/ Klangwelten made in Luxembourg: Aufregende neue Musik aus dem Großherzogtum
Soundtrack einer Reise
MINOTAURE DU NORD: Songs From The Labyrinth
Er gehört wohl zu den bekanntesten mythologischen Figuren: der Minotaurus. Jener Menschenfresser, auf dessen Körper ein stierartiges Antlitz thront. Etliche Künstler haben sich seiner angenommen, sei es der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges, Picasso oder auch der Bildhauer Max Ernst. Das neue luxemburgische Projekt „Minotaure du Nord“ kommt von seiner Herangehensweise her der Interpretation von Friedrich Dürrenmatts „Minotaurus. Eine Ballade“ wohl am nächsten.
In Bezug auf dieses Werk heißt es nämlich, wie der Deutschlandfunk es nicht besser hätte ausdrücken können: „Vom menschenfressenden Ungeheuer wird er (…) zum Opfer undurchschaubarer Umstände und zum Sinnbild gegenwärtiger Orientierungslosigkeit.“ Die neu formierte Band um Fränz Hausemer verliert sich nicht im Labyrinth des Lebens, stellt dennoch existenzielle Fragen und verweist textlich wie musikalisch darauf, dass meist mehr als nur zwei Seelen in einer jeden Brust verweilen. Treffender hätte man den Titel also nicht wählen können: „Songs From The Labyrinth“.
In einem Interview mit rosportlife.com erklärt der Sänger, Pianist und Gitarrist Hausemer, die meisten Texte habe er auf Reisen verfasst. Demnach erstaunt es nicht weiter, dass fast jedes Lied wie eine kurze Reise in das eigene Bewusstsein anmutet. In „Je me parle“ findet ein innerer Dialog statt. „Je me parle à moi-même/je me débat tout seul avec moi/je tergiverse et me demande/si l’on n’est pas toujours deux voire trois.“ Ein Selbstgespräch der besonderen Art, möchte man sagen und eine überlebenswichtige Selbstreflektion.
Die Texte drehen sich jedoch nicht nur um das eigene Ego, auch gesamtgesellschaftliche Aspekte kommen zum Tragen, beispielsweise in „Ikarus“, bei dem man die Zeilen „We can all buy some freedom/somewhere on the map/freedom from yourself, freedom from the pain“ als käufliche Fluchten vor sich selbst verstehen könnte. Ein Phänomen, das viele Gesichter hat, allem voran in der westlichen Welt.
In „Patras“ ist die Rede von Menschen, die untergehen und vorerst aus dem Blickfeld verschwinden, dann aber wieder auftauchen. Im Lied werden sie zu „shadow people with their constant plight“. Hier kann man sich einerseits an jene Personen erinnert fühlen, die am sogenannten „Rand der Gesellschaft“ leben und wenig Gehör finden. Anderseits bekommt man bei diesen Zeilen jedoch auch nicht mehr jene Bilder von Menschen aus dem Kopf, die auf der Flucht im Meer ertranken.
Die Musik von „Minotaure du Nord“ ist konfrontativ, ohne zu harsch vorzugehen. Das durch die Stimme, Gitarre, Klavier (Fränz Hausemer), Percussions (Guy Frisch), Kontrabass (Benoit Legot) und Violine (André Pons-Valde) gezeichnete Klangbild hält zahlreiche melancholische Töne bereit, verpasst es indes nicht, ein klein wenig Hoffnung hörbar zu machen.
Beeindruckend sind ohne Zweifel die Genrewechsel auf den zehn Tracks, die das Album zu einem interessanten Gesamtgefüge machen. Während „Violence“ eher rockiger daherkommt und mit den Violine-Einlagen etwas an die französische Band Louis Attaque erinnert, beinhaltet „Porte“ Chanson-Elemente. „Better Off“ erinnert ein wenig an Pop aus den Zeiten, als dieser noch keiner Verseuchung des Gehörgangs gleichkam und „Gods And Men“ hat seine jazzigen Momente.
Neben französischen und englischen Texten befindet sich auch ein luxemburgischer Song auf der neuen Platte, nämlich „3 Kueben“ aus der Feder des luxemburgischen Autors Marcel Reuland. Wer die Arbeit des Quartetts kennenlernen möchte, sollte definitiv Zeit und Hingabe beim Hören mitbringen, es wird sich lohnen. Anne Schaaf
Neudefinition von „Tanzmusik“
EDSUN: You Are Not Just One Thing
Bestimmte Genrebezeichnungen und vor allem ihre Vertreter haben es nicht leicht. Obwohl der einen oder anderen Musikrichtung ein spannendes Fundament zugrunde liegt, gerät diese Tatsache in den Hintergrund, wenn das, was auf den Radios hoch und runter läuft, wenig von Qualität oder Kreativität zeugt. So ergeht es dem R&B bis heute. Viele verbinden mit ihm lediglich das teils sehr kommerzielle und kitschige Gesäusel, vor dem gerade Ende der 90er und in den Nullerjahren niemand sicher war.
Da ist es durchaus erfrischend, wenn neue Künstler im wahrsten Sinne des Wortes ihre Stimme erheben und zeigen, dass es auch anders geht. Der Sänger und Tänzer Edsun ist einer von ihnen und hat seinen eigenen „Alternative R&B“ geschaffen. Sein neues Album „You Are Not Just One Thing“ kann nicht ohne die Verbindung zwischen eben diesen beiden Tätigkeiten gedacht, gehört und gesehen werden.
Edsun vereint seine beiden Leidenschaften nicht nur in seiner Persönlichkeit, sondern auch bei seiner künstlerischen Arbeit. Durch diesen Umstand erlangt der Begriff „Tanzmusik“ eine ganz andere Ebene, denn nicht nur seine Worte, sondern auch seine Bewegungen erzählen eine Geschichte.
Schon vor der Veröffentlichung des Albums erschien ein Video zum Track „Lisa“, der perfekt illustriert, was gemeint ist. Trotz des gewählten geläufigen Mädchennamens sind zwei männliche Tänzer zu sehen, die sich in einer intensiven Auseinandersetzung befinden. Hier wurde sich ganz klar jener Recherchen und Reflektionen bedient, die Edsun im Rahmen seines „Platonic Touch“-Projekts aneignete, bei dem es um die Stigmatisierung von Berührungen zwischen Männern geht. Passend dazu heißt es in den Lyrics: „Let me break your system“, später auch „undo my knots“ und „let my hands collect your fears“. Was man hier vorfindet, sind also nicht nur gesungene, sondern auch getanzte Tabubrüche.
Diesen hat sich der Künstler verschrieben und gibt auch in „Blue Detainee“ zu verstehen, dass er nicht lockerlassen wird: „Don’t wanna sit still/it would be a sin.“ Frei nach dem Titel findet die Befreiung aus einer (gesellschaftlichen) Gefangenschaft statt, die Edsun nicht ausschließlich für sich beansprucht. Vielmehr möchte er sie weitergeben, anderen Mut machen. Klarstellen, dass sie, wie es schon im Albumtitel heißt, „not just one thing“ sind. Pazifistischer könnte er dabei nicht vorgehen, seinem Tanz wie auch seiner Musik wohnt eine Ruhe inne, es liegt ihm fern, aggressiv vorzupreschen. Was jedoch keineswegs bedeutet, dass es seiner Kunst an Durchschlagskraft fehlen würde. Er beweist lediglich, dass auch Zärtlichkeit eine wertvolle Waffe sein kann, in einem Kampf, der noch längst nicht gewonnen ist.
An dieser Stelle sei kurz daran erinnert, dass der ursprüngliche Name von R&B „Race-Music“ lautet. Er wurde ab 1920 verwendet, um hauptsächlich Aufnahmen zu bezeichnen, die von Afroamerikanern stammten. Während man heute glücklicherweise nicht mehr von verschiedenen Rassen spricht, fehlt es zumindest dem reflektierten R&B nicht an Reflektionen über die eigene Identität. Mit den Songzeilen „I’m seeking refuge in your armour/my DNA has a new colour“ macht er sinnbildlich darauf aufmerksam, wie Selbst- und Fremdwahrnehmung zusammenhängen können; welche überlebenswichtigen Funktionen Akzeptanz und Toleranz haben können. Denn schlussendlich sind wir alle „made out of water“, wie es im letzten Lied des Albums heißt. Wie man sieht, sind die Texte überwiegend auf Englisch, interessant ist jedoch, dass ein einziger Satz auf Portugiesisch ist, nämlich „ond’é bo amor“ – wo ist die Liebe hin?
Auf rein musikalischer Ebene wird weitestgehend auf Schnick, Schnack und Schnörkel verzichtet. Vielmehr findet man hier ein sehr Electronica-lastiges, minimalistisches Grundgerüst wieder, bei dem Effekte auf dezente Art und Weise zum Einsatz kommen, um die hauchige, aber klare Stimme Edsuns zu unterstützen, ohne sich vor sie zu drängen. Im Eröffnungstrack „Iris“, auf dem Edsun eher rhythmisch spricht, statt zu singen, wird seine Stimme beispielsweise sanft auf sphärische Klänge gebettet.
Der Grundton ist ohne Zweifel düster, verfällt aber nicht in eine unnötige Melodramatik, die man nicht mehr ernst nehmen könnte. Für R&B eher ungewöhnlich ist der mehrfache Einsatz von etwas, das sich wohl am besten mit „Störgeräusch“ betiteln ließ. Es driftet jedoch nicht ins Disharmonische ab, die Stellen sind raffiniert und sinnvoll gewählt. Der Track „Tangled“ ist hierfür ein gutes Beispiel. Edsun ist kein Newcomer, denn seine künstlerische Reise begann schon vor vielen Jahren. Sie ist jedoch längst noch vorbei. Das beruhigt, denn so werden wir hoffentlich noch viel von ihm zu sehen und zu hören bekommen. Anne Schaaf
Trompe-l’oreille:
MOUNT STEALTH: EP3
Avec son titre en forme de trompe-l’œil (cet „EP3“ est en effet un LP), Mount Stealth sort avec discrétion le meilleur album math-rock luxembourgeois depuis „Digital Tropics“ de Mutiny On The Bounty.
Mount Stealth est un groupe de mathrock tellement discret qu’on ne savait plus vraiment si, après deux excellents EPs aux titres tout aussi discrets (le premier s’appelait „EP“, le deuxième „EP2”), le groupe continuait à être actif puisqu’il ne se produisait plus guère en concert. Une telle réserve, à une époque où toute l’attention revient à ceux qui gueulent le plus fort (et dont Trump est du coup un alarmant symptôme), est à la fois admirable – car à contre-courant – et dangereuse, puisque la musique que produit le groupe risque de passer inaperçue. Ce qui, au vu de la qualité de leurs compositions, serait fort dommage.
Poursuivant son bonhomme de chemin, Mount Stealth vient donc de sortir, en toute logique, un nouveau volet intitulé „EP3“. Pourtant, cette fois-ci, le groupe se joue quelque peu de la dénomination générique que porte le disque puisque cet „EP3“ constitue, avec ses neuf titres et 43 minutes, son premier véritable album. Jouant avec ruse d’un tel décalage entre emballage et contenu, feignant de minimiser le format de ce nouvel album ou commentant sur le peu d’intérêt qu’il reste, à l’ère digitale, de distinguer entre album et des formats plus courts, Mount Stealth glisse du jeu dans sa machinerie – et il est vrai que ce côté ludique se retrouve aussi sur un album qui poursuit le style des deux productions précédentes en l’affinant, en y glissant un plaisir musical encore plus accentué, ce qui est dû en grande partie (mais pas seulement) au travail sur les synthés, plus raffiné et plus abouti encore qu’avant.
Qu’il s’agisse des titres des chansons („Durum Quest“, „Telenovella“), où le groupe fait un clin d’œil à la titraille souvent drôle de la musique instrumentale (les Écossais de Mogwai sont les précurseurs d’un tel procédé onomastique), de la richesse référentielle des synthés („Tarmaxx“ et son côté John Carpenter) ou tout simplement du foisonnement d’idées et de mélodies, cet „EP3“ constitue tout simplement le meilleur album mathrock luxembourgeois depuis le sublime „Digital Tropics“ de Mutiny On The Bounty. Du premier au dernier titre, tout colle: côté production, c’est à la fois nickel sans être trop lisse, côté structuration, les titres sont à la fois dansants tout en offrant des progressions subtiles, côté performance, tout instrumentaliste excelle dans ce qu’il fait et côté écriture, les compositions varient les styles (l’aspect jazzy d’„Ethno“, le très Mutiny „Telenovella“), brisant avec le cliché qui veut que des genres instrumentaux comme le postrock et le math rock se contentent de suivre à la lettre des formules éculées.
Dommage donc que le groupe ait annoncé qu’il allait désormais fonctionner comme collectif plutôt que comme véritable groupe et qu’en l’occurrence, il ne se produirait plus sur scène. Jeff Schinker
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