Es sind Aufnahmen, die zum Teil verstören. Kriegsbilder, wie man sie eigentlich nicht erwartet. Zerbombte Stadtteile und ausgebrannte Panzer machen jeden Tag die Runde in den westlichen Medien. Neu sind aber die in schmucken Röcken und Anzügen gekleideten Kinder und Jugendliche, die vor dystopischer Kulisse ernst in die Kamera blicken. Dutzende solcher Fotos gehen Mitte Juni plötzlich viral in den sozialen Medien. Es sind ukrainische Schüler, die in den Tagen zuvor ihren Abschluss gemacht haben und die entsprechenden Fotos nun mit dem Rest der Welt teilen möchten.
Viele ihrer Schulen gibt es zu großen Teilen nicht mehr. Stattdessen stehen die Kinder und Jugendliche inmitten ausgebrannten Ruinen und zerstörtem Kriegsmaterial. Ein Foto sticht dabei besonders ins Auge: Es zeigt eine hübsche, junge Frau mit blonden Haaren und rotem Kleid in den Trümmern ihrer ehemaligen Schule. Ihr Mund deutet ein leichtes Lächeln an, doch der traurige Blick geht ins Leere. Das Kleid hat Valeria aus Charkiw am 22. Februar gekauft, nur zwei Tage vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf ihre Heimat. Fünf Tage später liegt ihre Schule – die Schule 134 im Osten der Ukraine – vollständig in Schutt und Asche
Valeria ist nicht die einzige Jugendliche, die nicht auf ihren Schulabschluss verzichten möchte. Dutzende Gleichaltrige teilen an jenen Tagen Fotos von ihren improvisierten Feiern, halten gleichzeitig aber auch die Gräuel des Krieges in den eindrucksvollen Aufnahmen fest. Erschreckend ist vor allem der unendliche Kontrast zwischen alten, zerbombten Trümmern und den jungen Menschen in der Blüte ihres Lebens, die im schönsten Sonntagszwirn ein starkes Zeichen zu setzen gedenken. Wie auch neun Schüler aus der nordukrainischen Stadt Tschernihiw, die mit Abschlussschärpen auf ausgebrannten Panzern, in zerbombten Gebäuden und vor zerstörten Fenstern posieren.
All diesen jungen Menschen stand Anfang des Jahres noch die Welt offen. Quasi über Nacht aber sei ihnen die Zukunft geraubt worden, so die Verantwortlichen der Vereinigung ukrainischer Bürger in Luxemburg am Samstag in der Hauptstadt. Auf Einladung von LUkraine waren in etwa hundert Kinder und Erwachsene in bestem Zwirn am Hamilius erschienen, um auf jene Gleichaltrige aufmerksam zu machen, deren Leben in den letzten Monaten auf den Kopf gestellt wurde. „Sofern sie überhaupt noch leben sollten“, so eine ukrainische Mutter, die rechtzeitig mit ihren zwei Kindern flüchten und sich inzwischen eine solide Ausgangsbasis in Luxemburg aufbauen konnte.
Sie sei unendlich dankbar für die Unterstützung und die vielen Möglichkeiten, die ihr das Großherzogtum biete. Sie kenne aber viele Familien, die nicht so viel Glück hatten. Einerseits sei es ihre Pflicht, mit ihrer Teilnahme an Gedenkveranstaltungen auf das Schicksal dieser Menschen hinzuweisen. „Andererseits bin ich stolz auf meine beiden Söhne, die in den letzten Monaten sehr tapfer waren und sich relativ gut einleben konnten. Sie haben es auch verdient, in schicken Kleidern heute ihren Abschluss zu feiern“, sagt die junge Frau und lacht leise auf.
Wie sie sind auch viele andere Eltern aus der Ukraine der Einladung von LUkraine gefolgt. Aber nicht nur: Dazwischen sind auch immer wieder einige Brocken Englisch, Französisch und Luxemburgisch zu vernehmen. Das Konzept der Initiative sei eng verbunden mit der Tradition vieler europäischer Länder, den Schulabschluss ihrer Kinder mit schönen Festen und bester Kleidung zu feiern, so eine Sprecherin der Vereinigung. In der Ukraine müssten allerdings tausende Kinder dieses Jahr auf ihre Feierlichkeiten verzichten. Manche könnten nie mehr zur Schule gehen, weil sie den russischen Angriff nicht überlebt hätten.
„Sie werden nicht zu berühmten Ärzten, Ingenieuren oder erfolgreichen Managern heranwachsen, weil sie getötet wurden“, wie es in der offiziellen Mitteilung zur Initiative heißt. „Und an jedem einzelnen Tag sterben weitere Kinder in der Ukraine.“ Der feierliche Umzug vom Hamilius zur place Clairefontaine galt diesen Kindern und all jenen Gleichaltrigen, die statt der Pausenglocke nur noch Alarmsirenen hören. In ihrem Andenken wurden am Samstag kleine, mit blau-gelben Bändchen versehene Glocken geläutet. Damit soll auch an eine Tradition erinnert werden: Mit ähnlichen Glocken wird in der Ukraine jedes Jahr das Schuljahr ein- und wieder ausgeläutet.
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