BrexitIm Streit um Nordirland verschärft London die Gangart

Brexit / Im Streit um Nordirland verschärft London die Gangart
Brexit-Minister David Frost ist ein Liebhaber harter und provokanter Worte Foto: PA Wire/dpa/Peter Byrne

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Im „Wurstkrieg“ zwischen Brüssel und dem Vereinigten Königreich sollte diese Woche eigentlich Entspannung bringen.

Von EU-Seite werden Vorschläge zur pragmatischeren Handhabung von Zoll- und Veterinärkontrollen für Nordirland erwartet, was unter anderem den Verkauf von Fleischwaren aus Großbritannien im Nordost-Teil der Insel erleichtern würde. Doch einen Tag, ehe EU-Vizekommissionschef Maros Sefcovic seine Ideen vorstellen wollte, eröffnete am Dienstag der Londoner Brexit-Minister Lord David Frost einen anderen Kriegsschauplatz: Anders als im Austrittsvertrag vorgesehen dürfe der britische Landesteil in keiner Weise der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg unterliegen.

Für die Nordiren ist es beinahe schon zur Gewohnheit geworden: Immer wieder klaffen in den Supermärkten Lücken, weigern sich Geschäfte, bisher bewährte Produkte ins Sortiment zu nehmen. Der Grund ist die holprige Umsetzung begrenzter Zoll- und Warenkontrollen zwischen der einstigen Bürgerkriegsprovinz auf der Grünen Insel und der britischen Hauptinsel, die durch den EU-Austritt des Königreichs notwendig wurden.

Die entsprechende Vereinbarung, das sogenannte Nordirland-Protokoll, ist Teil des britischen EU-Austrittsvertrages. Sie sollte der besonderen Geschichte und Geografie Nordirlands gerecht werden, nämlich einerseits die kaum noch vorhandene Landgrenze zur Republik im Süden offenhalten und andererseits die territoriale Integrität des Königreiches wahren. Weil die konservative Regierung von Premierminister Boris Johnson einen harten Bruch mit dem Binnenmarkt und der Zollunion herbeiführte, Brüssel aber auf die Integrität des Binnenmarktes pocht, wurden die Kontrollen fällig. Neben Fleischprodukten geht es dabei vor allem um andere frische Lebensmittel.

Dabei kommt es seit Jahresbeginn zu Hindernissen, über deren Ursachen die Beteiligten streiten. Geht Brüssel zu pedantisch vor, wie die Briten behaupten? Hat London das Problem nicht genug durchdacht, wie die EU-Experten suggerieren? Vorhersehbar war jedenfalls der Mangel an Tierärzten, die für die Kontrollen gebraucht werden. Um eine reibungslose Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, wurden deshalb mehrfach Übergangsfristen gefordert und gewährt.

Eisige Beziehungen

Sefcovics Kompromiss sieht vor, dass britische Spezialitäten wie die berühmten Cumberland Sausages oder Stilton-Käse ausdrücklich als Produkte des Königreichs gekennzeichnet werden. Das würde den reibungslosen Transport über die irische See ermöglichen, den Vertrieb in der Republik Irland und damit im Binnenmarkt aber verhindern. Die Londoner Seite mäkelt, auch Sandwiches oder die überall erhältlichen Kartoffelchips gehörten von Kontrollen ausgenommen.

Vor allem aber hat sich Chefverhandler Frost auf ein neues Thema eingeschossen: Bei zukünftigen Streitfällen dürfe der EuGH nicht an der Schlichtung beteiligt sein, weil dadurch die britische Souveränität beeinträchtigt sei. Das wiederum gilt auf der EU-Seite als nicht verhandelbar, weil elementarer Teil des Austrittsvertrags, den britische Regierung und Parlament verabschiedet und ratifiziert hatten. Notfalls, erwidert der gelernte Diplomat Frost, müsse sein Land eben das Nordirland-Protokoll außer Kraft setzen, wie es in Artikel 16 vorgesehen ist. Dabei ist diese Regelung Handelsstreitigkeiten wie dem „Wurstkrieg“ vorbehalten. Jahrelanger Rechtsstreit wäre also die Folge, von der Aussicht auf eisige Beziehungen mit den wichtigsten Nachbarn abgesehen.

Dementsprechend gereizt reagierte die irische Regierung. Man müsse sich langsam fragen, teilte Außenminister Simon Coveney auf Twitter mit: „Will die britische Regierung eigentlich gemeinsamen Fortschritt oder eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses?“ Zur Antwort warf Frost dem Iren vor, den britischen Bedenken hätten bisher „zu wenige Leute zugehört“.

Will die britische Regierung eigentlich gemeinsamen Fortschritt oder eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses?

Simon Coveney, irischer Außenminister

DUP setzt London unter Druck

Frost macht sich stets einen Spaß daraus, die EU-Seite sowie Pro-Europäer im eigenen Land mit harter Rhetorik zu erschrecken. Bei seinem Auftritt am Tory-Parteitag in Manchester bezeichnet er zu Monatsbeginn die 46 Jahre dauernde Mitgliedschaft Großbritanniens in EWG/EU als „langen schlechten Traum“. Genüsslich wies er dort ebenso wie in Lissabon auf sein „command paper“ vom Juli hin. Dabei handelt es sich keineswegs um Londoner Kommandos an die Verhandlungspartner, sondern ein Vorschlagspapier der Regierung, die sich alter Tradition gemäß stets auf eine Order der Königin bezieht („by Her Majesty’s Command“).

Unter Druck gesetzt wird London durch die protestantischen Unionisten in Nordirland, welche die Wiedervereinigung der vor 100 Jahren geteilten Grünen Insel fürchten. Die Nordiren hatten den EU-Austritt 2016 mehrheitlich abgelehnt; die Brexit-Folgen werden jetzt dem größten Mitglied der Belfaster Allparteienregierung, der DUP, angerechnet, dementsprechend verheerend sind die Umfragewerte der Partei. Das hat eine Radikalisierung zur Folge. War im Sommer noch von einer „bedeutenden Reform“ des umstrittenen Protokolls die Rede, haben sich DUP und die kleineren Parteien nun unter dem Slogan zusammengefunden: „Das Protokoll muss weg!“