicht verständlich. Auf mehrere Anfragen per E-Mail habe er keine Antwort bekommen. Er sei schon beim Lisko („Lëtzebuerger Integratiouns- a Sozialkohäsiounszenter“) der „Croix-Rouge“ gewesen, doch dort habe man nichts Passendes für ihn gefunden. Genau wie beim „Office social“, wo man nur Familien, aber nicht Alleinstehenden bei der Suche nach einer Mietwohnung helfe.
Zurück in eine staatliche Flüchtlingsunterkunft darf Mussie nicht. Er würde es auch nicht wollen. Viele Bekannte von ihm wohnen schon seit Jahren in einem „Foyer“. Weil sie keine Arbeit finden und die Wohnungen zu teuer sind, kommen sie nicht raus. Im Heim müssen sie sich mit zwei, drei anderen ein winziges Zimmer teilen und haben nie ihre Ruhe. „Man kann dort nicht schlafen, weil ständig jemand Musik hört oder sich einen Film anschaut“, sagt Mussie. Die Mieten für diese Zimmer liegen bei 650 Euro pro Kopf. „Doch mit dem Revis ist es unmöglich, etwas anderes zu finden“, betont der Eritreer. Mussie arbeitet. Er bezieht nicht den Revis. Trotzdem findet er keine Wohnung. Es blieben noch die Angebote privater Internet-Plattformen, die kleine Zimmer in Wohngemeinschaften zu horrenden Preisen vorzugsweise an Flüchtlinge vermieten. Auf diese möchte Mussie, wenn es geht, verzichten.
Luxemburgs Achillesferse
Die geschilderten Fälle sind keine Ausnahmen. Im Gegenteil. Das Problem der Wohnungsnot ist in Luxemburg seit Jahren bekannt. Bereits zu Beginn des Jahrhunderts, als die Immobilienpreise drohten aus den Fugen zu geraten, wollte sich der damalige Premier Jean-Claude Juncker persönlich des Problems annehmen und ernannte es zur „Chefsache“. Ohne Erfolg. Seither sind die Preise weiter gestiegen. Der Mietpreis seit 2005 um rund 45 Prozent, die Kaufpreise gar um 70 Prozent.
Das Problem: Die Gehälter in Luxemburg wachsen nicht im gleichen Verhältnis. Trotz Index, des automatisierten Mechanismus, der die Löhne an die Inflation anpasst, steigen die Löhne im Durchschnitt statistisch gesehen jährlich nur um etwa 1,8 Prozent. Die Reallöhne sind zwischen 2005 und heute gar nur um 0,65 Prozent gestiegen, fallen in manchen Jahren sogar. Das führt zu der einfachen Rechnung, dass es in Luxemburg zunehmend schwieriger wird, durch Lohnarbeit seine Miete zu zahlen, geschweige denn sich eine Immobilie anzuschaffen.
Wer steht besonders unter Druck?
Vor allem Geringverdiener geraten unter Druck. In den urbanen Ballungsgebieten ist für sie kaum noch Platz. Bei Mietpreisen von 20 bis zu 26 Euro pro Quadratmeter kann kein Mindestlohnbezieher mithalten. Auch der Präsident des Unternehmerverbands UEL, Michel Wurth, musste in einem Interview mit dem Tageblatt eingestehen, dass ohne staatliche Transferleistungen Leben in Luxemburg für Mindestlohnempfänger nicht mehr möglich sei.
Doch auch Bürger mit mittlerem Einkommen sind von den Auswirkungen betroffen. Das Beratungsunternehmen PwC hält in einer Analyse des Luxemburger Immobilienmarkts fest, dass die Luxemburger Mittelschicht immer weiter von Luxemburg-Stadt wegzieht – ins Ösling oder auch ins benachbarte Ausland. Seit 2005 sind mehr Luxemburger aus der Stadt ab- als zugezogen.
Warum ist das so? Vereinfacht ausgedrückt, ist die Preisentwicklung am Immobilienmarkt ein negativer bzw. positiver Begleiteffekt – je nachdem aus welcher Perspektive – des wirtschaftlichen Erfolgs. Luxemburg wächst sowohl ökonomisch und demografisch und beides setzt den Immobilienmarkt unter Druck.
Die Bevölkerungszahl in Luxemburg steigt jährlich um rund 14.000 Bürger und ist mittlerweile auf über 600.000 Einwohner angewachsen. Auch hier liegt ein Problem wie bei den Löhnen darin, dass der Immobilienmarkt, also das Wohnungsangebot, nicht im gleichen Verhältnis mitsteigt. Jedes Jahr werden nur 3.500 Wohneinheiten geschaffen. Laut „Observatoire de l’habitat“ müssten es allerdings rund 8.000 sein. Viele Menschen drängen auf einen begrenzten Markt. Die Nachfrage übersteigt das Angebot – die Preise steigen.
Der gleiche Effekt lässt sich bei einem Finale der Fußballweltmeisterschaft beobachten. Viele Menschen drängen in ein Stadion mit begrenzter Platzzahl. Auch hier übersteigt die Nachfrage deutlich das Angebot. Das Resultat: Die Preise schießen in die Höhe.
Was tun? Die Optionen der Politik
Was für Möglichkeiten gibt es dagegen? Die radikale Antwort: Entweder man vergrößert das Stadion oder man verringert die Attraktivität des Spiels. Aber man kann auch regulierend vorgehen: Karten zu eingefrorenen Preisen an unterprivilegierte Schichten veräußern, Spekulation mit Karten am Markt unterbinden – oder auch die Weitergabe der Karten an Verwandte untersagen bzw. besteuern.
Die gleichen Möglichkeiten bieten sich für die Politik auch beim Wohnungsmarkt: bauen, regulieren oder Attraktivität senken. Die Subprime-Krise in den Vereinigten Staaten von 2007 hat dabei gezeigt, dass Letzteres keine Option ist. Wenn die Attraktivität einer Region schwindet und Immobilienpreise dramatisch fallen, sind nachher alle die Verlierer. Auch in der aktuellen Wachstumsdebatte sind nahezu alle Parteien zum Ergebnis gekommen, dass Luxemburg nicht auf Wachstum verzichten kann.
Zudem wollen alle Parteien zusätzlich bauen: Wohnungsbauoffensiven finden sich in sämtlichen Wahlprogrammen. Vor regulierenden Maßnahmen wie der Anhebung der Grundsteuer, die zu einem dichteren Bauen führen würde, oder der Besteuerung von leerstehenden Immobilien schreckt die Politik jedoch zurück – ganz zu schweigen von weiterreichenderen Maßnahmen wie Erbschaftsteuer oder Enteignung.
Denn beim Wohnungsmarkt in Luxemburg gilt es, etwas zu berücksichtigen: 85 Prozent der Luxemburger Bevölkerung leben in einer Immobilie, die ihnen auch selbst gehört. Luxemburg ist ein Land von Immobilieneigentümern. Allerdings fragt sich noch, wie lange. Denn dass Luxemburger Immobilien gute Wertanlagen sind, merken seit einigen Jahren auch internationale Anleger. Sie drängen auf den Markt, setzen ihn zusätzlich unter Druck. In Luxemburg-Stadt beginnt gerade ein Spekulationskampf ähnlich wie in großen Städten wie Zürich, London oder München. Fest steht: Bei der aktuellen Entwicklung ist für Menschen wie Jeanne, Tom und Mussie kaum noch Platz.
Die Grundsteuer – ein Relikt der NS-Zeit
Im April urteilte das deutsche Bundesverfassungsgericht, dass die Grundsteuer in Deutschland verfassungswidrig sei. Die seit mehr als 50 Jahren nicht mehr angepassten Einheitswerte für Grundstücke seien „völlig überholt“ und führten zu „gravierenden Ungleichbehandlungen“. Der deutsche Gesetzgeber müsse bis Ende 2019 eine Neuregelung schaffen.
Was hat das mit Luxemburg zu tun? Eine Menge. Denn die Grundsteuer im Großherzogtum geht auf die NS-Besatzungszeit zurück. Die Gesetzgebung wurde 1941 von der deutschen Zivilverwaltung auf Luxemburg übertragen. Und als der Krieg zu Ende war, blieb die NS-Gesetzgebung bestehen. Bis heute. Auch im Jahre 2018 wird die Grundsteuer in Luxemburg noch auf dem Einheitspreis von 1941 berechnet.
Das führt dazu, dass Grund und Boden in Luxemburg äußerst gering besteuert wird. Die staatlichen Einnahmen liegen bei rund 35 Millionen Euro. Oder wie Gilles Roth (CSV) es einmal gesagt hat: „Die monatlichen Handyrechnungen vieler Bürger sind höher als die jährliche Grundsteuer für ihre Wohnungen.“
Dabei nehmen sich die Parteien seit 30 Jahren vor, die Grundsteuer zu reformieren. Die Forderung steht seit den 1990er-Jahren regelmäßig in den Wahlprogrammen aller Parteien – von KPL bis CSV. Auch 2018 wieder. Bisher hat jedoch keine Regierung den politischen Mut aufgebracht, die Werte anzuheben und das völlig überalterte Gesetz zu überarbeiten. Warum? Weil das Dossier als „heißes Eisen“ gilt, bei dem es für Parteien wenig zu gewinnen, jedoch viel zu verlieren gibt. 85 Prozent der Luxemburger leben in Eigenheimen, die Anhebung der Steuer ist demnach wenig populär. Eine Reform ist allerdings vollkommen überfällig, da sind sich alle Experten inklusive Steuerverwaltung einig. Denn sie würde dazu führen, dass Flächen effizienter genutzt werden und dichter gebaut wird.
ps
Das Problem ist dass einen weiter fortschreitende gentrifizierung in Luxemburg ausgebrochen ist, die mit der Wirtschaftsentwicklung parallel läuft und es schwierig sein wird dem entgegen zu wirken; der Staat müsste massiv und schnell offentlichen Wohnraum erschaffen was aber schwer sein wird da die PAG/PAP Prozedur einfach zu lang ist und mit grossen finanziellen Auflagen verbunden ist..da sollte Remedur geschaffen werden! …..
Wohnungssuche in Luxusburg für Normalverdiener ist unmöglich,
Preise steigen nur so weiter,entweder auswandern oder Gettoverhältnisse,
armselige Politik.