9. Dezember 2025 - 6.59 Uhr
Akt.: 9. Dezember 2025 - 7.13 Uhr
Zwölfter Tag im Bommeleeër-Prozess„In der Affäre Bommeleeër ist nichts undenkbar“
Ihre Falschaussagen hätten verhindert, die Bommeleeër herauszufinden. Maître Philippe Penning nennt es eine „perte des chances“. In dem Prozess, bei dem sechs Angeklagte* wegen Falschaussagen vor Gericht stehen und in dem bereits mehrmals Goethes „Faust“ zitiert wurde, sorgte der Vertreter des Staates als Nebenkläger am zwölften Verhandlungstag sozusagen für den „Prolog im Himmel“ – für den Auftakt des Geschehens. Penning wies auf den „Schaden an der Reputation und an der Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen“ hin, zu dem die mutmaßlichen Falschaussagen der angeklagten Ex-Gendarmen respektive Ex-Polizisten beigetragen haben.
„Wir können uns nur die Augen über die Verteidigung reiben“, sagt kurz darauf Thierry Hirsch, der Vertreter des Nebenklägers und Angeklagten des eigentlichen Bommeleeër-Prozesses, Marc Scheer. „Man könnte fast zu dem Schluss kommen, dass es sich um nichts anderes als um ein paar klitzekleine Fehler gehandelt hätte“, was den Beschuldigten vorgeworfen wird und was laut Anklage dazu geführt hat, dass aus der Bommeleeër-Affäre bis heute eine unendlich scheinende Affäre geworden ist.
Der größte Wurm ein Maulwurf
Dabei habe es sich um eine „Staatsaffäre“ gehandelt, fügt Me Hirsch hinzu und zitiert dabei den früheren Richter Prosper Klein. Bei den gut 20 Sprengstoffanschlägen sei mit viel Glück niemand ums Leben gekommen. In diesem Zusammenhang seien von der Verteidigung Falschaussagen und Ermittlungspannen „kleingeredet“ worden. Me Hirsch nennt es schlicht „une tentative de sablage oculaire“.
In dem Dossier sei der Wurm drin, stellt der Anwalt fest. Der größte Wurm sei aber, dass es einen Maulwurf gegeben habe und keiner der Angeklagten die Anstrengung unternommen habe, diesen Maulwurf zu finden. In der Tat waren die Bommeleeër den Sicherheitskräften und Ermittlern bei den Anschlägen von 1984 bis 1986 stets einen Schritt voraus, mussten also über Insiderwissen verfügen. Doch keiner der Beschuldigten habe sich echauffiert oder auch nur einen Ansatz von Wut über die mögliche Insiderspur gezeigt.
Diese Spur führte zu jener Zeit bekanntlich zu dem früheren Chef der Brigade mobile der Gendarmerie (BMG), der die Eliteeinheit einst aufgebaut hatte, Ben Geiben. Um die Observation des zu jener Zeit Hauptverdächtigen und deren jähem Stopp haben sich auch die vergangenen Handlungstage in Zusammenhang mit den vermeintlichen Falschaussagen viel gedreht. Doch der Mitte der 80er Jahre in den Privatsektor übergewechselte Geiben wurde weder angeklagt, noch hat er im aktuellen Prozess als Zeuge aussagen müssen.
Eine falsche Zeugenaussage ist nicht nur ein Abweichen von der Wahrheit, sondern auch eine Gefahr
„Eine falsche Zeugenaussage ist nicht nur ein Abweichen von der Wahrheit, sondern auch eine Gefahr“, betont Maximilien Lehnen, Anwalt des neben Scheer zweiten Nebenklägers, Jos Wilmes. Mit seiner Bemerkung „in der Affäre Bommeleeër ist nichts undenkbar“ weist Me Lehnen auf die mehrdimensionale Bedeutung der seit nunmehr 40 Jahren ungeklärten Anschlagserie hin.
Bezogen auf die Empörung der Verteidiger der Angeklagten Pierre Reuland, Guy Stebens, Armand Schockweiler, Aloyse Harpes, Guillaume Büchler und Marcel Weydert, die behauptet hatten, die Summe von je einer halben Million Euro Schadensersatz würde ihren Klienten den Boden unter den Füßen wegziehen, meint Me Lehnen, sein Mandant und der von Me Hirsch hätten einen „Tsunami judiciaire“ vor der Haustür gehabt.
Scheer und Wilmes seien nach der Aussetzung des Prozesses im Juli 2014 in die Ungewissheit entlassen worden und tausendmal mehr gebrandmarkt als die im aktuellen Prozess Angeklagten. „Sie sitzen noch immer in der juristischen Warteschleife“, so Me Hirsch. Wenn die Falschaussagen nicht gemacht worden wären, hätte man das Kapitel 2014 beenden können. Hirsch und Lehnen haben im Laufe des Prozesses mehrmals für Unmut bei der Verteidigung gesorgt.
Nach den Worten der beigeordneten Staatsanwältin Dominique Peters habe das Parquet versucht, den Prozess „auf kleiner Flamme zu kochen“. Dabei habe die „ordre public“ großen Schaden davongetragen, Menschen seien zu Schaden gekommen, Gebäude zerstört worden – kurz: „Die Attentatsserie war Terror.“ Doch die erforderlichen Ermittlungen fanden nicht statt. „Die einzigen richtigen Investigationen begannen erst 2002“, so Peters. Man sei „mit den Leuten Schlitten gefahren“, fährt sie fort. In Zusammenhang mit der Bommeleeër-Affäre sei eine „Riesensauerei“ geschehen. Es sei vieles versteckt, verharmlost und umgedreht worden. So etwas dürfe nicht mehr passieren. In Sachen Geiben sei nichts mehr unternommen worden, und niemand wisse, warum die Piste fallengelassen wurde. Ähnlich verhalte es sich mit der „piste militariste“.
Pierre Reulands Verteidiger Roland Assa sagt danach, der Prozess sei weit über die Anklage wegen falscher Zeugenaussage hinausgegangen. Sein Mandant sei Offizier, der gesagt habe: „Ich bin Offizier und stehe im Dienst des Staates. Wenn mich der Staat ruft, als Zeuge auszusagen, dann mache ich das.“ Seine Offiziersattitüde sei nicht gut angekommen, so Assa. „Doch eine Attitüde ist nicht strafbar.“
Auch sei die Affäre Bommeleeër „keine schöne Affäre“ gewesen, sagt der Anwalt und weist dabei auf die schweren Gewalttaten in den 80er Jahren im Ausland hin: die Mordserie der „tueurs du Brabant“ in Belgien, der Terror der RAF in Deutschland, jener in Italien wie das Bombenattentat von Rechtsextremen in Bologna, und die blutige Raubserie der Waldbilliger Bande hierzulande.
„Zeit für einen Schlussstrich“
Was im Bommeleeër-Prozess geschah, sei infam gewesen und „eines Rechtsstaates nicht würdig“, so Me Assa. Seine Konklusion: „Es ist Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen.“ An die stellvertretende Staatsanwältin gewandt, sagt er: „La plume est serve, mais la parole est libre.“ Demnach müssen sich Staatsanwälte zwar an die schriftlichen Anweisungen ihrer Vorgesetzten halten, können aber in der Verhandlung von diesen abweichen und etwa die Freisprechung eines Angeklagten beantragen.
Auf die Bemerkung von Dominique Peters anspielend, die gesagt hatte, die Staatsanwaltschaft sei nicht perfekt, sagt Me Anouck Ewerling, neben Me Georges Pierret Verteidigerin von Guy Stebens: „Aber die Staatsanwaltschaft muss so nah wie möglich an der Perfektion sein.“ Derweil nimmt auch Me André Harpes, Verteidiger seines Vaters Aloyse Harpes, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft aufs Korn: „Mein Gegner ist das Parquet und seine Leichtfertigkeit. Es hat keine Fakten vorliegen.“
Dabei seien es die Fakten, die zählen. Und Me Benoît Entringer sagte über seinen Mandanten Armand Schockweiler, für den die Staatsanwaltschaft drei Jahre Gefängnis gefordert hat: „Mein Klient hat in dem Dossier weder gelogen noch gestohlen noch irgendwie gegen das Gesetz verstoßen.“ Geschenkt haben sich die gegnerischen Parteien des Prozesses auch dieses Mal wieder nichts. Die Affäre Bommeleeër ist auch nach 40 Jahren ein heißes Eisen.
*) Wobei der sechste – der ehemalige Gendarmerie-Chef Aloyse Harpes – aufgrund seines hohen Alters von 97 Jahren nur am ersten Tag anwesend war

De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können