ViruskriseIn Südosteuropa sind Roma besonders gefährdet – und vermehrten Anfeindungen ausgesetzt

Viruskrise / In Südosteuropa sind Roma besonders gefährdet – und vermehrten Anfeindungen ausgesetzt
Ein Soldat (l) überwacht Tests auf das Coronavirus in einer Roma-Siedlung die mit Hilfe von Militärzten durchgeführt werden. Foto: Kristína Mayerová/TASR/dpa

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Die Pandemie überschattet den Welt-Roma-Tag am 8. April. Außer Armut und Ausgrenzung machen der stigmatisierten Minderheit in Südosteuropa in der Viruskrise erhöhte Infektionsgefahr und vergrößerte Existenzsorgen zu schaffen.

Festtagsfreude kommt bei Naser Ajeti vor dem Welt-Roma-Tag am 8. April keinerlei auf. Das Leben sei für die Roma in der Corona-Krise „noch schwerer als zuvor“, berichtet der Roma-Aktivist in der serbischen Provinzstadt Zrenjanin am Telefon. Ohne Handschuhe, Masken und Desinfektionsmittel würden seine Nachbarn zu den Müllcontainern ziehen, um „mit bloßen Händen“ nach verwertbarem Altpapier, Plastik und Aluminiumdosen zu suchen: „Weil sie müssen, gehen sie raus – und säubern die Stadt. Sie haben keinen anderen Job, von dem sie leben können, und kein Geld, um sich vor Infektionen zu schützen.“

Die Pandemie überschattet den alljährlichen Festtag von Europas stigmatisierter Minderheit. Auf 10 bis 12 Millionen Menschen wird die Zahl der Roma geschätzt – die meisten leben in den Staaten Südosteuropas. Außer Armut und Ausgrenzung machen ihnen in der Viruskrise die Infektionsgefahr, verstärkte Existenzsorgen und vermehrte Anfeindungen zu schaffen.

Ungelernte Tagelöhner, Erntehelfer, Saison- und Hilfsarbeiter sind die Ersten, die in ganz Europa durch die Viruskrise ihre Jobs verlieren. Viele Roma, die zuvor als Arbeitssöldner in den von der Pandemie besonders hart getroffenen Staaten wie Spanien, Italien, Frankreich oder Deutschland ihre Familien in der Heimat über Wasser hielten, sind in ihre Heimat zurückgekehrt.

Polizei-Checkpoints bei Roma-Vierteln

In Rumänien haben Heimkehrer, die sich nicht an die Auflagen der Selbstisolierung hielten, die Ausbreitung des Virus beschleunigt – darunter auch Roma. Rumäniens Innenminister Marcel Vela hat die Kleinstadt Tandarei wegen sprunghaft gestiegener Infektionszahlen der dortigen Roma-Bevölkerung am Wochenende komplett abriegeln lassen: Vor allem bei Roma-Beerdigungen sollen sich Bewohner infiziert haben.

Von der „tickenden Bombe in Tandarei“ spricht die rumänische Website recorder.ro. Nach Jahrzehnten „ohne klare Integrationsstrategie“, in denen viele Roma nach Westen auswanderten und „in Europas Verantwortung übergingen“, müsse Rumänien in der Viruskrise nun feststellen, dass sich die Probleme der vernachlässigten Randgruppe „nicht von selbst lösen“.

Eher politisch motiviert wirken hingegen die Polizei-Checkpoints an den Zugängen zu Roma-Vierteln in bulgarischen Provinzstädten wie Sliwen, Stara Sagora oder Kasanlak, mit denen romaphobe Bürgerväter deren Bewohner „disziplinieren“ wollen. Die nationalistische VMRO, die in Sofia mit am Regierungstisch sitzt, hat trotz der bisher relativ geringen Infektionszahlen bereits die Isolierung aller Roma-Viertel in Bulgarien gefordert.

Die sich auch in Südosteuropa rasch verschlechternde Wirtschaftslage und die oft sehr rigiden Ausgangssperren treffen die ärmsten Bevölkerungsschichten der Balkanstaaten besonders hart. In Serbien ist es nicht nur die durch die frühe Ausgangssperre verkürzte Arbeitszeit, sondern auch der durch die Einstellung des Nahverkehrs eingeschränkte Zugang zu den Innenstädten, die die Einkünfte der oft in Vororten lebenden Müllverwerter in der Viruskrise sinken lassen.

Beengte Lebensverhältnisse

Es sind die oft sehr beengten Lebensverhältnisse und ihre gesellschaftliche Ausgrenzung, die Roma auf dem Balkan in der Viruskrise zu einer besonders gefährdeten Risikogruppe machen. In Albanien verfügen nur 48 Prozent der Roma über einen Wasseranschluss. In Kosovo hat nur ein Zehntel der Roma eine Krankenversicherung. In Bosnien und Herzegowina haben nur 11 Prozent, in Serbien nur 14 Prozent der Roma eine feste Arbeitsstelle.

Soziale Distanz ist in den überfüllten Elendssiedlungen und Vierteln der Roma kaum zu verwirklichen. In Zrenjanin würden viele Roma-Familien zu siebt oder acht zusammen leben, berichtet Ajeti. Die Stadt habe zwar Hilfspakete mit Desinfektionsmitteln versprochen: „Aber bisher haben wir nichts erhalten.“

Die Insassen des Flüchtlingslagers in Bujanovac wollen für die Müllverwerter von Zrenjanin nun zwar Schutzmasken schneidern. Aber der über das „Soziale Forum Zrenjanin“ verbreitete Spendenaufruf Ajetis zum Infektionsschutz für die Mülltrenner verhallte ansonsten fast ungehört. „Alle schauen in der Corona-Krise nur auf sich selbst. Unser Schicksal interessiert niemanden“, sagt Ajeti.

Leila
7. April 2020 - 19.44

Es gibt seit x-Jahren so viele Spendenaufrufe für Afrika (noch immer grenzenlose Armut, wir wissen wo das Geld bleibt...) usw., doch für Roma's hört man selten, wenn überhaupt was! Kein Wunder, dass sie zum großen Teil vom Klauen oder Betteln leben, was bleibt ihnen schon übrig? Es sind die (gern?) vergessenen EUROPÄISCHEN Bürger - eine Schande!

J.Scholer
7. April 2020 - 17.01

In Südosteuropa sind Roma , auch vor der Krise , schon als Menschen zweiter Klasse eingestuft worden und der Begriff des Untermenschen spuckt noch immer den Köpfen der dortigen Politik , der Bürger.Die Bevölkerung der Roma wurden ausgegrenzt, stigmatisiert, in Ghettos eingepfercht und wir restliche Welt haben weggeschaut, es zugelassen.

J.C.Kemp
7. April 2020 - 16.59

So weit ist das Mittelalter ja noch nicht weg. In den Köpfen verschiedener Menschen ist es immer noch tief verwurzelt.Wie war das mit der Erklärung für die Verbreitung der Pest?