ÜberwachungIn Österreich werden die Bürger über Corona an mehr Kontrolle gewöhnt

Überwachung / In Österreich werden die Bürger über Corona an mehr Kontrolle gewöhnt
„Datenschutz oder Leben?“, fragt Österreichs Kanzler Sebastian Kurz rhetorisch und pocht auf das Corona-Tracking per App Foto: dpa/APA/Robert Jäger

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Getarnt als Lebensretter nützt Big Brother in Österreich die Corona-Chance. Bereits jetzt gibt es eine App, die einen vor Corona warnen kann. Bis jetzt passiert das alles auf Basis der Freiwilligkeit. Doch genau dieses Prinzip beginnt schon zu wackeln.

Nicht der Staat, sondern das Rote Kreuz hat – beworben von der Bundesregierung – jene „Stopp-Corona“-App lanciert, die schon auf mehr als 200.000 Handys installiert worden ist. Persönliche Begegnungen werden mit einem „digitalen Handshake“ anonymisiert gespeichert. Erkrankt eine Person an Corona, wird jeder, der in den vergangenen 48 Stunden Kontakt zu ihr hatte, automatisch benachrichtigt und gebeten, sich selbst zu isolieren.

Derzeit muss die Eintragung eines Kontaktes manuell bestätigt werden, was im Google Play Store ein Hauptkritikpunkt von Usern ist. Tatsächlich macht die App wenig Sinn, wenn Nutzer ihre Begegnungen händisch ins Kontakttagebuch aufnehmen müssen. Das Rote Kreuz kündigte daher für Donnerstag ein Update an, das eine automatisiertes Kontaktregister als Option vorsieht. Wenn aber alle ihr Handy zum gegenseitigen und automatischen Corona-Check ohne Einwilligung im Einzelfall nützen, drängen sich datenschutzrechtliche Fragen auf.

Was ist uns wichtiger? Datenschutz oder, dass Menschen wieder normal aus dem Haus können? Datenschutz oder Leben zu retten?

Sebastian Kurz,, österreichischer Kanzler

Datenschützer haben derzeit freilich einen schweren Stand. Sie sind mit einem Argument konfrontiert, das in ähnlicher Form schon für die Beschränkung individueller Freiheiten im Kampf gegen den Terror ein schlagendes war: „Was ist uns wichtiger? Datenschutz oder, dass Menschen wieder normal aus dem Haus können? Datenschutz oder Leben zu retten?“ Mit dieser rhetorischen Frage widerspricht Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Bedenkenträgern, die in Österreich schon chinesische Zustände heraufziehen sehen.

Datenschützer treten leise

Allzu laut melden sich Datenschützer derzeit ohnehin nicht zu Wort. Schließlich hat niemand das Rote Kreuz im Verdacht, Big Brothers williger Vollstrecker sein zu wollen. Selbst der mit seinem Kampf gegen Facebook über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte Datenschutzaktivist Max Schrems plädiert lediglich für eine Datennutzung „mit Maß und Ziel“ und pocht auf das Prinzip Freiwilligkeit.

Genau das wackelt aber schon. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sprach sich am Samstag für eine verpflichtende Installation der Rot-Kreuz-App aus, ruderte aber tags darauf nach lauten Protesten der Opposition zurück. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch warnte vor einer „elektronischen Fußfessel“ für alle, die liberalen Neos nannten die Idee „verrückt und von autoritärem Gedankengut getrieben“ und selbst der autoritären Tendenzen nicht abgeneigt gewesene ehemalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl forderte einen „Schulterschluss der Demokraten gegen diese totalitären Anwandlungen“.

Die Fraktionschefin der mitregierenden Grünen, Sigrid Maurer, schwört, dass eine Überwachung wie in China „dezidiert nicht geplant“ sei. Der Kanzler setzt dennoch auf „Tracking“, wie er bekräftigte. Sogar die zwei Millionen Österreicher, die kein Smartphone besitzen, sollen keine Ausrede haben: Laut Kurz sind bereits Schlüsselanhänger mit der Funktionalität der umstrittenen App in Produktion.

Die mulmige Gefühl der Datenschützer resultiert aus der Befürchtung, all das könnte nur der Anfang sein. Sollte sich Datenkontrolle im Kampf gegen Corona als hilfreich erweisen, könnte sich schon bei der nächsten „normalen“ Grippewelle erneut die Frage nach der Lebensrettung durch Big Data-Auswertung stellen. Warum nicht jedes Jahr tausende Grippetote vermeiden? Der Bürger wäre ohnehin schon an die Überwachung gewöhnt – und Big Brother seinem Ziel einen weiteren Schritt näher gekommen.