Es ist ein Sommertag im hessischen Rüsselsheim. Nancy Faeser trifft gemeinsam mit SPD-Chef Lars Klingbeil in der Skaterhalle „Rollwerk“ den Betriebrat des Autobauers Opel. Das Rollwerk ist eine ehemalige Werkshalle, es geht im Gespräch um Transformation, den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft, die Fachkräfteeinwanderung. Draußen stehen zwei Frauen und fragen, warum denn die dunklen Wagen des Bundeskriminalamts vor der Skaterhalle stehen. „Ach, die Nancy“, sagt eine der Frauen dann in breitem hessischen Dialekt. „Eine von uns. Ein hessisch Mädsche.“
Die 53 Jahre alte Bundesinnenministerin hat in der Tat in Hessen keine Anknüpfungsprobleme. Faeser ist gebürtige Hessin, wuchs in Schwalbach am Taunus auf. Schon mit 18 Jahren trat sie in die SPD ein, studierte in Frankfurt am Main Jura. Sie ging früh in die Kommunalpolitik, arbeitete als Rechtsanwältin in Wirtschaftskanzleien in Frankfurt.
Bevor die Juristin nach Berlin wechselte, war sie bereits Oppositionsführerin im hessischen Landtag und machte sich als SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss zur Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) einen Namen. Faesers Wirken auf landespolitischer Ebene führte überhaupt erst dazu, dass Bundeskanzler Olaf Scholz auf sie aufmerksam wurde und sie in sein Kabinett holte. Dass sie ihren Ministerinnenjob als Wahlkämpferin nicht aufgeben wollte und ankündigte, im Fall einer Niederlage nicht nach Hessen gehen zu wollen, war in der SPD-Spitze durchaus sehr umstritten. Aber Faeser setzte sich durch.
Manchmal ein durchaus schwieriger Balance-Akt: Es ist ein Mittwoch im September, rund eineinhalb Wochen vor der Hessen-Wahl. Es ist der Tag, an dem die Innenministerin die rechtsextremistische Gruppe „Artgemeinschaft“ verbietet. Die SPD-Politikerin kommt aus dem Innenausschuss des Bundestags und wird gefragt, ob es auch Festnahmen in Hessen gegeben habe. Faeser weiß über die Ergebnisse einzelner Durchsuchungen nicht Bescheid. Dann sagt sie süffisant diesen Satz, der ihr derzeitiges Dilemma offenlegt: „Ich habe den Blick auf alle Bundesländer gleichermaßen.“ Faeser nimmt die Kritik, dass sie als Spitzenkandidatin der hessischen Sozialdemokraten ihr Bundesland besonders im Fokus habe, quasi vorweg.
Zu wenig gegen illegale Migration getan
Ihr Plan, nach 24 Jahren CDU-geführter Landesregierung die hessische Staatskanzlei wieder in SPD-Hand zu bringen, ist – laut aktuellen Umfragen – allerdings in die Ferne gerückt. Aktuell sieht es danach aus, dass CDU-Amtsinhaber Boris Rhein auch nach dem 8. Oktober weiterregieren kann. Seit im Februar dieses Jahres bekannt wurde, dass Faeser in Hessen antritt, wird ihre Arbeit in Berlin von Kritikern mit noch mehr Argwohn betrachtet als bisher. Mit Blick auf die Migrationspolitik hat die sozialdemokratische Ministerin einiges angestoßen – was ihr in der eigenen Partei durchaus schon als „Law-and-order-Politik“ ausgelegt wird. Das Einsetzen für ein neues europäisches Verteilsystem, die Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten sowie Rückführungsverträge gehen auf ihr Konto. Kritiker wiederum werfen ihr vor, zu wenig zu tun, um den Zustrom illegaler Migration nach Deutschland zu begrenzen.
Doch damit nicht genug an innenpolitischen Baustellen. Erstarkender Extremismus, Gefahren durch Cyber- und Clankriminalität, Spionageversuche einer aufstrebenden Großmacht wie China, ein reformbedürftiger Bevölkerungsschutz und nicht zuletzt die bis heute umstrittene Entscheidung Faesers, im Herbst vergangenen Jahres den früheren BSI-Präsidenten Arne Schönbohm versetzt zu haben. Hier verhielt sie sich erstaunlich defensiv, machte erst nach mehreren Einladungen in den Innenausschuss deutlich, dass sie das Vertrauen in den Behördenchef verloren hat.
Scharfer Ton gegen rechten Rand
Zumindest im Kampf gegen den Rechtsextremismus muss Faeser sich nicht vorwerfen lassen, ihre Linie im Wahlkampf geändert zu haben. Als die 53-Jährige das Innenressort 2021 als erste Frau übernahm, hat sie den Kampf gegen die extrem Rechte zu einem ihrer Schwerpunkte erklärt. Sie sandte damit von Beginn an einen schärferen Ton an den rechten Rand als ihr Vorgänger Horst Seehofer (CSU). Damit wollte sie auch signalisieren, dass sie als Frau an der Spitze eines Mammutministeriums, zu dessen Geschäftsbereich mehr als 80.000 Mitarbeiter gehören, auch Härte an den Tag legen kann.
Warum tut Faeser sich den Wahlkampf eigentlich an? Sie brennt für ihr Heimat-Bundesland, das merkt man ihr an. Doch dass Faeser auch als Vizeministerpräsidentin oder gar als Oppositionsführerin in die Landespolitik zurückkehren würde, gilt als unwahrscheinlich. In Berlin stellt sich dagegen die Frage, ob Faeser sich als Ministerin halten kann, wenn sie in Hessen ein schlechtes Ergebnis einfährt. Sie selbst soll kürzlich gesagt haben, sie gehe davon aus, dass sie ihren Ministerposten behalten würde, aber das entscheide am Ende der Kanzler.
Scholz dürfte kein großes Interesse daran haben, nach dem Rücktritt seiner früheren Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die zweite SPD-Frau auswechseln zu müssen. Sollte sie doch in Hessen bleiben, wird die Besetzung des Innenministerpostens eine zentrale Herausforderung sein. Namen kursieren in Berlin derzeit noch kaum. Für Faeser als Ministerin ist das eine gute Nachricht. Für die Wahlkämpferin eher eine schlechte.
Als Norbert Roettgen 2012 die Wahlen in Nordrhein Westfalen verlor, hatte Angela Merkel ihn ,weil er sich weigerte seinen Hut zu nehmen kurzerhand aus dem Kabinet geschmissen . In Frankreich reichen Minister nach einer verlorenen Wahl auf der Stelle ihren Ruecktritt ein . In Luxemburg gehoeren Minister die es nicht direkt in die Chamber packen , aus Gruenden von politischer Hygiene nicht in die Regierung . Was Faeser angeht ,die ist fuer Scholz schon lange eine Belastung auf die er gerne verzichten wuerde .