GeschichteKein Recht mehr auf Leben: Über das Schicksal der Gymnasiasten Leo Abelis und Bernard Herrmann

Geschichte / Kein Recht mehr auf Leben: Über das Schicksal der Gymnasiasten Leo Abelis und Bernard Herrmann
Junger Ghettoinsasse marschiert zum Todeszug ins Vernichtungslager Chelmno Foto: Mendel Grossmann/United States Holocaust Memorial Museum 

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Am 16./17. Oktober 2021 jährt sich die erste Deportation von Luxemburger Einwohner*innen durch die deutsche Besatzungsmacht zum 80. Mal. 323 jüdische Kinder, Jugendliche und Menschen mittleren Alters wurden mit einem Sondertransport der Reichsbahn ins besetzte Polen deportiert, von denen nur elf Personen die Shoah überleben sollten. Im Laufe des Tages wurden noch 190 deutsche Juden von Trier nach Luxemburg gebracht und wurden der Luxemburger Gruppe angeschlossen.1 Von ihnen überlebten nur zwei Personen.

Der Verfasser verweist auf seinen Beitrag über diese Deportation, der im Tageblatt am 29. September 2016 unter dem Titel „Reise ans Ende der Menschlichkeit“ veröffentlicht wurde und den man auf der Internetseite von MemoShoah Luxembourg (www.memoshoah.lu) lesen kann. Außerdem widmet er dieser Deportation ein ganzes Kapitel in seinem Buch „Luxemburg im Schatten der Shoah“.2 Im gegenwärtigen Artikel beschäftigt er sich mit zwei Einzelschicksalen, nämlich denjenigen von Leo Abelis (16) und Bernard Herrmann (18). Keiner der beiden Gymnasiasten hat den Nazi-Rassenwahn überlebt. Insgesamt waren von 323 Deportierten aus Luxemburg 81 Personen 18 Jahre alt oder jünger. Von ihnen überlebten nur vier die Shoah.

Leo Abelis

Leo Abelis
Leo Abelis  Ref.: ANLux J-108-0351016

Leo Abelis wurde in Raseiniai in Litauen am 15. Oktober 1924 als zweiter Sohn der Eheleute Girsch Abelis (1895) und Alte Abelis-Sharkovitc (1899) geboren. Der älteste Sohn Jacques wurde am 14. April 1922 geboren. Obwohl beide Eltern bereits in Raseiniai, Litauen, geboren waren, und auch deren Eltern aus Litauen stammten, wurde ihre Nationalität in einem Schreiben des Chefs der Kriminalpolizei von Kaunas an die Generalstaatsanwaltschaft Luxemburg vom 5. Dezember 1936 als „Jude“ angegeben.3 Girsch A. arbeitete in Litauen als Schneider.

Anfang Januar 1929 verließ die Familie Abelis Litauen und zog Anfang März 1929 nach Luxemburg. Girsch A. meldete sich in der Gemeinde Esch/Alzette am 5. April 1929 an. Seine Ehefrau meldete sich mit ihren zwei Söhnen am 3. Juli 1929 dort an.

Am 18. August 1932 zog die Familie nach Luxemburg-Stadt, wo sie am 25. August 1932 in der Beckstraße 4 Wohnung bezog. Am 24. Dezember 1937 zog die Familie in die Beaumontstraße 10 um, wo sie bis zur Deportation wohnte.4

Auch in Luxemburg übte Girsch A. den Beruf des Schneiders aus und bekam eine dementsprechende Arbeitsgenehmigung. Seine Ehefrau war nicht berufstätig.

Die Familie integrierte sich schnell in die luxemburgische Gesellschaft, die Söhne besuchten die luxemburgische Schule, die Vornamen wurden in Vornamen, die in Luxemburg üblich waren, umgewandelt. So nannte sich Girsch fortan Georg, Alte, nannte sich Anna, der älteste Sohn Jankel nannte sich Jacques und der Jüngste, der Mausa-Leiba hieß, aber auch Menny genannt wurde, nannte sich nun Leo.

Girsch A. arbeitete für den Schneidermeister Emil Fabricius, der in der Philippstraße 32 in Luxemburg-Stadt angesiedelt war. Fabricius war mit seinem „Großstückschneider“ Abelis sehr zufrieden. Mit seinem Verdienst konnte dieser seine Familie gut ernähren. Zum Beispiel verdiente er im Jahre 1936 gemäß Angaben seines Arbeitgebers 17.000 Franken. Im Jahre 1937 entrichtete er auf dem Vorjahresverdienst den Betrag von 312 Franken an Steuern. Im Jahre 1938 bezahlte er für die Wohnung eine Monatsmiete von 250 Franken. Seine Miete machte also knapp 18% seines Monatseinkommens aus.

Nach dem Abschluss seiner obligatorischen Schulzeit wurde der älteste Sohn Jacques ebenfalls bei Fabricius als Schneiderlehrling angestellt und bekam wie sein Vater die für ausländische Arbeitnehmer erforderliche Arbeitsermächtigung. Der jüngste Sohn Leo besuchte nach der Primärschule ab dem Schuljahr 1937-1938 das klassische Gymnasium in Luxemburg-Stadt (Athenäum).

Leo A. war ein guter Schüler. Im dritten Trimester des Septima-Jahres (VIIe) hatte er insgesamt 455 von maximal 540 Punkten erreicht und belegte damit Platz 15 von insgesamt 53 Schülern. Von Jahr zu Jahr schaffte er ohne Schwierigkeiten die Aufnahme in die nächste Stufe. Im Quinta-Jahr (Ve), 1939-1940, belegte er im Durchschnitt Platz 6 von durchschnittlich insgesamt 40 Schülern.5

Juden Luxemburgs unter Druck

Mit dem deutschen Einmarsch am 10. Mai 1940 kamen große Veränderungen auf die jüdische Bevölkerung Luxemburgs zu, die über die antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen in Deutschland und Österreich gut informiert war. Gleich am ersten Tag der Besatzung flüchtete deshalb bereits etwa die Hälfte der ca. 4.000 in Luxemburg lebenden Juden nach Frankreich oder Belgien. Vor allem die Älteren, Kranken und Kinder blieben in Luxemburg sowie ganz besonders die alteingesessenen jüdischen Familien auf dem Lande, die seit mehreren Generationen luxemburgische Staatsbürger waren. Diese wollten nicht weggehen, weil sie nicht glaubten, dass die gleichen diskriminierenden Maßnahmen, die in Deutschland bestanden, in Luxemburg zur Anwendung kommen würden.6

Am 5. September 1940 wurden die ersten antijüdischen Maßnahmen erlassen.7 Gleichzeitig wurden seitens der Besatzungsmacht Anstrengungen unternommen, die Emigration der verbleibenden Juden zu forcieren bzw. hunderte Personen nach Frankreich abzuschieben. Dies alles nicht zuletzt, um den Besitz der Vertriebenen rauben zu können.

Eingangstor des hauptstädtischen Athenäums in der rue Notre-Dame. Foto: Batty Fischer.
Eingangstor des hauptstädtischen Athenäums in der rue Notre-Dame. Foto: Batty Fischer.  Foto: Photothèque de la Ville de Luxembourg

Nach den zahlreichen „Abwanderungen“ lebten im März 1941 nur noch etwa 1.000 Juden in Luxemburg. Zu diesem Zeitpunkt legte Großrabbiner Dr. Serebrenik bei der Besatzungsmacht Protest gegen die Abschiebungen ein und erreichte, dass die über 65-Jährigen sowie die Kranken in Luxemburg verweilen dürften. Dem wurde mindestens für die erste Deportation, die Gegenstand dieses Beitrags ist, nach mehreren Tagen Verhandlung zwischen der Kultusgemeinde und der Gestapo weitgehend Rechnung getragen.8

Die Familie Abelis blieb in Luxemburg. Leo durfte zwar das Schuljahr noch beenden, ob er allerdings das nächste Schuljahr noch begonnen hat, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Die jüdischen Schüler und Schülerinnen wurden mit Wirkung zum 1. November 1940 aus den luxemburgischen Schulen ausgeschlossen. Sie durften nicht mehr mit „arisch-luxemburgischen“ Schülern gemeinsam die Schulbank drücken.

Obwohl die Fremdenpolizei in den Anträgen zur Erneuerung der Fremdenkarte immer wieder bescheinigte, Girsch A. sei gemäß Angaben seines Arbeitgebers ein fleißiger und zuverlässiger Arbeiter und seine allgemeine Führung habe noch zu keiner Klage Anlass gegeben, wurde ein Antrag zur Erneuerung seiner Arbeitsermächtigung, eingereicht von seinem Arbeitgeber am 7. September 1940, am 24. September 1940 verworfen. Und nicht, wie man denken könnte, durch die Besatzungsmacht aufgrund von deutschen Verordnungen, sondern vom luxemburgischen Regierungsrat für Arbeit und Soziale Fürsorge, Metzdorff, aufgrund von Beschlüssen von 1929, 1933, 1936, 1939 und vom 21. Juni 1940, also von vor dem Krieg beziehungsweise vor dem Antritt des Chefs der deutschen Zivilverwaltung (CdZ)9.

Anmeldung der Familie Abelis in der Gemeinde Luxemburg am 19. August 1932
Anmeldung der Familie Abelis in der Gemeinde Luxemburg am 19. August 1932  Ref.: Archives de la Ville de Luxembourg, LU 34.4.2 Vol.135 Nr. 52291

Aus einem Bericht des Polizeiagenten Boever vom 12. Januar 1941 geht hervor, dass Abelis dann doch noch einmal eine Ermächtigung für die Periode 3. Dezember 1940 bis 31. März 1941 erteilt worden war.10 Ob er danach noch in seinem Beruf weiterarbeiten durfte, geht aus den eingesehenen Archivakten nicht hervor.

Zwangsarbeit – Deportation – Tod

Aus einer auf den 5. September 1941 datierten Aktennotiz und einer beiliegenden Liste des Vorstandes der „Bauabteilung Wittlich der Reichsautobahnen“ geht hervor, dass Georg A. und seine zwei Söhne auf Anordnung des Arbeitsamtes in Luxemburg am Vortag im Zwangsarbeitslager Greimerath interniert wurden, betrieben von der Firma Krutwig.11

Dorthin wurden in mehreren Transporten zwischen dem 4. und 17. September 1941 insgesamt 54 jüdische Männer aus Luxemburg gebracht. Sie wurden unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen im Rahmen des Baus der „Reichsautobahn“, Teilstück Eifel, eingesetzt. Die jüdischen Zwangsarbeiter wurden dort besonders schlecht behandelt und mussten von den nicht-jüdischen Arbeitern getrennt arbeiten. Sie bekamen weder Arbeitskleidung noch Arbeitsschuhe.12

Die Mutter von Leo A. war vollständig mittellos in Luxemburg zurückgeblieben. Dies veranlasste den Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinde, am 11. September 1941 an die Leitung der Reichsautobahn nach Greimerath zu schreiben, um zu erwirken, Leo A. von der schweren Arbeit im Straßendienst freizustellen, damit er für seine Mutter sorgen könne. Aus dem Schreiben erfährt man, dass Leo A. ebenfalls das Schneiderhandwerk erlernt hatte und es wird darum gebeten, dass er durch Schneiderarbeiten mindestens teilweise zum Lebensunterhalt seiner Mutter beitragen dürfe. Leider wurde dem Gesuch nicht stattgegeben.13

Der Zwangseinsatz in der Eifel war der Beginn eines tödlichen Leidensweges. Am 16./17. Oktober 1941 wurden insgesamt 29 von diesen 54 jüdischen Zwangsarbeitern – darunter die Abelis – ins Ghetto Litzmannstadt verschleppt. Kurz vorher waren sie nach Luxemburg zurückgebracht worden.

Leo A. verließ also zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder mit einer Einwegfahrkarte, welche die Deportierten selbst kaufen mussten, in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 1941 für immer Luxemburg. Die Reise führte ans Ende seines jungen Lebens.

Der Sondertransport kam am 18. Oktober 1941 im vollkommen überfüllten schmutzigen Ghetto in der besetzten polnischen Stadt Lodz (Litzmannstadt) an. Hier waren zu dem Zeitpunkt mehr als 160.000 jüdische Personen auf knapp vier Quadratkilometern unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht. Im Ghetto gab es weder eine Kanalisation noch fließendes Wasser in den Häusern.

Aus dem Ghetto-Melde- und Arbeitsregister geht hervor, dass die Abelis zu viert in einem Zimmer in der Alexanderhofstraße (Limanowskiego) Nr. 23 untergebracht wurden.14 Später wohnten sie in einem Zimmer in der Blattbindergasse (Lotnicza) Nr. 21. Leos Vater und sein Bruder arbeiteten im Ghetto als Schneider. Für Leo selbst ist kein Beruf angegeben, bei der Mutter steht unter Beruf „Hausfrau“.

Nach den Karteikarten zu urteilen, rafften die vom mörderischen Nazi-System bewusst geschaffenen unmenschlichen Lebensbedingungen, die im Ghetto herrschten, Georg A. und seine beiden Söhne dahin. Dies war übrigens das Los von 43.000 jüdischen Ghettobewohnern. Georg A. starb am 28. August 1942 offiziell an Rippenfellentzündung, Leo als Zweiter am 2. November 1942 angeblich an Bauchtyphus und Jacques am 9. August 1943 an Lungentuberkulose.15 Über die Todesursache der Mutter ist nichts bekannt.

Auf Leos Abmeldungskarte steht unter „Neue Adresse“: Tod.

Leo Abelis war gerade 18 Jahre alt geworden. Der deutsche NS-Staat sprach ihm und seiner Familie aufgrund der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus das Recht auf Leben ab, nur weil sie Juden waren, und nutzte die Kriegssituation aus, um auf hinterhältige Weise diese friedliche Familie ungestraft auszulöschen.

Bernard Herrmann

Bernard Herrmann
Bernard Herrmann  Ref.: ANLux-108-0030902

Bern(h)ard Herrmann wurde in Trier am 19. Januar 1923 als erster Sohn der Eheleute Jacob Herrmann, Kaufmann, und Hedwig David geboren. Sein Vater war am 26. Februar 1886 in Greimerath, Kreis Saarburg, zur Welt gekommen. Seine Mutter stammte aus Luxemburg und war die Tochter von Benno David und dessen Ehefrau Amalia David, auch Sarah genannt. Das aus Deutschland stammende Ehepaar David-David war seit Oktober 1890 in Luxemburg ansässig und ihre Kinder kamen alle in Luxemburg zur Welt. Sie betrieben in Rollingergrund-Reckenthal Nr. 26 eine Brennerei.16

Die Eltern von Bernard waren wohlhabend. Der Vater unterhielt in der Neustraße 92 in Trier ein Bekleidungsgeschäft. Er war Inhaber des Gebäudes. Seine Frau Hedwig starb bei der Geburt des zweiten Sohnes, Robert, der am 31. Januar 1925 in Trier zur Welt kam. Zwei Jahre später, am 22. Mai 1927, heiratete Jacob Herrmann die Schwester seiner ersten Ehefrau, Irma David (1904). Aus dieser Ehe ging ein dritter Sohn hervor, Erich, der in Trier am 22. Dezember 1929 das Licht der Welt erblickte.

Antijüdische Maßnahmen

Mit der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 begann es für die Familie Herrmann in Deutschland gefährlich zu werden. Sofort setzten im Deutschen Reich Agitationen gegen die jüdische Bevölkerung ein, jüdische Geschäfte wurden angegriffen, geplündert, ihre Eigentümer misshandelt. Die ersten Juden wurden ermordet.

Fast tagtäglich wurde in der Luxemburger Presse über die antisemitischen Auswüchse in Deutschland berichtet. So konnte man beispielsweise am 30. März 1933 im Escher Tageblatt unter dem Titel „Neue Maßnahmen gegen die Juden in Deutschland“ lesen: „Die antisemitische Bewegung in Deutschland verschärft sich. Die Reichsleitung der nationalsozialistischen Partei hat in der Nacht ihren Aufruf erlassen, der einen allgemeinen und methodischen Boykott aller jüdischen Geschäftsleute, Industriellen, Advokaten, Ärzte usw. anordnet. Der allgemeine Boykott der Israeliten soll unter der Parole ,Juda Verrecke‘ am Samstag 1. April vorm. 10 Uhr einsetzen.“17

Anmeldeerklärung von Bernard Herrmann vom 26. September 1933
Anmeldeerklärung von Bernard Herrmann vom 26. September 1933 Ref.: ANLux-108-0030902

Insbesondere wurden im Rahmen dieser Aktion „Deutsche“ (die Juden waren auch Deutsche; Anm. d. Verf.) daran gehindert, in ein jüdisches Geschäft, zu einem jüdischen Rechtsanwalt oder zu einem jüdischen Arzt zu gehen. Es wurde dazu aufgerufen, zu geplanter Stunde alle Beamte jüdischer Konfession fristlos zu entlassen. Die Arbeitgeber wurden aufgefordert, alle jüdischen Angestellten fristlos zu entlassen. Ziel war es, den Juden das Leben in Deutschland unmöglich zu machen. So wurde es auch unverblümt dargestellt. „Einem leidenden Juden darf keine Hilfe gebracht werden und jüdische Kranke sind aus den Hospitälern zu entfernen. Den jüdischen Schülern ist der Besuch von Volksschulen, höheren Schulen und Hochschulen untersagt“, so heißt es in besagtem Artikel.

Das Escher Tageblatt hatte sogar am 1. April 1933 einen Journalisten nach Trier geschickt, um über den sogenannten „Judenboykott“ zu berichten. Dies geschah am 3. April 1933 mit einem Beitrag auf der Titelseite. „Der Hitler-Sabbat. Ein Week-end-Ausflug ins dritte Reich.“, hieß der Artikel. Eine Zwischenüberschrift lautete „Gelbe Flut über Trier“. Aus dem Bericht erfährt man u.a., dass es keine Sensationen gab, weil die jüdischen Geschäftsleute das einzig Mögliche getan hatten, nämlich an diesem Tag ihre Geschäfte geschlossen ließen. Sie hatten, wie es heißt, „die Gittertore vorgeschoben“.

Auch wenn dieser Boykott offiziell nach einigen Tagen abgebrochen wurde, war der Ton gegeben, die Juden Deutschlands wussten, was sie in diesem Land, das sie als ihre „Heimat“ betrachteten, erwarten würde. Die antijüdischen Maßnahmen wurden nun weniger spektakulär, aber umso mehr „methodisch“ immer weiter ausgedehnt. So konnte man am 19. Mai 1933 im Escher Tageblatt lesen: „Weiß man, dass zahlreiche Schulen keine jüdischen Kinder mehr aufnehmen, […], dass Advokaten, Ärzte, Richter, Gerichtspräsidenten einfach aus ihrer Stellung herausgeschmissen werden? … Gegen den jüdischen Kaufmann, besonders den Kleinhändler, ist alles erlaubt. Bezahlen tut ihn keiner mehr und er soll sich nur nicht unterstehen, bei Gericht vorstellig zu werden.“18

Von Trier nach Luxemburg

Die immer bedrohlichere Entwicklung in Deutschland führte dazu, dass sich die Trierer Familie Herrmann darauf vorbereitete, nach Luxemburg umzuziehen. Als Erster zog der junge Bernard H. zu seiner Großmutter ins Reckenthal, möglicherweise zum Schulanfang 1933-1934. Er meldete sich auf dem Zivilstandsamt der Stadtverwaltung „Groß-Luxemburg“ am 26. September 1933 an und bekam ein „Fremden-Buch“ (frz.: „Livret d’étranger“)19. Er besuchte die Primärschule in Rollingergrund.

Diese judenfeindlichen Zettel wurden in der Nacht zum 9. Juli 1940 insbesondere an der Eingangstüre der hauptstädtischen Synagoge aufgeklebt. In der Nacht zum 17. Juli 1940 wurden solche Zettel an verschiedenen Stellen der Stadt Diekirch aufgeklebt.
Diese judenfeindlichen Zettel wurden in der Nacht zum 9. Juli 1940 insbesondere an der Eingangstüre der hauptstädtischen Synagoge aufgeklebt. In der Nacht zum 17. Juli 1940 wurden solche Zettel an verschiedenen Stellen der Stadt Diekirch aufgeklebt. Ref.: ANLux-AE-03999-017

Im August 1934 folgte dann die Stiefmutter von Bernard H., Irma David, mit ihrem vierjährigen Sohn Erich. Auch sie meldete sich zunächst bei ihrer Mutter im Reckenthal an. Aus einem polizeilichen Bericht vom 4. Oktober 1934 geht hervor, dass der zweite Sohn des Ehepaares Herrmann-David, Robert H., in Trier bei seinem Vater geblieben ist. In diesem Bericht wurden auch die Besitzverhältnisse der Familie Herrmann-David erläutert. Man erfährt, dass das Geschäftshaus in Trier einen Wert von 200.000 Reichsmark hatte und dass die Eheleute über ein Gesamtvermögen von 400.000 Reichsmark verfügten.

Ein Jahr später, im August 1935, zog ebenfalls der zehnjährige Robert H., der jüngere Bruder von Bernard H., zu seiner Großmutter ins Reckenthal. Seine Anmeldung in der Gemeinde Luxemburg wurde am 5. September 1935 aktiert. Auch er besuchte die Primärschule in Rollingergrund.

Im Jahre 1936 erwarb Jacob H. in Mamer ein herrschaftliches Wohnhaus mit 20 Ar Gartenland, nach Polizeibericht im Wert von 150.000 Franken. Im Oktober desgleichen Jahres zog seine Ehefrau Irma David mit ihren Söhnen Erich und Robert in das Haus und meldete sich in der Gemeinde Mamer an. Die beiden Söhne besuchten die Primärschule in Mamer. Bernard H. blieb bei seiner Großmutter im Reckenthal wohnen, da er nun das klassische Gymnasium in Luxemburg (Athenäum) besuchte. Er zog erst Ende 1939 nach Mamer und meldete sich am 22. Dezember 1939 dort in der Gemeinde an.

Der Letzte, der nach Luxemburg umzog, war Jacob H. Er meldete sich am 25. August 1938 auf dem Bürgermeisteramt in Mamer an.

Ankunft eines Deportationszuges im Ghetto Litzmannstadt, November 1941
Ankunft eines Deportationszuges im Ghetto Litzmannstadt, November 1941 Foto: Walter Genewein/United States Holocaust Memorial Museum

Aus einem Bericht des Öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 17. Juni 1938 geht hervor, dass die Ehegattin von Jacob H. vor dessen Niederlassung in Luxemburg Folgendes zu Protokoll gegeben hatte: „Nach der Machtergreifung Hitlers waren wir Juden gezwungen, unser Geschäft aufzugeben (das Geschäft wurde anschließend an einen ,arischen‘ Deutschen vermietet; Anm. d. Verf.). Ich kam mit meinen Kindern nach dem Großherzogtum und wurde uns ohne Bedenken die Niederlassung gestattet. Durch den Umstand, dass man immer auf eine Änderung der heutigen Lage in Deutschland hoffte, verblieb mein Mann in Trier zurück. […] Da in der letzten Zeit die Judenverfolgungen noch schärfer als je eingesetzt haben, kann mein Mann nicht mehr in Deutschland verbleiben. Bis zum 1. Januar 1938 konnte er regelmäßig zum Besuch seiner Familie nach Luxemburg kommen. Heute wird ihm der Reisepass nicht mehr verlängert. […] Um all diesen Schikanen zu entgehen, hat mein Mann sich entschlossen, in Luxemburg Wohnsitz zu nehmen.“

Am 27. Juni 1938 hatte der Justizminister den Staatsanwalt gebeten, Frau David Irma darüber in Kenntnis zu setzen, dass ihrem Ehemann die Aufenthaltsgenehmigung im Großherzogtum erteilt werden würde. Allerdings war dessen Niederlassung an die Bedingung geknüpft, dass er in Luxemburg weder direkt noch indirekt Handel ausüben, noch einer lohnbringenden Beschäftigung nachgehen dürfe. Eine entsprechende Verpflichtung musste Jacob H. am 3. August 1938 unterzeichnen.

Vom Schüler zum Lehrer

Jüdische Zwangsarbeiter in einer Ghetto-Kleiderwerkstadt, 1940-1943
Jüdische Zwangsarbeiter in einer Ghetto-Kleiderwerkstadt, 1940-1943 Foto: Fotograf unbekannt/United States Holocaust Memorial Museum

Bernard H. muss ein guter Schüler gewesen sein. Er schaffte nach nur zwei Jahren Luxemburger Primärschule (5. und 6. Schuljahr) die Aufnahmeprüfung ins Athenäum. Allerdings wurde ihm sein Rückstand in der französischen Sprache im Sexta-Jahr (VIe) zum Verhängnis. Er bekam eine ungenügende Note und musste sich einer Nachprüfung stellen. Diese bestand er nicht und musste das Sexta-Jahr wiederholen. Danach war er nur noch unter den besten Schülern zu finden. Im Quarta-Jahr (IVe), 1939-1940, an dessen Ende damals eine Übergangsprüfung zur höheren Stufe absolviert werden musste, war er sogar der erste von 40 Schülern und schaffte problemlos das Passage-Examen.20 Dies war das letzte Schuljahr für Bernard H.

Auf Anordnung des CdZ forderte der Regierungsrat für öffentlichen Unterricht, Louis Simmer, am 29. Oktober 1940 die Schulleitungen auf, jüdische Kinder zum Besuch des Unterrichts an öffentlichen und privaten Schulen aller Schulgattungen nicht mehr zuzulassen. Die Direktoren mussten bis zum 5. November 1940 berichten, dass der Ausschluss vollzogen war.21

Allerdings bedeutete das nicht, dass jüdische Kinder überhaupt keine Schulen mehr besuchen durften. Aus einem Brief des Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinde an den Judenbeauftragten im Einsatzkommando der Sicherheitspolizei, Leutnant Schmalz, vom 27. August 1941, geht hervor, dass der CdZ eine Schulpflicht für jüdische Kinder im Alter von 6-16 Jahren angeordnet hatte. Sie seien an „jüdischen Volksschulen“ zu unterrichten.22 Aus dem Brief geht auch hervor, dass infolge Mangels an Lehrpersonal die Kultusgemeinde nur eine solche Schule unterhalten konnte. Diese war im Hause Petrusring 74 (heute Boulevard de la Pétrusse), das auch das ostjüdische Gemeinschafts- und Bethaus „Beth Am Ivri“ beherbergte, eingerichtet worden.

Nach langen Verhandlungen zwischen Louis Simmer und der Kultusgemeinde nahm die jüdische Schule Mitte Dezember 1940 ihren Betrieb mit 80-100 Schülern und Schülerinnen auf. Leiter der Schule war der international bekannte Physiker Ernst Ising, der ebenfalls Lehrer war. Neben ihm unterrichteten in der Schule Hugo Friedmann, Marion Jacks, Susi Fuchs, Halina Jad, Lily Gelber und Bernard Herrmann.23 Die Schüler*innen kamen aus verschiedenen Teilen des Landes, so auch z.B. aus Differdingen und Ettelbrück.

Juden aus dem Ghetto Litzmannstadt werden ins Vernichtungslager Chelmno deportiert, wo sie durch Auspuffgase dem Erstickungstod zugeführt werden. Bis zum Schluss werden sie getäuscht und es wird ihnen gesagt, sie würden zum Arbeitseinsatz ins Reichsgebiet gebracht.
Juden aus dem Ghetto Litzmannstadt werden ins Vernichtungslager Chelmno deportiert, wo sie durch Auspuffgase dem Erstickungstod zugeführt werden. Bis zum Schluss werden sie getäuscht und es wird ihnen gesagt, sie würden zum Arbeitseinsatz ins Reichsgebiet gebracht. Foto: Fotograf unbekannt/United States Holocaust Memorial Museum

Anfang Oktober 1941 wurde die Schule vorläufig geschlossen. Grund dafür war die erste Deportation von Juden aus Luxemburg nach Osten, die Gegenstand dieses Beitrags ist. Die meisten Schüler und die drei Lehrer Friedmann, Gelber und Herrmann waren von der Deportation ins Ghetto Litzmannstadt betroffen. Die Lehrerinnen Marion Jacks und Susi Fuchs bekamen noch die nötigen Papiere, um Luxemburg legal am Tag vor der ersten Deportation, am 15. Oktober 1941, zu verlassen und nach Übersee auszuwandern.24

Zurück blieben der Schulleiter Ernst Ising und die Lehrerin Halina Jad sowie ungefähr zwölf Kinder, „die Ernst Ising einzeln oder in Gruppen weiter unterrichtete, bis die Schule aufgrund einer behördlichen Verordnung vom 30. Juni 1942 endgültig schließen musste“.25

Der seit 1939 mit seiner Ehefrau Johanna Ehmer in Mersch wohnende Physiker Ernst Ising konnte der Deportation nach Osten entgehen, weil er in einer sogenannten Mischehe lebte, d.h. mit einer nicht-jüdischen Frau verheiratet war.

Die Lehrerin Halina Jad wurde am 11. August 1942 ins Sammellager Fünfbrunnen bei Ulflingen eingewiesen. Sie wurde am 6. April 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Die erst 20-jährige Halina wurde am 6. September 1943 mit dem als „Arbeitseinsatztransport“ getarnten Transport Dl zusammen mit 2.478 anderen Ghettoinsassen zwecks Ermordung ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau weiterdeportiert.26

Ausgelöscht

Deutscher Polizist an einem Tor des Ghettos Litzmannstadt, 1941
Deutscher Polizist an einem Tor des Ghettos Litzmannstadt, 1941 Foto: Bundesarchiv

Die fünfköpfige Familie Herrmann aus Mamer wurde am 16./17. Oktober 1941 mit dem Sondertransport Da 3 „Luxemburg-Litzmannstadt“ ins Ghetto Litzmannstadt in der besetzten polnischen Stadt Lodz deportiert. Am 29. Oktober 1941 wurde die ganze Familie in ein Zimmer in der Richterstraße (Mickiewicza) Nr. 13 gepfercht.27

Bei der Anmeldung gab Bernard H. als Beruf „Lehrer“ an. Im Ghetto musste er als Polsterer arbeiten. Sein Bruder Robert wurde als Schneiderlehrling beschäftigt. Von seinen Eltern und seinem kleinen Bruder Erich konnten in den Karteikarten des Ghettos nur die Anmeldungen gefunden werden. Robert H. starb im Ghetto am 7. November 1942 offiziell an „Unterernährung“.28

Das letzte Lebenszeichen von Bernard H. ist eine Karteikarte, aus der hervorgeht, dass er sich am 23. Juni 1944 im Ghetto abgemeldet hat. Als Ursache für die Abmeldung wird „Auf Arbeit“ angegeben. Unter „Neue Adresse“ steht „Auss. Getto“, also außerhalb des Ghettos.29

Da am 23. Juni 1944 die Liquidierung des Ghettos begann und deswegen an dem Tag das seit März 1943 geschlossene Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) wieder in Betrieb genommen wurde, ist davon auszugehen, dass der junge Bernard H. durch Erstickungstod getötet wurde. In Kulmhof wurden nämlich die Opfer der Shoah in extra hergerichteten, als Möbelwagen getarnten Lastwagen durch Auspuffgase ermordet.30

Aufmarsch des Reserve-Polizeibataillons 101 (RPB 101) in Lodz (Litzmannstadt), April 1941. Bei seinem 2. Poleneinsatz, 1940-1941, also bevor 14 Luxemburger dem Bataillon angehörten, bewachte das RPB 101 das Ghetto. Die Polizisten hatten den Befehl bekommen, Juden, die sich mehr als drei Meter dem Ghettozaun näherten, ohne weiteres zu erschießen. Dieser Befehl wurde von den Posten befolgt.
Aufmarsch des Reserve-Polizeibataillons 101 (RPB 101) in Lodz (Litzmannstadt), April 1941. Bei seinem 2. Poleneinsatz, 1940-1941, also bevor 14 Luxemburger dem Bataillon angehörten, bewachte das RPB 101 das Ghetto. Die Polizisten hatten den Befehl bekommen, Juden, die sich mehr als drei Meter dem Ghettozaun näherten, ohne weiteres zu erschießen. Dieser Befehl wurde von den Posten befolgt. Foto: Fotograf unbekannt/United States Holocaust Memorial Museum

Es ist auch davon auszugehen, dass das gleiche Schicksal seinen Eltern und seinem kleinen Bruder Erich widerfuhr, sowie einem Onkel und mehreren Tanten mütterlicherseits, also von der David-Familie aus dem Reckenthal, die ebenfalls mit dem ersten Transport nach Lodz deportiert worden waren – sofern sie nicht an den schrecklichen Lebensbedingungen im Ghetto selbst zugrunde gingen.

Die Großmutter von Bernard H., Amalia David, wurde am 6. April 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 19. Mai 1944 zu Tode kam. Sie wurde in Luxemburg im Nachhinein per Gerichtsbeschluss im Jahre 1952 für tot erklärt.31

Bernard Herrmann wurde per Gerichtsbeschluss vom 3. März 1952 für tot erklärt. Demgemäß soll er zwischen Oktober 1941 und Dezember 1945 „infolge einer feindlichen Gewalttat“ in Litzmannstadt gestorben sein. Dieser Beschluss wurde am 23. Juli 1952 im Sterberegister der Gemeinde Mamer eingetragen.32

Schluss

Jüdische Zwangsarbeiterinnen in der Ghetto-Stiefelproduktion
Jüdische Zwangsarbeiterinnen in der Ghetto-Stiefelproduktion Foto: Staatsarchiv Lodz (APŁ), sygn. 1110, fot. 46-1587-4

Die Deportation von 323 Juden aus Luxemburg ins Ghetto Litzmannstadt war nur die erste von sieben Deportationen. Direkt von Luxemburg aus sind 658 jüdische Kinder, Frauen, Männer, Alte und Kranke nach Osten zwecks Ermordung deportiert worden. Von ihnen haben nur 44 Personen den Nazi-Rassenwahn überlebt.

Insgesamt wurden etwa 1.300 jüdische Einwohner*innen Luxemburgs Opfer der Shoah. Diejenigen, die nicht direkt von Luxemburg aus deportiert wurden, sind in vielen Fällen auf ihrer Flucht nach Frankreich und Belgien von der deutschen Besatzungsmacht bzw. der lokalen Polizei aufgegriffen und von dort in Vernichtungslager transportiert worden.

Die 5,7 Millionen jüdischen Opfer der Shoah hatten mit dem Kriegsgeschehen nichts zu tun. Der NS-Staat nutzte die Kriegssituation lediglich aus, um von seinen militärischen und polizeilichen Gewaltorganisationen33 den größten Genozid, der je in Europa stattgefunden hat, ausführen zu lassen. Dies konnte allerdings nur im Zusammenspiel mit Hilfswilligen der verschiedenen eroberten Nationen im Osten und Westen Europas gelingen. Dass auch Luxemburger solchen an der Shoah beteiligten deutschen Gewaltorganisationen gezwungenermaßen oder freiwillig angehörten, darf in der Luxemburger Gesellschaft nicht weiter tabuisiert werden!

„Grenzenlos Gedenken“

Zum Anlass des 80. Jahrestages des Litzmannstadt-Transportes werden im Rahmen des deutsch-luxemburgischen Projektes „Grenzenlos Gedenken“ eine Reihe von Veranstaltungen in Luxemburg und Deutschland organisiert. So findet am 15. Oktober 2021 um 14 Uhr eine Gedenkfeier im Hauptbahnhof Luxemburg in Anwesenheit von Premierminister Xavier Bettel statt. Am 16. Oktober wird am Trierer Hauptbahnhof um 19 Uhr der Opfer des Transportes „Luxemburg-Litzmannstadt“ gedacht.
Die Organisatoren sind in Luxemburg die Vereinigungen „Comité Auschwitz Luxembourg“ und „MemoShoah Luxembourg“ und in Deutschland die Trierer Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V.

1 Richtigstellung: Bis vor kurzem wurde davon ausgegangen, dass der Zug in Trier anhielt, so wie es auch am 17.10.1941 in der gleichgeschalteten Presse zu lesen war. Eine neue Auswertung des diesbezüglichen Archivbestandes des „Consistoire Israélite“ durch Wolfgang Schmitt-Kölzer und Mil Lorang, insbesondere der Bestände ANLux, FD-083-17 und ANLux, FD-083-26, sowie der Bestände des Landesamtes für Wiedergutmachung in Saarburg, hat ergeben, dass die Juden aus dem Raum Trier mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Luxemburg gebracht wurden. Eine neue Überprüfung der Ankunftsliste im Ghetto durch W. Schmitt-Kölzer hat ergeben, dass nicht 189, sondern 190 Namen auf dem Trierer Teil der Liste zu finden sind. Demgemäß müsste der Sonderzug Da 3 am 17.10.1941 um 0.12 Uhr mit 513 Deportierten an Bord den Luxemburger Hauptbahnhof verlassen haben. Der Zug kam am 18.10.1941 zwischen 11.00 und 14.30 Uhr im Bahnhof Radegast (Radogoszcz) in Lodz an (verschiedene Quellen geben unterschiedliche Zeiten an).

2 Editions Phi, Oktober 2019. Die erweiterte französische Fassung des Buches kam unter dem Titel „L’ombre de la Shoah sur le Luxembourg“ bei Editions Phi im Dezember 2020 heraus.

3 Der Brief befindet sich in der Fremdenpolizei-Akte ANLux J-108-0351016. Wenn nicht anders angegeben oder präzisiert, werden die hier wiedergegebenen Informationen aus dieser Quelle bezogen.

4 Informationen über An- und Abmeldung in der Gemeinde Esch/Alzette, erhalten vom „Biergeramt“ am 23.9.2021 und in der Gemeinde Luxemburg von den „Archives municipales“ am 30.9.2021.

Gemäß Archivbestand des „Athénée de Luxembourg“.

6 Siegmund Leib, Bericht an die Exilregierung, New York, 20.6.1942; ANLux AE-GtEx-380, S. 111. Bemerkung: S. Leib war bis zu seiner Auswanderung nach Übersee im Oktober 1941 Bürochef der jüdischen Kultusgemeinde in Luxemburg.

7 Verordnungen vom 5.9.1940 s. Titelseite, Luxemburger Wort, 7.9.1940. eluxemburgensia.lu. Außerdem wurde am 5.9.1940 die aus luxemburgischen Beamten bestehende Verwaltungskommission vom deutschen Chef der Zivilverwaltung angewiesen, „unverzüglich“ Maßnahmen „zur Beseitigung jüdischen Einflusses auf das öffentliche Leben“ durchzuführen. Dies bedeutete insbesondere die sofortige Entlassung von Beamten, Lehrern, Richtern usw. Jüdischen Freiberuflern, wie Ärzten, Apothekern, Rechtsanwälten usw. wurde die Ausübung ihres Berufes untersagt. ANLux, AE-03999-017.

8 Bericht Leib op. cit., S. 112.

9 Nach einer kurzen Periode der Militärverwaltung wurde der Gauleiter des Gaus Koblenz-Trier, Gustav Simon, von Hitler durch Führererlass am 2.8.1940 zum Chef der Zivilverwaltung (CdZ) in Luxemburg ernannt.

10 ANLux J-108-0351016.

11 Bundesarchiv Berlin, Best. R 4601, Nr. 3052. Der Verfasser bedankt sich bei W. Schmitt-Kölzer für den Hinweis.

12 Wolfgang Schmitt-Kölzer, Bau der „Reichsautobahn“ in der Eifel (1939-1941/42). Eine Regionalstudie zur Zwangsarbeit, Berlin 2016, S. 247-276.

13 Ebd., S. 264-265.

14 Staatsarchiv Lodz, Melde-und Arbeitskarten, 1939-1944, Kollektion: Der Älteste der Juden im Ghetto von Lodz (APŁ, PSŻ), Referenz: 39/278/0/13.4/1011.

15 Ebd.

16 Fremdenpolizeiakte ANLux-108-0030902. Wenn nicht anders angegeben, stammen alle weiteren Informationen über Bernard H. und seine Familie aus dieser Quelle.

17 Escher Tageblatt, 30.3.1933, S. 2; eluxemburgensia.lu.

18 Ebd., 19.5.1933, S. 5.

19 In Luxemburg mussten gemäß eines Gesetzes vom 30.12.1893 Ausländer im Besitz eines Fremden-Buches sein. Durch großherzoglichen Beschluss vom 31.5.1934 wurde das Fremden-Buch durch eine Identitätskarte für Ausländer ersetzt.

20 Gemäß Archivakten des „Athénée de Luxembourg“.

21 Beispiele solcher Briefe sind in „Luxemburg im Schatten der Shoah“ (s. Anm. 2) auf den Seiten 83 u. 85 reproduziert.

22 ANLux, FD-083-014. Die im Brief erwähnte Anordnung des CdZ konnte bis heute nicht gefunden werden.

23 Germaine Goetzinger, „Ernst Ising, Lehrer an der Jüdischen Schule in Luxemburg“, In: Berg, Kerger, et. al., Savoirs et engagements, Luxembourg 2009, S. 19-27; ebenfalls: Brief vom 27.8.1941 op. cit., ANLux FD-083-014.

24 Liste der Juden Luxemburgs, 1940-1945, erstellt vom „Centre de documentation et de recherche sur la Résistance“ (CDRR).

25 Goetzinger, S. 24.

26 https://www.holocaust.cz/de/transport/39-dl-theresienstadt-auschwitz/page/2/

27 APŁ, PSŻ op. cit.

28 Ebd.

29 Ebd.

30 Im Frühjahr 1944 entschied der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, das Ghetto Litzmannstadt zu liquidieren und die verbliebenen ca. 75.000 Juden zu ermorden. In dem 60 km westlich von Lodz gelegenen Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno), wo bereits zwischen Dezember 1941 und März 1943 ca. 70.000 jüdische Ghettobewohner sowie 4.300 Sinti und Roma durch Auspuffgase ermordet worden waren, wurden zwischen dem 23.6. und 14.7.1944 insgesamt 7.196 Juden ermordet. Die restlichen 68.000 Ghettobewohner wurden zwischen dem 9. und 29.8.1944 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

31 Informationen erhalten von der Gemeinde Luxemburg.

32 Mitgeteilt vom „Biergerzenter“ der Gemeinde Mamer am 30.6.2021.

33 „Als staatliche Gewaltorganisationen werden Organisationen wie Armeen, Milizen und Polizeien verstanden, die Gewalt androhen und einsetzen, um staatliche Entscheidungen durchzusetzen“. Kühl, Stefan: Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Berlin 2014, S. 22.