Wohnpolitik Kooperative „Adhoc“ scheitert mit Wohnprojekt auf Kirchberg  

Wohnpolitik  / Kooperative „Adhoc“ scheitert mit Wohnprojekt auf Kirchberg  
Mehrere Jahre Vorarbeit und ein bitteres Fazit: Das erste Projekt der Kooperative „Adhoc“ zu gemeinschaftlichem Wohnen auf Genossenschaftsbasis scheitert Foto: Editpress/Julien Garroy

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Das Klagelied der Wohnungsnot schallt schon lange durchs Land. Und keiner unternimmt etwas. Im Gegenteil: Gerade ist die erste genossenschaftliche Initiative für gemeinschaftliches Wohnen auf dem Kirchberg gescheitert. Die Vergabe des Baulandes durch den „Fonds Kirchberg“ läuft nun doch in einer öffentlichen Ausschreibung – an den Meistbietenden.

Die Initiative „Adhoc“ ist enttäuscht. Es wäre ihr erstes Projekt seit der Gründung als Kooperative 2016 gewesen und das erste genossenschaftliche Wohnprojekt im Land überhaupt. „Bei der aktuellen, öffentlichen Ausschreibung können wir nicht mithalten“, sagt Cédric Metz (33), Sekretär von „Adhoc“. „Wir sind raus.“

Dabei waren vom Besitzer des Baugeländes, dem „Fonds Kirchberg“, bis zur Politik quer durch die Parteien alle begeistert von der Idee. Die Geschichte beginnt 2016 mit der Gründung der Kooperative „Adhoc“ mit inzwischen 40 Mitgliedern. Sie bringt Menschen zusammen, die miteinander wohnen wollen.

Auf der Basis des genossenschaftlichen Gedankens entwickeln sie eine gemeinsame Idee von Nachbarschaft, bewegen sich weg vom Eigentumsgedanken und der Anonymität großer Wohnblocks. Es geht um geregelte Nähe mit der Option auf Distanz. „Jeder hat seine Wohneinheit und es gibt Gemeinschaftsräume“, sagt Metz.

Gebäude gehört der Kooperative

Der Politologe hat während des Studiums in Brüssel  Erfahrungen in Wohngemeinschaften gemacht und wohnt in Luxemburg längere Zeit in einer Wohngemeinschaft. „Ich wollte monatlich nicht so viel Geld ausgeben nur zum Wohnen“, sagt Metz. Mit Gedanken wie diesen steht er nicht alleine da.

In Genossenschaften gehört das Gebäude den „Genossen“, in diesem Fall „Adhoc“, der in dem Projekt Bauträger gewesen wäre. Die Kosten – vorgesehen waren rund 12 Millionen Euro – werden nach dem Einzug auf die Bewohner verteilt. Daraus berechnet sich zusammen mit den Nebenkosten und einer Rücklage für Reparaturen das „Nutzungsentgelt“ pro Quadratmeter genutzter Fläche.

Das ist weit entfernt, von dem, was Miete ist – finanziell wie ideell. „Wir müssen keinen Gewinnanteil eines Vermieters abdecken“, sagt Richard Scheibel (65). „Deshalb ist der Betrag deutlich niedriger.“ Der Ingenieur für Umwelttechnik und Betriebswirt berät seit zehn Jahren Initiativen für alternative Wohnprojekte wie „Adhoc“.

Streitpunkt ist der „Bail emphytéotique“

Alleinstehende, Paare oder Familien mit Kindern sollten in den 35 Wohneinheiten im Kirchberger Stadtteil „Reimerwee“ Neues probieren. In der Phase des Sich-Kennenlernens und Zusammenraufens kommen ab 2016 rund 1.000 Stunden für vorbereitende Treffen und Besprechungen zusammen.

250.000 Euro Kosten fallen an, um unter anderem fertig ausgearbeitete Architektenpläne vorlegen zu können. Das Projekt scheitert letztendlich an Geld und politischem Mut. Von Anfang an ist der „Bail emphytéotique“ für das Baugelände ein Streitpunkt. Er wird üblicherweise auf 99 Jahre abgeschlossen.

„Eine Genossenschaft hätte das Bauland nie kaufen können“, sagt Berater Scheibel. Und sie hätte den „Bail“ auch nie in einer Summe, wie in der aktuellen Ausschreibung vorgesehen, aufbringen können. „Adhoc“ verhandelt über monatliche oder jährliche Zahlungen auf eine lange Laufzeit. Der Fonds verweist in dieser Frage an die Politik.

Sie sichert zu, sich darum zu kümmern. Schlussendlich beendet der „Fonds Kirchberg“ im Sommer 2020 die Verhandlungen mit der Kooperative. Das Baugelände soll nun doch öffentlich ausgeschrieben werden. „Adhoc“ könne sich ja beteiligen, heißt es bei den Beteiligten.

Acht Monate dauert es, bis die Ausschreibung veröffentlicht wird. Sie ist am 11. Juni 2021 ausgelaufen und zeigt, wie groß die Kehrtwende ist. „Promoteure“ sind im Spiel, die Wohnungen werden, wenn fertig gebaut, verkauft und die Käufer sucht der „Fonds“ aus. Der „Bail emphytéotique“ ist geblieben und wird nun in einer Summe fällig – vom Meistbietenden.

Versäumnis der Politik 

Damit wurde die Chance verpasst, in Luxemburg etwas zu etablieren, das in anderen Ländern längst Praxis ist. In Rheinland-Pfalz gehört die Begleitung solcher Projekte mittlerweile zum Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung. „Gemeinschaftswohnen ist schon lange nicht mehr nur ein Lebensstil, sondern gehört bei uns zur Sozialpolitik“, sagt Thomas Pfundstein (66) in Mainz (D).

Er hat die letzten zehn Jahre Initiativen wie die von „Adhoc“ in Rheinland-Pfalz begleitet und wertet die Wohnform als Abhilfe für verschiedene, unvereinbare Phänomene. Dazu gehört der steigende Anteil von Einpersonenhaushalten in den Ballungsgebieten, dem andernorts für Normalverdiener viel zu hohe Grundstücks- und Baukosten für Einfamilienhäuser gegenüberstehen.

Alles können Projekte zum Gemeinschaftswohnen nicht lösen, aber sie sind ein Anfang und vielleicht ein Ausweg. „Aus unserer Sicht hat die Politik es versäumt, dieses Projekt zu ermöglichen“, sagt Metz. „Wenn man andere Wohnformen will, müssen die Ausschreibungen anders laufen.“

Metz und Scheibel sprechen vom im Ausland längst üblichen „Konzeptvergabeverfahren“ im Gegensatz zum Bieterverfahren. Das kennt auch Pfundstein. „Wenn Sie im Bieterverfahren Baugelände verkaufen, gewinnt das Geld“, sagt er. „Dann entstehen High-End-Wohnungen, die sich niemand mehr leisten kann.“ Beispiele dafür gibt es in der Hauptstadt genug.

Im Konzeptvergabeverfahren wird Bauland nicht demjenigen zugesprochen, der am meisten zahlt. Es bekommt derjenige den Zuschlag, der das beste Konzept zur späteren Nutzung vorlegt. „Dann haben Genossenschaften eine Chance“, sagt Metz und zieht ein bitteres Fazit.

„Die Politik ist sehr fahrlässig mit den Erwartungen und dem Engagement umgegangen, die in so einem Projekt entstehen“, sagt er. „Da muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen das Vertrauen verlieren.“ „Adhoc“ wird nun mit Privatpersonen weitermachen, die Projekte wie diese finanzieren wollen. Sollte ein Gemeinschaftswohnen zustande kommen, werden sie von sich reden machen. A voir also.

Inspiration: Beispiele im umliegenden Ausland

Trier: www.schammatdorf.de; Frankfurt: www.gemeinschaftliches-wohnen.de; Wohnprojekte in Deutschland: https://www.wohnprojekte-portal.de/projektsuche; Wohnprojekte in Frankreich: https://www.habitatparticipatif-france.fr/?HPFCartographie; Wohnprojekte in der belgischen Wallonie: https://www.habitat-groupe.be/liste-habitats-alternatifs; Wohnprojekte im flämischen Belgien: https://www.samenhuizen.be/initiatief-en-startgroepen: adhoc.lu