Kein Feiertag

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Selbstmordattentäter und ferngezündete Autobomben. Öffentliche Diffamierung und politisch bedingte Übernahmen. Es gibt viele Wege, Medien und ihre Journalisten zum Schweigen zu bringen oder ihnen die Öffentlichkeit zu entziehen. Am 3. Mai ist internationaler Tag der Pressefreiheit. Zum Feiern gibt es keinen Anlass. Auch in Europa nicht.

Es ist ein alter, äußerst perfider Trick von Attentätern. Zuerst eine Bombe hochgehen lassen, etwas abwarten, bis Rettungskräfte eintreffen, dann diese mit einem zweiten Sprengsatz ermorden. Am Montag traf eine solche Folgeexplosion eine Gruppe von Journalisten in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Der Angriff zielte auf sie ab, präzise und erbarmungslos.

Im Sinne des Selbstmordattentäters war er erfolgreich: Neun Journalisten waren auf der Stelle tot – und die Tat besorgte den Angreifern des IS die gewollte internationale Aufmerksamkeit. Der Organisation Reporter ohne Grenzen zufolge war es der tödlichste Anschlag auf Journalisten seit dem Sturz der Taliban 2001. Der Mann, der das Leid unter den Pressemitarbeitern hervorrief, hatte sich als einer der ihren getarnt, mit einer umgehängten Kamera hielt er sich im Journalistenpulk auf. Diese hatten keine Chance, seinen mörderischen Absichten zu entkommen.

Ermordet in der EU

Journalisten leben gefährlich. Das ist nichts Neues. Und keiner muss bis in das Tausende Kilometer entfernte Kriegsland Afghanistan hinüberschauen, um sich die traurige Gewissheit zu holen, dass das auch heute noch der Fall ist.

In den vergangenen Monaten erschütterten zwei Mordfälle an Investigativ-Journalisten die Europäische Union. In Malta wurde Daphne Caruana Galizia mit einer ferngezündeten Autobombe ermordet. In der Slowakei wurden der junge Ján Kuciak und seine Freundin in ihrem Heimatort ermordet. Beide Journalisten recherchierten zu den Verflechtungen von Politik und organisierter Kriminalität, beide Male ging es um Korruption hoch bis in die höchsten Staatsstellen, in beiden Fällen liegen die Hintergründe weiterhin im Dunkeln. Demnach: Auch in EU-Staaten ist es möglich, im Jahr 2018 Journalisten zu ermorden und ungeschoren davonzukommen.

Doch nicht nur körperliche Gewalt bis hin zum Tod unterdrückt die Pressefreiheit. Seit Ausrufung des Ausnahmezustands in der Türkei im Juli 2016 hat die Regierung mehr als 180 Medienhäuser schließen lassen, mehr als 120 Journalisten befinden sich in Haft. Der türkische Journalist Can Dündar, ehemals Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, setzt sich mittlerweile aus seinem Berliner Exil heraus gegen die Unterdrückung der Presse in der Türkei ein. Dündar warnte im Tageblatt-Interview alle „türkischen Denker“. Sie müssten alle damit rechnen, „für seine Aussagen inhaftiert zu werden. Niemand ist sicher, bis diese Regierung weg ist.“

„Es war unsere Pflicht“

Dündar war in der Türkei in Ungnade gefallen nach der Veröffentlichung eines Artikels über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Milizen in Syrien. Dündar wusste bereits vor dem Druck, was ihm blühen könnte. „Wenn du Journalist in der Türkei bist, kannst du die Gefahr auf Distanz riechen.“ Das Risiko sei da gewesen. Aber da war die Wahl bereits zusammengeschrumpft auf: Schweigen über diesen internationalen Skandal oder das Ganze aufdecken. „Als Journalist war es unsere Pflicht, die Story zu bringen“, sagt Dündar, der nicht weiß, wann er in seine Heimat zurück kann.

Auch in Russland tut sich die Presse schwer. Diana Kachalova, Chefredakteurin der Sankt Petersburger Ausgabe von Russlands größter Oppositionszeitung Novaya Gazeta, erklärte die Situation der Presse in ihrem Land vor Kurzem gegenüber dem Tageblatt. Die größten TV-Sender gehören dem Staat oder Leuten, die so nah an Putin sind, dass man ihre Sender als Staatsbesitz bezeichnen könne, klagte Kachalova.

Das weitaus größere Problem aber sei, „dass wir unabhängige Medien nicht nur verlieren, weil sie geschlossen werden“. Die meisten Zeitungen würden jedoch nicht geschlossen, sie wechselten nur die Eigentümer. „Aus irgendwelchen seltsamen Gründen sind das immer gesellschaftsliberal eingestellte Besitzer, die dazu bewegt werden, ihre Medien an jemanden zu verkaufen, der dann die politische Linie der Zeitung umdreht … Beschwert man sich dann über politischen Druck, heißt es bloß: Nein, nein, das waren finanzielle, wirtschaftliche Gründe – der Mann wollte halt verkaufen, mehr nicht“, bringt Kachalova eine weitere Methode auf den Punkt, um sich die Presse gefügig zu machen.

Hass und Verachtung

Die USA werden inzwischen von einem Mann regiert, der die Presse hasst. Zumindest jenen Teil der Presse, der kritisch recherchiert und sich nicht alles gefallen lässt. Die Folge sind Schimpftiraden vor allem gegen die New York Times oder die Washington Post, die Donald Trump vorwiegend über soziale Medien wie Twitter verbreitet, oder persönliche Beleidigungen einzelner Journalisten, etwa indem sich Trump über deren Behinderung oder Aussehen lustig macht.

Diese Verachtung gegenüber Medientreibenden ist längst auch in Europa heimisch geworden. In Polen stehen die Oppositionszeitungen unter Druck. In Ungarn hat sich Premier Viktor Orbán große Teile der Medienlandschaft gefügig gemacht, indem seine Entourage sich Medienhäuser oder Zeitungen einverleibte. In Tschechien sieht es nicht viel besser aus. In den meisten Ländern des Westbalkans eher schlimmer. Was früher eine kritische Presse war, ist nun Hofberichterstatter.

Es ist auch nicht nur der Osten Europas, in dem die Presse gering geschätzt oder gegängelt wird. Auch in Österreich bläst seit der neuen Regierung aus Konservativen und Rechtsextremen ein rauer gewordener Wind. Die Angriffe auf den öffentlichen Rundfunk im Gesamten und gegen einzelne Journalisten im Besonderen mehren sich. In der Schweiz kam es zur Volksabstimmung darüber, ob Rundfunkgebühren beibehalten werden sollten.
Die Initiative dort kam aus der rechten Ecke. Auch der rechtsextreme Front national in Frankreich und seine Chefin Marine Le Pen schießen scharf gegen die Presse. Die Liste ließe sich noch lange fortführen, und eines ist offensichtlich: die Einschläge kommen näher.