Stahlwerk Esch-SchifflingenIndustrial Peepshow: Ein Ortsbesuch der etwas anderen Art

Stahlwerk Esch-Schifflingen / Industrial Peepshow: Ein Ortsbesuch der etwas anderen Art
 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Der Name ist Programm: Am Samstag fand die erste „Industrial Peepshow“ des Ferro Forum im früheren Stahlwerk von Esch-Schifflingen statt. Das Tageblatt war beim Ortsbesuch der etwas anderen Art dabei.

Tag der Arbeit, 14.00 Uhr: An der Kufa haben sich rund 20 Menschen versammelt, die einen Blick riskieren wollen. Sie haben sich für die erste „Industrial Peepshow“ des Ferro Forum angemeldet. Die nächsten vier Stunden werden sie im verlassenen Stahlwerk Esch-Schifflingen verbringen. In 20 Jahren soll hier ein neues Stadtviertel für bis zu 10.000 Einwohner stehen. Das allerdings ist Zukunftsmusik.

In der Gegenwart führt der Weg an überwucherten Bahnschienen entlang in Richtung Hauptportal. Es ist der 1. Mai und die in zwei Gruppen aufgeteilten Besucher sammeln ein wenig Gestrüpp auf. Während im Museum die Geschichte der „Metzeschmelz“ Revue passieren gelassen wird, binden die Mitglieder des Ferro Forum daraus den Maikranz, der anschließend fast drei Stunden lang quer über das Areal getragen wird. Denn im früheren Stahlwerk gibt es viel zu sehen und das braucht Zeit. Ende 2011 hatte ArcelorMittal die Stilllegung auf unbestimmte Zeit verkündet. Die Arbeiter und Angestellten gingen davon aus, ihren Job bald wieder aufnehmen zu können, weshalb es nun, zehn Jahre später, dort aussieht, als wäre der Ort fluchtartig verlassen worden. Aktenordner liegen herum, genau wie persönliche Gegenstände der Belegschaft. Und natürlich jede Menge Arbeitsmaterial. Und Schrott. Auf dem Weg durch das Areal wird etwas klarer, was die Mitglieder des Ferro Forum so machen. Obwohl sie schon x-mal hier waren, finden sie immer wieder neues Material, was sie als erhaltenswert betrachten. Es wird eingesammelt. Diese „Ressourcerie“ geschieht quasi nebenbei. Und sie ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn die Abrissarbeiten im Inneren haben schon begonnen. Viele Dinge werden so der Nachwelt erhalten und ins Herzstück des Ferro Forum gebracht, das Atelier. 

„Houere Miel gëtt houere Pankech“

Dieses Atelier ist Zielpunkt der industriellen Peepshow. Bis die Gruppe hier angekommen ist, dauert es noch ein wenig. Misch Feinen, Initiator und Präsident des Ferro Forum, geht immer wieder auf die Geschichte des Stahlwerks ein, dessen endgültiges Ende 2016 proklamiert wurde. Er bekommt Unterstützer, denn im Publikum befinden sich gleich mehrere Experten. Herr Klein zum Beispiel, der im Differdinger und Belvaler Werk gearbeitet hat. Er stammt noch aus der Zeit der Hochöfen. Der letzte dieser Art in Luxemburg war der Hochofen B in Belval. Er wurde 1997 stillgelegt. Seitdem gibt es nur noch Elektrostahlwerke im Land. Mit denen kann Herr Klein wenig anfangen. Es ist eine Frage der Qualität: „Houere Miel gëtt houere Pankech“, sagt er. Was oben reinkommt, kommt unten raus. In Elektroöfen wird Schrott zur Stahlproduktion geschmolzen. Und wenn der Schrott von minderer Qualität ist, dann kommt auch minderwertiger Stahl heraus, selbst wenn das bei ArcelorMittal niemand zugeben würde. Beim Eisenerz, das in Hochöfen zu Stahl verarbeitet wurde, sei das ganz anders gewesen, sagt der frühere Stahlarbeiter.

Misch Feinen
Misch Feinen Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Gruppe ist in der zentralen Werkstatt der Schmelz angekommen. Hier befindet sich mit dem Atelier das Herzstück des Ferro Forum. Im Gegensatz zu den zuvor besichtigten Gebäuden und Hallen des früheren Stahlwerks herrscht so etwas wie Ordnung. Seit vielen Monaten trifft sich hier zweimal die Woche der harte Kern der Asbl. Es ist das Zentrum des Projekts, das für Esch2022 zurückbehalten wurde und finanziell durch eine Börse der „Oeuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“ unterstützt wird.      

„Das Atelier soll später einmal ein lebendiges Zentrum der Industriekultur werden mit allem, was mit der Stahlproduktion zu tun hat, von der Erzverarbeitung zu Zeiten der Kelten bis zu neuen Technologien wie 3D-Druck“, sagt Misch Feinen. Der Künstler kommt aus einer Düdelinger Stahlarbeiterfamilie und möchte die Tradition hochhalten. „Es soll einen direkten Zusammenhang zwischen Handwerk, Industrie und Kunst geben“, sagt er. Es geht also darum, „Leute zusammenzubringen und sie voneinander lernen zu lassen“. Erfahrungen in diesem Bereich hat Feinen, initiierte er doch ein ähnliches Projekt in Düdelingen mit,  „DKollektiv“. So entstand u.a. ein Hochofen in Kleinformat, der Ende des Jahres nach Esch-Schifflingen umziehen soll.         

Esch2022 als Generalprobe

Um das Projekt bekannter zu machen und den einen oder anderen zur Mitarbeit zu motivieren, werden nun die Peepshows organisiert. Jeweils am ersten Samstag des Monats, wobei eine Anmeldung, wegen der momentan limitierten Teilnehmerzahl, zwingend erforderlich ist (moien@ferroforum.lu). Es bleibt noch viel zu tun bis zur Eröffnung von Esch2022. Wobei Ferro Forum nicht auf das Kulturjahr fixiert ist. „Nächstes Jahr ist, wenn man so will, eine Generalprobe für das, was hier in Zukunft sein wird“, sagt Misch Feinen. Priorität hat momentan auch die Schaffung einer Art „Buvette“, wo die Leute später zusammenkommen und ihre Ideen austauschen sollen. 

Das Ferro Forum steht also noch ziemlich am Anfang des Wegs. Ziel ist es, dass das Atelier einmal in das neue Viertel integriert wird. Momentan habe man eine Konvention mit ArcelorMittal und der Agora, die die Umwandlung von der Industriebrache in ein Stadtviertel wie schon auf Belval betreibt. „Das Feedback von ihnen ist gut, ich hoffe, dass das so bleibt. Schließlich entsteht hier ein neues Viertel und niemand weiß momentan genau, wie das einmal aussehen wird“, schließt Misch Feinen.

Zufrieden machen sich die Besucher kurz nach 18.00 Uhr auf den Heimweg. Der Maikranz hängt schon länger im Atelier. Nach vier Stunden industrieller Peepshow fällt es schwer, sich vorzustellen, dass hier, wo die letzten 100 Jahre lang Stahl produziert wurde, einmal das modernste Stadtviertel des Landes stehen soll. 

Die „Kamelleschmelz“ und „Gudden Appetit“

Liebe geht durch den Magen. Auch die zur Industriekultur. In diesem Kontext passt das neue Buch, das Ferro Forum zusammen mit DKollektiv herausgeben hat. Das Werk ist das Resultat der Veranstaltung „Alerte Gourmande – Iessen op eege Gefor“ im Oktober 2019 in Düdelingen. Es bietet Rezepte direkt aus der „Schmelz“ oder der Mine und ist für 39 Euro zu haben (guddenappetit@gmail.com). 
Ebenfalls kulinarisch angehaucht ist Trixi Weis’ Projekt der „Kamelleschmelz“, die im zentralen Atelier von Ferro Forum entsteht und Teil des Projektes für Esch2022 ist. Zusammen mit Paul Wurth, dem Lycée Emile Metz und dem Lycée des Arts et Métiers baut die Künstlerin eine Kamellenproduktion im Stile einer Gießerei auf.      

Skizze der „Kamelleschmelz“
Skizze der „Kamelleschmelz“ Foto: Editpress/Julien Garroy