Klangwelten: Gut ausbalanciert zurück in die 80er

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Eleganter Balanceakt

BELLE & SEBASTIAN – Days Of The Bagnold Summer

Glasgows wundervolle Indiepopper sind zurück. Einen Monat nach ihrem fünftägigen Bootstrip The Boaty Weekender, der in Barcelona begann, in Cagliari endete und auf dem sie von Mogwai, Yo La Tengo, Camera Obscura, Teenage Fanclub, The Buzzcocks und vielen weiteren Acts begleitet wurden, erschien das zehnte Belle&Sebastian-Album Days Of The Bagnold Summer.

Eigentlich ist Days Of The Bagnold Summer eine Graphic Novel von Jeff Winterheart aus dem Jahr 2012 und wurde jetzt von Simon Bird verfilmt. Dessen Regiedebüt mit Tamsin Greig, Alice Low, Rob Brydon und Earl Cave (The End Of The F***ing World), Sohn von Susie Bick und Nick Cave, soll 2020 in die Kinos kommen. Für den gleichnamigen Soundtrack, der ungewöhnlicherweise weit vor dem Film erhältlich ist, wurden Belle & Sebastian verpflichtet. Was auf der Hand lag, da Bandkopf Stuart Murdoch großer Fan der Graphic Novel ist und Bird wiederum großer Fan der schottischen Indiepop-Truppe.

Days Of The Bagnold Summer mag als Soundtrack konzipiert sein, ist letztlich aber ein typisches Belle&Sebastian-Album. Neben einer neuen Version von Get Me Away From Here, I’m Dying vom Album If You’re Feeling Sinister (1996) und I Know Where The Summer Goes von der 98er EP This Is Just A Modern Rock Song gibt es elf neue Kompositionen. Wobei neu relativ ist, denn das Grundgerüst zu Safety Valve ist bereits circa 25 Jahre alt und damit älter als die Band selbst.

Wichtiger ist indes jedoch: Alte und neue Songs harmonieren miteinander. Das Stimmungsspektrum reicht von melancholisch (Did The Day Go Just Like You Wanted?) bis zu meditativ-psychedelisch (The Colour’s Gonna Run). Musikalisch balanciert die Band elegant zwischen süßlichen Indiepop-Melodien, Rock und cineastischen Momenten. Selbst wenn weder Murdoch noch Sarah Martin singen, sind die Songs eindeutig Belle & Sebastian zuzuschreiben.

Von Kai Florian Becker

RATING: 8/10
ANSPIELTIPPS: Get Me Away From Here, I’m Dying, Safety Valve, The Colour’s Gonna Run


80er-Jahre-Album

BAT FOR LASHES – Lost Girls

Der gebürtigen Engländerin Natasha Khan, besser bekannt als Bat For Lashes, war nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums The Bride (2016) nach einer Pause. Ihr Vertrag mit Major EMI war zudem beendet, und sie beschloss, von London nach Los Angeles zu ziehen. Dort wollte sie Drehbücher und Soundtracks schreiben. Tatsächlich veröffentlichte sie – von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt – im letzten Jahr zusammen mit dem britischen Komponisten Dominik Scherrer den Soundtrack zu der BBC-Miniserie Requiem.

Als sie dann – inspiriert von den Kultfilmen E.T. und Die Goonies – an einem Skript für einen 80er-Jahre-Kinder- und Vampirfilm arbeitete, wurde daraus kein Drehbuch, sondern das Album Lost Girls. Die Musik hatte sie wieder in ihren Bann gezogen.

Dass Lost Girls einen starken Bezug zur Musik der 80er Jahre hat, sollte aufgrund der Entstehungsgeschichte nicht überraschen – wobei der schon immer in ihren Liedern schlummerte. Auch sollte es nicht verwundern, dass die Songs eine gewisse Leichtigkeit versprühen. Die Idee hinter dem Song Feel For You beschrieb die Künstlerin nämlich wie folgt: „Ich bin verliebt und es fühlt sich großartig an. Wir fahren einfach durch L.A. und es ist wunderschön.“ Sie sagte auch, es gebe auf Lost Girls viele Songs, in denen sie nicht versuche, „auf Kunst zu machen“, und die nicht tiefsinnig und vielschichtig seien.

Dem Album, das sie mit der Musikerin/Songschreiberin/Produzentin Jennifer Decilveo (u.a. Beth Ditto) und Charles Scott IV (auch Co-Produzent) schrieb, mag es vielleicht hier und da an Tiefgang fehlen. Dafür ist es kurzweilig und verbindet in Vampires das Vampir-Thema mit romantisch-melancholischem 80er-Jahre-Pop inklusive seichtem Saxofon. Die Kombination, die wohl nie wer für möglich gehalten hätte, stellte für die Exil-Britin kein Problem

Von Kai Florian Becker

RATING: 7/10
ANSPIELTIPPS: Kids In The Dark, Feel For You, Vampires


Herzblut

JAMES WALSH – Tiger on the Bridge

Der englische Singer-Songwriter James Walsh liefert wie immer handwerklich einwandfreie und gefühlvolle Songs ab, in denen er diesmal verstärkt Liebeskummer zum Ausdruck bringt.

Um die Jahrtausendwende herum klaute er sich einen Albumtitel bei Tim Buckley, einem seiner musikalischen Vorbilder, taufte damit seine Band auf den Namen Starsailor, deren Debüt Love is Here 2001 ziemlich einschlug. In den Nullerjahren platzierte die Band um Sänger und Gitarrist James Walsh insgesamt zehn Singles in den britischen Top-40-Charts, ehe es ruhig um die Formation wurde, die man zeitweise in einem Atemzug mit Coldplay, Travis oder Snow Patrol genannt hatte.

Heute bäckt Walsh „kleinere Brötchen“, sprich: bespielt mit neuer Begleitband seit geraumer Zeit kleinere Clubs, statt im Rampenlicht der großen Spielstätten zu stehen. Tiger on the Bridge ist das dritte “Coming-of-Age-Album” des mittlerweile 39-Jährigen und erneut von großer Qualität. Er verarbeitet hier die Trennung von seiner Frau und die hieraus resultierende Distanz zu seinen beiden Kindern, heute Teenager, die zu Starsailor-Zeiten immer mal wieder Thema seiner Songs waren (Four to the Floor).

Das ist ziemlich traurig, aber ehrlich und sehr schön. Die Texte sind introspektiv, aber nicht weinerlich, und geht’s doch mal larmoyant zu, bremst sich Walsh gleich selbst („I’m not meaning to complain, I don’t always feel this way, but then the songs they don’t arrive“). Dieser Mann kann immer noch wunderbare Songs mit ebenso wunderbaren Lyrics schreiben, seine Stimme klingt sogar noch besser als früher und auch seine Gitarrenarbeit ist erstklassig.

Bei 30 ist die Grundmelodie zwar von Springsteens Racing in the Street abgekupfert, doch im Großen und Ganzen sind dies elf gelungene Songs, die unmittelbar ins Ohr gehen und die im Studio live vor einer Handvoll Fans eingespielt wurden. Diese hört man kurz aufjubeln, als sich der sympathische Bandleader aus Wigan im Nordwesten Englands ganz am Ende von Glitch in the Machinery artig bei ihnen bedankt. Man darf gespannt sein, bei wie vielen Fans sich Walsh am 2. Oktober in der „Rockhal“ bedanken wird; wir werden jedenfalls vor Ort sein.

Von Gil Max

RATING: 8/10
ANSPIELTIPPS: Heavy Heart, Didn’t Mean to Fall, Success in My Failings