In Genua wird offiziell getrauert – aber viele Angehörige bleiben fern

In Genua wird offiziell getrauert – aber viele Angehörige bleiben fern

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Rettungskräfte in Genua haben fast alle Opfer geborgen. Nur noch ein Mensch werde vermisst, heißt es zunächst inoffiziell. Doch am Tag der Trauerfeier für 18 der Opfer ist noch vieles ungeklärt.

Die Rettungskräfte in Genua suchen nach dem Brückeneinsturz noch nach einem Vermissten. Die Zahl der Toten stieg am Samstag auf 41, wie ein Helfer der Deutschen Presse-Agentur sagte. Die drei weiteren Leichen wurden aber noch nicht offiziell identifiziert. Die Feuerwehr hatte auf Twitter zunächst nur die Bergung eines weiteren Autos bestätigt. Für 18 der Opfer fand am Samstagvormittag eine Trauerfeier statt.

Bei den drei weiteren Leichen, die laut einem Bericht der italienischen Nachrichtenagentur Ansa von Feuerwehrleuten aus den Trümmern geborgen wurden, handelt es sich um ein neunjähriges Mädchen und seine Eltern. Die drei seien am Dienstag mit dem Auto auf der Morandi-Brücke unterwegs gewesen, als die Straße unter ihnen nachgab.

Feuerwehrleute mit Applaus begrüßt

Während eines Unwetters war ein etwa 180 Meter langer Abschnitt des wichtigen Polcevera-Viadukts in der norditalienischen Hafenstadt in die Tiefe gestürzt und mit ihr zahlreiche Fahrzeuge. Experten vermuten, dass der Einsturz durch den Riss eines Tragseils verursacht worden sein könnte.

Die Behörden meldeten am Donnerstag zunächst, dass noch 10 bis 20 Menschen vermisst würden. Am Freitag fiel die Zahl auf fünf, nachdem sich weitere Vermisste bei der Not-Hotline oder bei Verwandten gemeldet hatten. Auch ein vermisster deutscher Tourist meldete sich nach italienischen Medienberichten, um zu sagen, dass es ihm gut gehe.

Der Samstag wurde zum nationalen Trauertag erklärt. Um 11.30 Uhr sollte eine Trauerfeier für einige der Opfer beginnen. Zuvor hatte Präsident Sergio Mattarella den Unglücksort in Genua besucht, um den Rettern zu danken. Die Feuerwehrleute wurden bei ihrer Ankunft bei der Feier mit Applaus begrüßt.

Viele Angehörige bleiben der Feier fern

Die Zeremonie fand für 18 der Todesopfer statt. Die Angehörigen der übrigen Toten blieben der Feier fern. Einige nannten gegenüber Medien Verärgerung über die Regierung als Grund, andere wollten demnach ihre Privatsphäre wahren.

„Der Staat hat das verursacht, die sollen bloß wegbleiben: Das Defilee der Politiker war beschämend“, sagte Nunzia, Mutter einer von vier Jugendlichen aus Torre del Greco bei Neapel, die bei dem Brückeneinsturz ums Leben kamen.

„Mein Sohn wird keine Nummer auf der Liste der Toten, die durch die italienischen Versäumnisse provoziert werden“, erklärte Roberto, Vater eines anderen Jungen. „Wir wollen keine Trauer-Farce, sondern eine Zeremonie zu Hause, in unserer Kirche in Torre del Greco.“

Heftige Kontroverse

Unterdessen beherrscht die heftige Kontroverse zwischen Regierung und Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia die Berichterstattung (siehe EXTRA). Die Regierung in Rom macht das Privatunternehmen für das Unglück verantwortlich und wirft ihm mangelhafte Wartungsarbeiten vor. Die Firma betreibt die A10, zu der die eingestürzte Brücke gehört. „Wir können nicht auf die Strafjustiz warten“, sagte Regierungschef Giuseppe Conte. „Autostrade hatte die Aufgabe und die Pflicht, die Wartung dieser Brücke und die Sicherheit aller, die darauf reisen, zu gewährleisten.“

Die Regierung droht dem Unternehmen mit dem Entzug der Lizenz sowie hohen Strafzahlungen. Autostrade per l’Italia weist die Vorwürfe zurück. Die Brücke sei vorschriftsmäßig vierteljährlich überprüft worden. Außerdem seien zusätzliche Tests mittels hochspezialisierter Geräte erfolgt. Die Holding Edizione der Unternehmerfamilie Benetton sprach den Angehörigen der Opfer am Donnerstag ihr Mitgefühl aus und versicherte, sie werde alles tun, um die Verantwortlichen des Unglücks zu benennen.

Edizione kontrolliert 30 Prozent von Atlantia, dem Mutterkonzern von Autostrade per l’Italia. Das Unternehmen erklärte, seit 2012 jährlich mehr als eine Milliarde Euro in „Sicherheit, Instandhaltung und Verbesserung“ seines Autobahnnetzes investiert zu haben.

Management will sich heute erklären

Das Management von Autostrade per l’Italia kündigte für Samstag eine Pressekonferenz an. Dabei soll es unter anderem um Hilfe für die Angehörigen der Opfer gehen sowie um Unterstützung für die Menschen, die durch das Unglück obdachlos wurden. Rund 600 Menschen mussten nach dem Einsturz der Brücke ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Die Gebäude, die teils unterhalb der Brücke stehen, müssen nach Behördenangaben abgerissen werden.

Mit Material von DPA und AFP


EXTRA:
Populisten-Regierung gegen „Eliten“: Angriff auf Industriellenfamilie des Benetton-Clans

Nach dem verheerenden Brückeneinsturz von Genua haben Italiens Regierungsparteien bereits einen Schuldigen ausgemacht: die Betreiberfirma Autostrade per l’Italia – und damit auch deren wichtigsten Anteilseigner, den Benetton-Clan.

Die Familie, die mit ihrer Modefirma zu Reichtum gelangte und selbst immer wieder mit drastischen Werbekampagnen provozierte, ist für die populistische Fünf-Sterne-Bewegung und die fremdenfeindliche Lega zur Zielscheibe geworden.

Bereits kurz nach dem Unglück mit Dutzenden Todesopfern schoss sich die Regierungskoalition auf die Betreiberfirma ein. Die Fünf-Sterne-Bewegung warf zudem vor allem der Demokratischen Partei vor, in der Vergangenheit von der Finanzkraft des Clans profitiert zu haben. Statt die Mauteinnahmen in die Wartung zu investieren, seien diese als Gewinne verteilt worden „und die Brücken brechen zusammen“, lautet der Vorwurf von Vize-Regierungschef Luigi di Maio. Nun gebe es „zum ersten Mal eine Regierung, die kein Geld von Benetton genommen hat“.

30,25 Prozent hält die Benetton-Familie am Autostrade-Mutterkonzern Atlantia, der im vergangenen Jahr einen Nettogewinn von mehr als einer Milliarde Euro und einen Umsatz von knapp sechs Milliarden Euro verbuchte. Geschaffen wurde die Firma Benetton in den 60er-Jahren aus dem Nichts von den Geschwistern Luciano, Gilberto, Giuliana und dem im Juli gestorbenen jüngsten Benetton-Bruder Carlo. Vor allem ab den 80er-Jahren ging es mit dem Textil-Imperium „United Colors of Benetton“ dann steil bergauf – nicht zuletzt wegen der oft provokanten Werbefotos des Starfotografen Oliviero Toscani.

So zeigte Benetton in Werbeanzeigen etwa einen Kuss des damaligen Papstes Benedikt XVI. mit einem ägyptischen Imam, einen sterbenden Aids-Patienten oder eine Frau mit schwarzer Hautfarbe, die an ihrer Brust ein weißes Kind stillt. Gesellschaftliche Themen mit geschäftlichen Interessen zu verknüpfen, stieß dabei auch immer wieder auf Kritik – wie erst im Juni, als Benetton mit einem Foto von Flüchtlingen mit Rettungswesten in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer und dem „United Colors of Benetton“-Logo warb.

Wirtschaftlich ging es der Textilmarke zuletzt schlecht wie nie: 2017 verbuchte das Unternehmen einen Rekordverlust von 180 Millionen Euro. Bergab ging es mit der Marke bereits seit der Jahrtausendwende – auch wegen des Aufstiegs von Konkurrenten wie H&M und Zara.

Von da an weitete der Clan sein Portfolio aber zugleich massiv aus und profitierte dabei auch von der Privatisierung in Italien. Ein großer Teil des Gesamtumsatzes der Familienholding Edizione von 12,1 Milliarden Euro im vergangenen Jahr stammt aus den Bereichen Infrastruktur und Verkehr – insgesamt 5,2 Milliarden Euro.

Über die Atlantia-Gruppe ist die Familie unter anderem an den beiden größten Flughäfen in Rom, im französischen Nice und an Getlink, der früheren Eurotunnel-Gruppe, die den Tunnel unter dem Ärmelkanal betreibt, beteiligt. Außerdem hält Benetton 29,9 Prozent am spanischen Unternehmen Cellnex, einem Spezialisten für Telekommunikationsinfrastruktur. 1995 kaufte Edizione zudem 50,1 Prozent des Restaurantbetreibers Autogrill.

Außerdem besitzt die Holding eine Reihe von Grundstücken und Immobilien, die in Rom ansässige Molkereifirma Maccarese und ist auch in Argentinien im Agrargeschäft aktiv. Am Versicherer Generali hält Benetton 3,1 Prozent; an der Mediobanca 2,2 Prozent.

Im Internet, wo nach dem Unglück in Genua zahlreiche Bildmontagen mit Aufnahmen der Brücke und dem Benetton-Logo gepostet wurden, stießen die Vorwürfe der Regierung auch auf Zustimmung. So schrieb etwa ein Nutzer, Benetton betreibe „Einwanderungspropaganda“. „Das sind dieselben, die unsere Brücken einstürzen und unsere Leute sterben lassen.“

Eingeschaltet in die Debatte hat sich inzwischen auch Fotograf Toscani. Es sei „ungerecht, Benetton die Schuld zu geben, als ob sie mit den Leben von anderen spekulieren wollten“, sagte er der Zeitung Corriere della Sera. Es handele sich um „sehr ernsthafte“ Menschen. (AFP)