Sportklettern(K)ein Ende der Fahnenstange: Jay Hoffmann klettert als erster Luxemburger Nikita in Berdorf

Sportklettern / (K)ein Ende der Fahnenstange: Jay Hoffmann klettert als erster Luxemburger Nikita in Berdorf
Am 1. Mai gelang Jay Hoffmann ein weiterer Meilenstein im luxemburgischen Sportklettern Foto: Jacques Welter

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Beim modernen Klettern am Fels reduziert sich das olympische „höher, schneller, stärker“ vor allem auf schwerer. In den letzten Jahren schraubt eine neue Generation an luxemburgischen Sportkletterern das Niveau nach oben. Und am 1. Mai gelang Jay Hoffmann mit der derzeit schwersten luxemburgische Route auch die erste 8c eines Luxemburgers.

Nach der Besteigung des Mount Everest konnte es eigentlich nicht mehr höher gehen. In einer neuen Spielart versucht eine ständig steigende Zahl an Sportkletterern – auch hierzulande – anstatt des Gipfelerfolges möglichst schwere Routen und Boulder nur mittels der eigenen Kraft und Geschicklichkeit zu klettern. Seit Ron Kauk 1970 mit Astroman im Yosemite die erste 7a geklettert ist, sind die Schwierigkeiten explodiert. Statt Titeln und Siegen geht es darum, immer höhere Schwierigkeiten vorzuweisen. Mit dem berühmten Sprung in ein Zweifingerloch in der legendären „Action Directe“ gelang Wolfgang Güllich 1991 gleichzeitig der erstmalige Aufstieg in den neunten (französischen) Schwierigkeitsgrad. Im selben Jahr schaffte in der luxemburgischen Wanterbach Raym Haupert (und wenig später Jacques Welter) den achten Grad. Obwohl das Sportklettern eigenen Regeln folgt und es keine Schiedsrichter gibt, sind Streitigkeiten selten. Allerdings sind von den gerade einmal 26 Wiederholungen jener „Action Directe“ zwei umstritten, respektive zweifelhaft. Jedoch nicht die bisher letzte, als Mélissa Le Nevé im Mai 2020 als erster Frau die 15 steilen Meter an kleinen Fingerlöchern gelangen.

Die luxemburgische Kletterszene hinkt der internationalen Entwicklung hinterher: Erst 2006 gelang Jean-Marc Winckel ebenfalls im heimischen Berdorf mit „Hasta la vista gringo“ (8b) der nächste Schwierigkeitsgrad. Die folgende Stufe eines Luxemburgers ist dann etwas umstritten: In der Wanterbach kombinierte Noé Berger 2009 Schwierigkeiten bestehender Routen zur 8b+ gewerteten Kombi „Terminator“. Erst 2020 gelang Anselm Geimer im Frankenjura die erste eigenständige Route im Grad 8b+, was Ende des gleichen Jahres auch Mika Welter in Spanien glückte. Statt mitzudiskutieren, schaute Jean-Marc Winckel damals nach vorne: „Worauf wir in der Kletterszene mittlerweile alle warten, ist, wer wohl als erster Luxemburger eine 8c schafft.“

„Von den Fesseln befreien“

Mit dem Erreichen der Kette oben am Umlenker von Nikita ist Jay Hoffmann am 1. Mai in Luxemburg an einem (vorläufigen) Endpunkt angelangt. Die vor knapp 30 Jahren von Jacques Welter eingebohrte Route wurde erst 2012 erstmals am Stück geklettert und hat mit zwei überaus schwierigen Einzelstellen nur wenige Wiederholer. Im feinen, aber kleinen Berdorfer Klettergebiet sind die Routen im achten Grad dabei rar gesät und Nikita das schwerste, was man aktuell im Großherzogtum klettern kann. Weshalb Jacques Welter nach einem Lob der herausragenden Leistung des ursprünglich aus dem Bouldern kommenden Jay Hoffmann und angesichts der kontinuierlichen Entwicklung der luxemburgischen Felskletterer in den letzten Jahren sogleich fordert: „Mit Nikita ist definitiv die momentane Decke der Schwierigkeitsskala in Luxemburg erreicht. Neben einer Reihe weiterer Gründe müsste diese Natursportart auch deswegen von ihren Fesseln befreit werden.“ Mit der Felskommission des nationalen Kletterverbandes arbeitet der Sportkletterpionier so bereits seit 2017 daran, dass im Respekt mit der Natur neue Klettergebiete erschlossen werden. In denen er zu einem guten Teil in seinen Anfängen selbst noch kletterte.

Auch Jerry Medernach schlägt in die gleiche Kerbe. Jay Hoffmann hatte vor gerade einmal sieben Jahren bei dem von ihm gegründeten Boulder Club Lëtzebuerg mit dem Klettern angefangen. Der diplomierte Sportwissenschaftler hat derzeit einen Lehrauftrag an der Kölner Sportuniversität und forscht post-doc in der Sportpsychologie an den kognitiven Aspekten der Individualsportarten. Er meint: „Am Fels entwickelt man enorme Bewegungsintelligenz, das Klettern in der Halle kann diese Bewegungsmuster nur spiegeln.“ Auch deshalb wären mehr natürliche Routen vonnöten und er urteilt über Jay Hoffmann: „Für sein hohes Niveau klettert er noch überhaupt nicht lange. Er ist das Aushängeschild, das zeigt, dass die physischen Faktoren weniger wichtig als bisher gedacht sind. Er zeichnet sich durch seine mentale Stärke, also seine Energie und Determination aus. Und eben seine Bewegungsintelligenz, mit der er immer schnell die optimalen und ökonomischsten Bewegungen findet, direkt alle Tipps umsetzen kann.“

Er bedauert zwar noch, dass es den besten Felskletterern noch an Unterstützung fehlt, aber zeigt sich auf der anderen Seite für diese neue Generation an Felskletterern sehr zuversichtlich: „Ich bin mir sicher, dass für Jay eine 9a möglich ist, und kann mir vorstellen, dass bereits in zwei, drei Jahren einer von den Jungen diese Schwelle schafft.“ Zumindest Jay Hoffmann und der aktuell wegen einer schweren Fingerverletzung pausierende Mika Welter haben dieses Ziel für sich bereits ausgerufen.


Für die Schlüsselstelle benötigte Jay Hoffmann 16 bis 18 Versuche bis zum Durchstieg
Für die Schlüsselstelle benötigte Jay Hoffmann 16 bis 18 Versuche bis zum Durchstieg Foto: Tommy Hardt

„Ich hatte einen tollen Flow“

Jay Hoffmann ist derzeit der stärkste Luxemburger am Fels

Tageblatt: Man kennt Sie als besten luxemburgischen Boulderer, wie kommen Sie zum Sportklettern?

Jay Hoffmann: Seit der Pandemie war es mir nicht möglich, zum Boudern oft und lange genug ins Ausland zu fahren. In Luxemburg kann man dann eigentlich nur in der Wanterbach sportklettern. Das Gebiet ist jedoch recht klein und Nikita mit 8c die schwerste Route.

Mit dem Boulder Dark Sakai (Fb, 8b) und jetzt Nikita sind Sie aktuell der stärkste Luxemburger am Fels. Was war schwerer?

Ich freue mich sehr über den Erfolg in Nikita, aber eigentlich ist Dark Sakai die größere Schwierigkeit. Doch mir bedeutet dieser Durchstieg sehr viel. Die Route wurde 1992 von Jacques Welter eingebohrt, dann dauerte es 20 Jahre, bis mit Simon Plum sie überhaupt wer schaffte. Und jetzt der erste Luxemburger. Mir geht es dabei nicht darum, dass es 8c ist oder ich der erste Luxemburger in dem Grad bin, sondern es ist für Luxemburg eine historische Route. Die schwerste im Land. Dies zeigt, dass es in der luxemburgischen Kletterszene vorangeht.

Wie lange haben Sie an diesem Erfolg gearbeitet?

Ich hatte bereits letztes Jahr einige gute Versuche in Nikita, bin aber meistens in der zweiten Schlüsselstelle gestürzt. Nach dem Ausarbeiten benötigte ich insgesamt so 16 bis 18 Versuche bis zum Durchstieg. Vergangenen Dienstag hatte ich bereits zwei sehr gute Versuche, ohne sie zu schaffen. Am Samstag versuchte ich sie dann sehr spontan, hatte es nicht geplant, aber einfach einen sehr guten Tag. Ich war sehr ruhig im Kopf, hatte einen tollen Flow und konnte durchsteigen.

Für die Schlüsselstelle benötigte Jay Hoffmann 16 bis 18 Versuche bis zum Durchstieg
Für die Schlüsselstelle benötigte Jay Hoffmann 16 bis 18 Versuche bis zum Durchstieg Foto: Tommy Hardt

Was macht die Schwierigkeit von Nikita aus?

Das Schwierige an Nikita ist vor allem die erste Schlüsselstelle. Von einem kleinen Griff für drei Fingerkuppen muss man auf ein Loch ziehen, in das nur das erste Glied des Mittelfingers passt. An dem muss man mit rechts an einen guten Griff springen und dabei die Spannung halten. Danach kommt zwar eine sehr gute Ruheposition. Aber auch noch die zweite Schlüsselstelle, die delikat und wacklig ist. Hier muss man von einem Untergriff weit auf ein Zweifingerloch. Danach braucht man immer noch genügend Ausdauer bis zum Umlenker.

Und wie geht es jetzt weiter?

Zu meinen nächsten Zielen gehört ein Boulder in der Schwierigkeit 8b+, aber dafür muss ich nach Frankreich oder in die Schweiz. Gerade in der Schweiz gibt es sehr viele Boulder in dieser hohen Schwierigkeit. 9a würde ich aber auch gerne noch im Sportklettern schaffen, davor steht noch 8c+ und in den Schwierigkeiten gibt es im Moment in Luxemburg leider keine Routen.

Für die Schlüsselstelle benötigte Jay Hoffmann 16 bis 18 Versuche bis zum Durchstieg
Für die Schlüsselstelle benötigte Jay Hoffmann 16 bis 18 Versuche bis zum Durchstieg Foto: Tommy Hardt

Die Meilensteine im Sportklettern