Künstler, Politiker, Kneipengänger: Escher Urgestein Théid Johanns wird ausgezeichnet

Künstler, Politiker, Kneipengänger: Escher Urgestein Théid Johanns wird ausgezeichnet

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Heute Abend wird die Stadt Esch ihrem Künstler Théid Johanns den „Mérite culturel“ überreichen. Der 63-Jährige sieht den Preis nicht als Auszeichnung für sein Lebenswerk, sondern als Anerkennung für die Liebe zu seiner Stadt. Und er freut sich schon auf die Europäische Kulturhauptstadt 2022.

Wer ist Théid Johanns? Eine schwierige Frage, die vermutlich nur seine Frau Yetti definitiv beantworten kann. Als „enigmatisch“ hatte der Kunstkritiker Fernand Weides ihn in einem Artikel bezeichnet. Das trifft es gut.

Was ist Théid Johanns? Das ist leicht. Escher, Künstler, Politiker, Kneipengänger, Person des öffentlichen Lebens.

In Esch kennt fast jeder seinen Namen. „Rouden Théid“ nannten sie ihn früher, auch wegen seiner Nähe zur politischen Linken. Der rote Zopf, der lange Zeit sein Markenzeichen war, ist längst ab. Der Bart ist geblieben, doch er ist heller und länger geworden. Heute nennen ihn alle nur noch ehrfürchtig „Théid“.

Théid hasst die Kälte. „Das geht jetzt die nächsten sechs Monate so“, klagt er beim Rauchen, draußen vor dem „Escher Kafé“. „Doch man gewöhnt sich daran.“ Auf seiner rechten Hand prangt ein großer Ameisenkopf. Sandra Biewers hat ihm das Tattoo kürzlich gestochen. Diese „Sucht“ hat Théid erst vor zehn Jahren befallen. Heute ist auf seinen Armen kaum noch Platz.

Eine andere Sucht hat ihn vor 30 Jahren zur Kunst gebracht. Oder besser gesagt, der Entzug davon. Alkohol und andere Substanzen. Théid redet nicht gerne darüber. Zumindest nicht öffentlich. „Wie das damals eben war, in der Hippie-Zeit.“ Statt weiter mit Musikern, Schauspielern und anderen Künstlern durch die Escher Kneipen zu ziehen, hat er im Alter von 33 Jahren mit dem Malen begonnen. Schon als Kind habe er gerne gemalt. Doch Kunst war für ihn lange etwas „Elitäres“, für das er sich kaum interessierte und von dem er keine Ahnung zu haben glaubte. Als Inspiration hätten ihm Salvador Dalí und „andere Bilder von Kalenderblättern“ gedient. An Dalí habe ihn vor allem dessen Fantasie fasziniert.

Der Künstler

Seine ersten Ausstellungen hatte er im „Café Artiste“ von Luke Haas auf dem Escher Gemeindeplatz und im legendären „Bei de Jangen“ auf dem Brillplatz. Die nächste Etappe war die Galerie „Konschthaus Beim Engel“ in der Hauptstadt, wo er seine Werke gemeinsam mit René Schroeder, Jhemp Bastin und Vicente Fito zeigte. Am Anfang war er unsicher, ob seine Arbeiten etwas taugten: „Ich hatte das ja nicht gelernt. Als Autodidakt bist du nackt. Du wurdest nicht angezogen. Das hat auch Vorteile, denn du kannst dir deine Kleider später selber aussuchen.“

 Die Selbstzweifel wurden kleiner, als der damalige Direktor des nationalen Kunstmuseums, Paul Reiles, Bilder von ihm kaufte. Sowohl für das Museum als auch für seine Privatsammlung. „Das war ein Kenner vom Fach. Da dachte ich mir, dass doch etwas dahinter sein muss“, erzählt Théid. Von da an lief es gut. Die Szene hatte Notiz von ihm genommen. Es folgten weitere Ausstellungen, auch im Ausland.

Doch seine Werke waren dem breiten Publikum im konservativen Luxemburg nicht zugänglich. „Leicht morbide“ seien sie gewesen. Der Einfluss von HR Giger wurde immer offensichtlicher. Schläuche hatten es ihm angetan. Die Verbindung, die sie zwischen Mensch, Natur und Industrie herstellen, faszinierte ihn: „Die Welt ist wie ein großer Computer. Vielleicht stürzt er einmal ab. Doch danach startet er sich wieder neu“, erklärt Théid. Zu den Bildern gesellten sich Installationen.

Bis heute spielt die Schlauch-Metapher in seinen Werken eine wichtige Rolle. Weiß und Schwarz ersetzten die Farbenvielfalt aus der Anfangszeit, von der nur noch grüne Tupfer übrig blieben. Die sind mittlerweile auch verschwunden. „Ich kann mich einfach nicht mehr für eine Farbe entscheiden. Mit Weiß und Schwarz kannst du nichts falsch machen.“
Um den Verkauf seiner Bilder zu steigern, eröffnete Théid 2001 zusammen mit dem Escher Kunstliebhaber Jean-Pierre Seil und dessen Sohn Sascha die Kunstgalerie B/C2 in der ehemaligen „Celula“ in Bettemburg. Der Laden lief gut.

Der große Durchbruch kam 2004, als der „Cercle artistique du Luxembourg“ (CAL) Théid den „Prix Pierre Werner“ verlieh. „Schon nach meiner dritten Teilnahme gewann ich den ersten Preis. Das war alles so abstrakt für mich. Da sind ja so viele Leute dabei und auf einmal gewinnst du. Das war schon komisch. Ich habe mich sehr gefreut, doch ich habe nicht verstanden, wieso.“

Als CAL-Preisträger hätte Théid Johanns in den folgenden Jahren Karriere machen können. „Weil ich ja immer gerne ein bisschen wachse, hätte ich auf Kunstmessen ins Ausland gehen oder Beziehungen zu Galerien in anderen Städten aufbauen müssen.“ Er dachte sogar daran, nach Berlin zu ziehen, um dort weiter zu „wachsen“. Doch das war ihm zu viel. 2007 wurde B/C2 verkauft. Théid musste sich um seine Familie kümmern und wollte seine Arbeit nicht aufgeben.

Im Alter von 15 Jahren kam er nach dem Abbruch der Handwerkerschule als Bleigießer bei den Setzmaschinen in der Druckerei des Tageblatt unter. Dort machte er alle Umstellungen mit. Vor allem die Digitalisierung stellte eine Herausforderung dar. Doch Théid meisterte sie. Er wurde technischer Assistent der Redaktion und konnte dabei sein grafisches Talent unter Beweis stellen. Die Auseinandersetzung mit Programmen wie Photoshop oder InDesign beeinflusste auch seine künstlerische Arbeit. Vor sechs Jahren ging er in Rente. Die Entscheidung, nicht zu wachsen und in Luxemburg zu bleiben, hinterließ bei Théid Johanns ein Loch. Die Kunst war auf einmal etwas in den Hintergrund gerückt.

Zur Hilfe kam ihm sein Freund Marc Baum. Der Abgeordnete, mit dem er regelmäßig im Café „Pitcher“ über Politik diskutierte, fragte ihn 2011, ob er auf der Liste von „déi Lénk“ für die Gemeindewahlen kandidieren wolle. Théid stimmte zu und wurde auf Anhieb gewählt. Drei Jahre nahm er als Oppositionsrat an den Sitzungen teil.

2013 ließ er sich sogar für die Nationalwahlen aufstellen. Auf der Liste des Südbezirks belegte er hinter Baum und Serge Urbany den dritten Platz. „Hätten wir im Süden den zweiten Sitz erreicht, hätte ich wegen des Rotationsprinzips in die Chamber kommen können. Dann hätte ich eine Entscheidung treffen müssen.“

Bei den Gemeindewahlen 2017 trat Théid nicht mehr an. Zwei Jahre zuvor hatte er zusammen mit dem Künstlerpaar Daisy Wagner und Jeff Keiser begonnen, Ausstellungen in abrissreifen Gebäuden zu veranstalten. Auch der Bildhauer Sergio Sardelli, mit dem Johanns sich seit Jahren ein Atelier teilt, ist mit dabei. „Er ist meine zweite Ehefrau“, lacht Théid. Gemeinsam gründeten die vier das Künstlerkollektiv Cueva. Die temporären Ausstellungen wurden immer größer und beliebter: Quartier3, Zaepert, Uecht, Lankelz.
Mit der Politik war diese Tätigkeit nicht mehr vereinbar. Er habe die Künstler nicht für politische Zwecke missbrauchen und sich wieder ganz der Kunst zuwenden wollen: „Ich habe noch immer meine politischen Überzeugungen, doch ich will nicht mehr aktiv in der ersten Reihe stehen. Das kostet zu viel Zeit und Kopfzerbrechen, um mich auf die Kunst einlassen zu können. Ich will frei sein von sämtlichen Formationen. Wenn schon Autodidakt, dann auch richtig.“

Zusammen mit seinen Kollegen von Cueva will er bald ein Projekt für die Europäische Kulturhauptstadt einreichen: „Es ist ein Lebensmoment. Was man bisher nur vom Fernsehen kannte, kommt nun in unsere Stadt. Ich erwarte mir, dass Esch 2022 mehr Aufgeschlossenheit in die Region bringt und die Leute von Dingen fasziniert werden, die sie bislang nicht kennen.“

Der Politiker

Wohl auch wegen des Erfolgs der Cueva-Ausstellungen hat die Kulturkommission der Stadt Esch vor einigen Monaten entschieden, Théid Johanns am morgigen Samstag den „Mérite culturel“ zu überreichen. Théid reiht sich damit in die Liste namhafter Preisträger ein: Jeannot Bewing (2005), Guy Helminger (2006), Jeannette Braun-Giampellegrini (2008), Guy Wagner (2010), die „Escher Liewensfrou“ (2012), die „Chorale municipale Uelzecht“ (2014) und Bettina Scholl-Sabbatini (2016).

Die Entscheidung, den „Mérite culturel“ an Théid Johanns zu überreichen, war nicht unumstritten. Neben ihm war auch die Escher „Harmonie municipale“ vom Schöffenrat vorgeschlagen worden. Die Kulturkommission tat sich schwer damit, eine Entscheidung zu treffen. Deshalb schuf der Gemeinderat Mitte Juni das Prinzip der Geheimwahl zur Bestimmung des Preisträgers ab.

Über den Preis freut sich Théid natürlich. Als er als kleiner „Gaassebouf“ durch die Straßen des Brill gelaufen sei, habe er nicht im Traum daran gedacht, dass er es bis hierhin schaffen würde. „Ich sehe den Preis nicht als Auszeichnung für mein Lebenswerk, sondern als Anerkennung meines Engagements und meiner Liebe zur Stadt Esch. Ich bin gerne hier. Wie soll ich sagen? Es ist mein Nest!“