Steinsel„In der Ausübung meines Mandats kenne ich keine Politik“: Bürgermeister Marchetti will Kontinuität

Steinsel / „In der Ausübung meines Mandats kenne ich keine Politik“: Bürgermeister Marchetti will Kontinuität
Im Zentrum von Steinsel stehen viele Projekte an: Das Rathaus wird ausgebaut, eine Tiefgarage eingerichtet und ein Shared-Space-Konzept umgesetzt Foto: Editpress/Tania Feller

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Fast sechs Jahrzehnte lang hat er die Geschicke seiner Kommune geleitet – zunächst als Gemeindesekretär, nach 1988 dann als Bürgermeister. Niemand ist so eng mit der Entwicklung von Steinsel verbunden wie Jempy Klein. Sein offizieller Rücktritt am 16. Dezember 2021 kam nicht nur für Außenstehende überraschend. Niemand hatte damit gerechnet, dass der frühere LSAP-Abgeordnete sein Amt noch vor den nächsten Wahlen 2023 zur Verfügung stellen würde. Auch nicht sein sozialistischer Weggefährte Fernand Marchetti, der am 1. März offiziell als Bürgermeister vereidigt wurde.

„Eigentlich sollte er unser Team noch in die nächsten Gemeindewahlen führen. Sicher war nur, dass er nicht mehr kandidieren wollte. Von einem frühzeitigen Rückzug aber ging nie die Rede“, erinnert sich Fernand Marchetti. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, seinen Mentor herauszufordern. „Nie im Leben hätte ich ihn bei einer Wahl geschlagen: Jempy Klein ist schließlich Mr. Steinsel“, lacht Marchetti auf.

Dass er dennoch am 1. März vor Innenministerin Taina Bofferding seinen Eid als neuer Bürgermeister ablegen durfte, sei „par la force des choses“ gewesen. Warum genau sein Vorgänger plötzlich seinen Rücktritt eingereicht habe, wisse er nicht, betont der neue Steinseler Gemeindevater im Gespräch mit dem Tageblatt. Das sei auch Nebensache: Klein hatte seine persönlichen Gründe, die Gemeindegeschäfte am 8. November letzten Jahres kommissarisch zunächst dem Ersten Schöffen Jean Rossy (CSV) zu überlassen.

Nach dem offiziellen Rücktritt am 16. Dezember wurde Marchetti per Befugnisübertragung mit den Amtsgeschäften betraut, bevor der Zweite Schöffe am 26. Januar einstimmig vom Gemeinderat als Nachfolger des scheidenden Bürgermeisters nominiert und am 1. März auch vereidigt wurde. „In Anwesenheit von Jempy Klein“, wie Marchetti prompt bemerkt. Es sei dem langjährigen „Député-maire“ wichtig gewesen, bei der Amtseinführung seines Nachfolgers im Innenministerium dabei zu sein.

Für das Wohl der Bürger will sich der neue Steinseler Bürgermeister Fernand Marchetti über politische Grenzen hinwegsetzen
Für das Wohl der Bürger will sich der neue Steinseler Bürgermeister Fernand Marchetti über politische Grenzen hinwegsetzen Foto: Editpress/Tania Feller

Mehr als nur eine Parteikarte

Was viele Beobachter als symbolische Präsenz bewerten, dürfte vor allem auf persönlicher Ebene eine wichtige Rolle gespielt haben: Klein und Marchetti verbindet weitaus mehr als eine Parteikarte. „Ich hatte das Glück, 43 Jahre lang mit ihm arbeiten zu dürfen. Ich habe viel von ihm gelernt“, erklärt der neue Gemeindevater, der am 1. Mai 1979 unter dem damaligen Gemeindesekretär Klein als „Receveur“ angeheuert wurde. Letzterer hatte am 1. April 1965 seinen Posten angetreten, bevor er am 1. Januar 1988 schließlich als Bürgermeister von Steinsel vereidigt wurde. Marchetti hatte seinerseits den Posten des Gemeindesekretärs übernommen.

Aus der beruflichen Zusammenarbeit wurde nach Marchettis Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2011 eine politische Kooperation. Zuvor hatten mehrere Schicksalsschläge beide Männer eng zusammengeschweißt. So war zunächst in einer Steinseler Kindertagesstätte am 2. Oktober 2006 ein als Raumteiler genutzter Schrank auf einen sechsjährigen Jungen gefallen. Das Kind war dabei ums Leben gekommen. Nur wenige Monate später – im Juni 2007 – wurden bei einem Busunfall nahe Reims (F) zwei Schülerinnen und ein Lehrer aus Steinsel getötet. 14 weitere Personen wurden bei der Klassenfahrt teils schwer verletzt.

Besonders tragisch: Bei dem verstorbenen Lehrer handelt es sich um Marchettis Sohn. Der Bürgermeister spricht heute von „unerträglichen Zuständen“, mit denen er umzugehen gelernt habe. Allerdings habe auch Jempy Klein unter den tragischen Ereignissen gelitten. In diesem Zusammenhang sollte man auch die tragischen Unfälle am Bahnübergang in Heisdorf nicht vergessen, bei denen immer wieder Personen von Zügen erfasst werden. Der letzte tödliche Zwischenfall geht auf den 22. Oktober 2021 zurück. Das Opfer war nur 14 Jahre alt. Daran sei Klein wohl letzten Endes zerbrochen, wie Marchetti heute vermutet.

„Das hat er nicht verdient. Ich hatte persönlich damit zu kämpfen, dass dieser Mann, der Steinsel über 55 Jahre lang geprägt hat, auf eine solche Art und Weise aufhören muss“, bedauert Marchetti. Das sei ihm besonders in den ersten Wochen an die Nieren gegangen. Was hilft, sei der Umstand, dass auch künftige Projekte immer noch Kleins Handschrift tragen. Marchetti fühlt sich verpflichtet, die Amtsgeschäfte in dessen Sinne weiterzuführen. Kontinuität sei das Leitmotiv, der aktuelle Haushalt das entsprechende Instrument. Klein habe in den letzten Monaten noch vieles in die Wege leiten können, was der aktuelle Schöffen- und Gemeinderat nun auszuführen gedenkt.

Das diesbezügliche Budget wurde von Marchetti erstellt und von sämtlichen Gemeinderäten im Dezember einstimmig angenommen. Allein die großen Projekte belaufen sich auf 84 Millionen Euro – eine Summe, die aufgrund der Preisexplosion der letzten Monate letzten Endes nicht ausreichen wird, wie Marchetti vermutet. Die von Klein in die Wege geleiteten Projekte ausführen und die zur Verfügung stehenden Finanzen so zu staffeln, dass die Projekte auch im Sinne der Bürger verwirklicht werden können, sei eine der wichtigsten Herausforderungen seiner Amtszeit.

Hoch oben auf der Prioritätenliste steht der Bau der neuen Schule, die bereits in zwei Jahren öffnen soll. Der Kostenvoranschlag wurde jüngst vom Gemeinderat angenommen. Die ersten Bagger sollen noch dieses Jahr rollen. Wichtig für die Kommune sei auch das Shared-Space-Projekt mit dem Bau einer Tiefgarage mit 80 Stellplätzen und der Verwirklichung einer grünen Lunge im Zentrum von Steinsel. Gleichzeitig soll auch das Rathaus vergrößert werden. Das Projekt wurde im Gemeinderat angenommen, die ersten Arbeiten sind für September dieses Jahres geplant. 

Schritt für Schritt

Weitere Projekte, mit denen sich die gewählten Gemeindevertreter in den kommenden Monaten noch befassen müssen, betreffen das neue Recyclingzentrum, einen neuen Busbahnhof in der Steinseler Industriezone und die Einrichtung eines Zentralfriedhofes in Heisdorf. „Es bestehen Pläne, doch lässt es die aktuelle Finanzlage nicht zu, alles gleichzeitig anzugehen“, gibt Marchetti zu bedenken. Dies müsse man nun Schritt für Schritt verwirklichen.

Dabei kann der neue Gemeindevater auf die hervorragende Zusammenarbeit im Gemeinderat zählen. „Fast sämtliche Projekte werden einstimmig angenommen“, erklärt Marchetti. Als Koalitionspartner bringe sich die CSV stets mit guten Vorschlägen ein. „Und die Zusammenarbeit mit den Kollegen der DP fällt auch leicht“, fasst der Bürgermeister zusammen. „Die Atmosphäre ist gut. Hoffentlich bleibt es dabei“, lacht Marchetti.

Zusammen wolle man nämlich ein Projekt angehen, das so nicht im Haushalt festgehalten wurde: die Wiederbelebung des kulturellen Lebens in der Gemeinde. Dieses habe während der Pandemie stark gelitten, so Marchetti.

Mit einem Willkommenstrunk für 55 Flüchtlinge aus der Ukraine, die bei 16 Steinseler Gastfamilien untergekommen sind, habe man vor kurzem bereits eine äußerst sympathische Feier abhalten können. Als Nächstes stehen nun die Pfingstkirmes und die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag auf dem Programm. „Ziel ist es, so weiterzumachen, als hätte es die Pandemie nicht gegeben“, sagt Marchetti. Dabei hofft der ehemalige Präsident der Amicale Steinsel natürlich auch auf weitere Erfolge seines Teams im Finale der Basketballmeisterschaft. 

Er habe das Bürgermeisteramt nicht angenommen, um das eigene Ego zu befriedigen, sondern um den Bürgern zu helfen. „In der Ausübung meines Mandates kenne ich keine Politik. Wenn jemand ein Problem hat, soll er mich ansprechen. Dann versuchen wir, das Problem gemeinsam zu lösen“, so Marchetti, der sich dazu entschlossen hat, 2023 bei den Kommunalwahlen anzutreten. Um das junge LSAP-Team anzuführen und die eingeleiteten Projekte zu Ende zu bringen. Wie etwa eine Unterführung am gefährlichen Bahnübergang in Heisdorf. „Das bin ich Jempy schuldig“, so Fernand Marchetti.