Racial ProfilingIn Luxemburg werden schwarze Menschen sogar etwas seltener kontrolliert – fühlen aber oft ein „Unbehagen“

Racial Profiling / In Luxemburg werden schwarze Menschen sogar etwas seltener kontrolliert – fühlen aber oft ein „Unbehagen“
Alle(s) im Blick? Die Polizei in Luxemburg verspricht, niemanden zu diskriminieren. Einer Studie zufolge empfinden Menschen mit afrikanischen Wurzeln das aber anders. Foto: Editpress

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Personen, deren äußere Erscheinung afrikanische Wurzeln vermuten lässt, werden in Luxemburg nicht öfter von der Polizei kontrolliert als die Gesamtbevölkerung, sondern sogar etwas seltener. Wenn es zu einer Kontrolle kommt, fühlen sie sich aber dennoch recht häufig diskriminiert. Ein Missverständnis – oder doch ein Strukturproblem?

Innerhalb der Gesamtbevölkerung Luxemburgs haben einem Report der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (Fundamental Rights Agency, FRA) zufolge 17 Prozent der Befragten angegeben, im vergangenen Jahr von der Polizei kontrolliert worden zu sein – unter welchen Umständen auch immer. „Einwanderer und Nachkommen von Einwanderern aus Afrika südlich der Sahara“ (SSAFR) haben der FRA zufolge weniger Polizeikontakte angegeben: Hier liegt der Wert bei 15 Prozent.

DOWNLOAD Hier gibt es den kompletten Report zum Racial Profiling in der EU als PDF. 

Luxemburg befindet sich damit mit seinen Nachbarn in guter Gesellschaft: Auch in Deutschland geben 17 Prozent aller Befragten an, kontrolliert worden zu sein, aber nur 16 Prozent der SSAFR. In Frankreich berichten ebenfalls 17 Prozent aller Menschen von einer Kontrolle, aber nur 15 Prozent der SSAFR. Menschen, die sich selbst eher als  „nordafrikanisch“ erscheinend bezeichnen, berichten aber von leicht überdurchschnittlich häufigen Kontrollen in Frankreich: Sie kommen auf 19 Prozent. In Belgien wurden 18 Prozent aller Menschen kontrolliert, aber nur 17 Prozent der Menschen mit „nordafrikanischer“ Erscheinung. Menschen, die sich zu den Roma zählen, kommen zwar auf 20 Prozent – und liegen damit nur knapp über dem Durchschnitt.

Wirkliche Auffälligkeiten sind aber auch keine Seltenheit: Für Österreich geben beispielsweise 25 Prozent aller Menschen mindestens eine erfolgte Kontrolle an, aber 49 Prozent aller SSAFR. Auch Spanien zeigt auf den ersten Blick Auffälliges: Hier geben nur 4 Prozent aller Menschen an, kontrolliert worden zu sein, aber 14 Prozent aller „Nordafrikaner“ – und sogar 32 Prozent aller Menschen, die sich zu den Roma zählen.

Inspektion liegen aktuell keine Beschwerden vor

Ist das Phänomen des „Racial Profiling“ also in Luxemburg nicht-existent? Tatsächlich kann auch die Generalinspektion der Polizei (IGP), die als innere Kontrollinstanz der Polizei fungiert, keine Zahlen zum Thema nennen – weil schlichtweg keine derartigen Beschwerden vorlägen. Trotzdem habe man das Thema auf der Agenda, versichert der beigeordnete Generalinspektor: „Wir versuchen, in diesem Bereich wichtige Botschaften in der Bildung zu geben“, sagt Vincent Fally gegenüber dem Tageblatt. „Schließlich sind wir auch zuständig für die Ausbildung der Polizisten im Bereich Deontologie, Menschenrechte und Verfassung!“

Die allgemeine Bevölkerung in Luxemburg erlebt Kontrollen eher im Straßenverkehr
Die allgemeine Bevölkerung in Luxemburg erlebt Kontrollen eher im Straßenverkehr Foto: Editpress/Tania Feller

Dass es mit der Gleichheit möglicherweise nicht ganz so einfach ist, lassen aber weitere Angaben im FRA-Report annehmen.

So geben 77 Prozent der kontrollierten Personen aus der Gesamtbevölkerung an, in einem Fahrzeug kontrolliert worden zu sein, aber nur 9 Prozent, dass sie zu dem Zeitpunkt zu Fuß unterwegs waren. Möglicherweise handelte es sich in vielen Fällen also eher um allgemeine Verkehrskontrollen.

Bei den SSAFR fanden aber nur 28 Prozent der Kontrollfälle in einem Fahrzeug statt – und volle 65 Prozent zu Fuß. Diese Kontrollen, die sicherlich in der Tendenz eher individuellen Charakter hatten, kamen bei den Menschen mit augenscheinlich afrikanischen Wurzeln siebenmal so oft vor wie in der Gesamtmenge der Kontrollierten.

„Kollektive Grunderfahrung der Ungleichheit“

Ungleichbehandlung sei keine Einbildung, ist Antónia Ganeto überzeugt
Ungleichbehandlung sei keine Einbildung, ist Antónia Ganeto überzeugt Foto: Editpress

Antónia Ganeto ist Präsidentin des Vereins Finkapé, einem Netzwerk von Menschen mit afrikanischer Herkunft. Sie ist überzeugt, dass Racial Profiling auch in Luxemburg alles andere als ein Phantom sei, sondern regelmäßige Realität. 

Sie kenne viele entsprechende Erfahrungsberichte, außerdem erlebe die 51-Jährige, die als Kind von den Kapverden nach Luxemburg gekommen ist, selbst Entsprechendes immer wieder – dass man Kontrollen ausgesetzt sei, für die es augenscheinlich keinen anderen Grund als das Äußere gebe. „Vor allem, wenn ich mit afrikanischen Männern unterwegs bin“, müsse die Gruppe etwa plötzlich die Identität nachweisen. Ganeto ist mit vielen Menschen unterwegs: Sie leitet auch das interkulturelle Bildungszentrum IKL. Grundsätzlich anders behandelt zu werden als „kollektive Grunderfahrung“ führe zu einem tiefen Unbehagen und Entfremdung vom Staatswesen: „Das hat natürlich Auswirkungen, gerade auf junge, schwarze Männer.“ Im schlimmsten Fall werde die Polizei nicht mehr als Garant für Gerechtigkeit wahrgenommen – was aber neben der Wahrung von Sicherheit und Ordnung ihre ureigene Aufgabe ist.

Auch das Argument, dass in bestimmten Bereichen die Täterprofile ja nur aufgrund polizeilicher Erfahrung entsprechend ethnisch gewichtet seien, findet sie nicht zulässig: So ein Profil sei immer noch „hypothetisch“ und könne durch Stereotype falsch gefestigt werden. „Sagen wir es ganz einfach: Also, der Drogendealer ist schwarz, aber wenn ich von vorneherein den Fokus auf einen Aspekt lege, dann sieht man, bewusst oder unbewusst, anderes vielleicht nicht.“ Die Festnahme-Statistiken bestätigten nachher das Profil, beschreibt Ganeto einen Teufelskreis.

Racial Profiling – ein extremes Beispiel

Wohin ein allzu selektiver Polizeiblick führen kann, zeigte sich bei der deutschen Terrorgruppe NSU, die über einen Zeitraum von sechs Jahren neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund ermordete. Selbst der tödliche Anschlag auf eine deutsche Polizistin änderte nichts daran, dass die Behörden die Täter stets etwa in der organisierten Kriminalität verorteten – in die sie auch die Opfer größtenteils verwickelt sahen. Der Neonazi-Hintergrund trat erst zutage, als sich die zwei männlichen NSU-Mitglieder umbrachten und Beate Zschäpe ein Wohnmobil und ihre Wohnung in Brand steckte. Im NSU-Prozess schilderten die Hinterbliebenen Wut und Schmerz über die Verdächtigungen, denen sie und die Ermordeten ausgesetzt waren, während die Terroristen praktisch ungestört blieben. 

Ist das Unbehagen, das dunkelhäutige Menschen fühlen, letztlich dasselbe, das Menschen allgemein haben, wenn sie in eine Polizeikontrolle geraten? Oder gibt es dafür einen besonderen Anlass? Die FRA-Untersuchung vergleicht mehrere Studien, die jeweils die Eigeneinschätzung der Antwortenden zugrunde legen. Dabei ergibt sich für Luxemburg: 70 Prozent derjenigen aus der allgemeinen Bevölkerung, die kontrolliert wurden, empfanden die Beamten als „respektvoll“, 19 als neutral und 11 Prozent als respektlos. Unter den Kontrollierten mit afrikanischen Wurzeln empfanden nur 62 Prozent den Umgang als respektvoll, während 21 Prozent ihn respektlos fanden – hier ist der Anteil also fast doppelt so hoch.

Besonders heftig empfand 2018 der Familienvater Karim Kone die Behandlung, als er in Esch in eine Drogenrazzia geriet.

Unter allen Menschen mit augenscheinlich afrikanischen Wurzeln, die tatsächlich in jüngerer Zeit kontrolliert wurden, geben dem FRA-Bericht zufolge 12 Prozent an, dass sie dahinter Racial Profiling vermuteten, während 16 Prozent keinen entsprechenden Verdacht hatten. Damit lag der Anteil unter den Kontrollierten bei 40 Prozent. Ein recht typischer Wert im Vergleich zu allen EU-27-Mitgliedern. In Deutschland geben 42 Prozent derer, die ein „nordafrikanisches Erscheinungsbild“ haben, Entsprechendes über den Umgang mit der Polizei an (aber nur 16 Prozent der türkischstämmigen Menschen). Besonders hohe Werte gibt es in vielen Ländern aufgrund der Angaben von Mitgliedern der Sinti und Roma und von anderen Angehörigen mutmaßlich osteuropäischer Ethnien: In Griechenland und den Niederlanden empfinden sich die Betroffenen in rund 90 Prozent der Fälle diskriminiert. 

Polizei: „Diskriminierung wird vorgebeugt“

„Prinzipiell wird jeder gleich behandelt“, versichert eine Sprecherin der Polizei zum Thema. Der Umgang mit dem Gegenüber, sei es generell oder aber auch eben bei Kontrollen, finde „aufgrund objektiver, nicht subjektiver Kriterien statt“ – und eine Person werde nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft anders behandelt. Dies sei nicht nur gesetzlich, sondern auch im Deontologiekodex der Polizei verankert und werde bereits in der Grundausbildung der Polizeianwärter in mehreren Fächern und transversal thematisiert – „ebenso wie der strafrechtliche Aspekt von Straftaten wie Diskriminierung und Rassismus“.

Dass es ein Bewusstsein für das Problem gebe, bestätigt auch Antónia Ganeto – schließlich sensibilisiert sie höchstselbst über das interkulturelle Bildungszentrum regelmäßig Polizeischüler und Beamte. Zwar umfassten die „etwas durchgepreschten“ Kurse nur einige Stunden der Ausbildung und fänden auch noch vor großen Gruppen von 90 Schülern statt, aber: „Ich begrüße die Bemühungen der Polizei und bin über ihre Bereitschaft positiv überrascht“, sagt Ganeto. Stereotypen im Kopf zu haben sei ja nichts Unnormales – darum sei es umso wichtiger, diese aufzubrechen.

Sie erkennt zudem an, dass die Polizei in Luxemburg diverser geworden sei. „Das hat schon Auswirkungen, weil die Polizei nicht mehr fast nur aus weißen Männern besteht und so die Bevölkerung besser repräsentiert.“ Sorge bereite ihr aber, dass im Zuge der verfolgten Einstellungsoffensive die Ausbildung stark komprimiert werde. Sie befürchtet, dass auch für die Vermittlung von interkulturellen Kompetenzen weniger Zeit bleibe.

Generell schätzen laut FRA-Bericht übrigens 74 Prozent aller Befragten die Polizei in Luxemburg als respektvoll im Umgang ein, während 8 Prozent das genaue Gegenteil sagen. Mit dem ersten Wert erreicht Luxemburg immerhin Platz sieben im Ranking – und liegt damit deutlich über dem EU-27-Durchschnitt.

Emile
20. Juni 2021 - 21.28

An der Nuecht ass et manner hell wéi am Daag.

Blücher
20. Juni 2021 - 9.03

Auch weiße Männer und Frauen fühlen ein Unbehagen bei Polizeikontrollen. Diese nicht außergewöhnliche Tatsache wohl auf die autoritäre Ausstrahlung der Gesetzeshüter und das unbewusste Gefühl in Verbund mit Strafe, etwas falsch gemacht haben steht. Warum sich über diese Feststellung aufregen, seien wir erfreut darüber sie uns beweist alle Menschen gleich sind.

Realist
19. Juni 2021 - 22.28

Da wird eine bestimmte Gruppe weniger kontrolliert als andere, es liegen zudem keinerlei Beschwerden vor, und dennoch. Der zeitgeistige Vorwurfvom "strukturelken Rassismus" muss irgendwie im Raum hängen. Und wenn die Fakten nicht passen, werden sie halt ignoriert. So einfach geht das.