Im Sog der Zeitmaschine

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Steampunk hat seinen Weg bereits vor mehreren Jahren ins Großherzogtum gefunden, als im Fond-de-Gras die „Anno 1900 – Steampunk Convention“ ins Leben gerufen wurde. Jetzt erobert der viktorianische Stil das Müllerthal.

Raymond Becker, Präsident des Echternacher Tourist Office und Mitorganisator des Events, erklärte am Sonntag, worum es bei Steampunk geht: „Im viktorianischen Zeitalter hat sich in England vieles getan, insbesondere was die technische Evolution angeht. Die Menschen haben sich vorgestellt, wie die Zukunft mithilfe von Dampfkraft aussehen würde, und so sind die ganzen Geschichten von Jules Verne und rund um Zeitmaschinen entstanden. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.“ Und genau diese Macht der Vorstellungskraft wollte die Gemeinde zusammen mit dem Tourist Office und dem Trifolion im Rahmen des „Stadmarketing“ nach Echternach holen.

Der Marktplatz lebt

Anlass für die Idee war der Kauf des ehemaligen Hotels „Petite Marquise“ durch die Gemeinde im März dieses Jahres und das Vorhaben, der seit 20 Jahren leer stehenden Ruine ihren ehemaligen Schein zurückzuverleihen. „Die Idee hinter dem Projekt ist eine Art Baustellen-Management, welches jedoch einen kulturellen Charakter hat“, verriet Becker. Man plane, während der gesamten Dauer der Baustelle unterschiedliche Veranstaltungen rund um die „Petite Marquise“ zu organisieren und so der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen.

Nach dem Abriss des Gebäudes wolle man die historische Fassade wieder originalgetreu aufrichten, verriet Susanne Pauli vom Organisationskomitee der Convention. „Das Thema beschäftigt die Stadt und ganz Luxemburg schon lange und ist deshalb sehr emotional. Aus diesem Grund wollten wir diesen Anlass feiern, daher auch das Thema der Convention: ‚Transformation‘.“

„Transformieren“ wird sich auf dem Marktplatz sicherlich einiges, doch den Auftakt der Veränderungen konnten Besucher und Touristen schon am Wochenende beobachten. Neben 24 Marktständen mit allen möglichen verrückten Erfindungen und Accessoires luden Filmklassiker wie Fritz Langs „Metropolis“, Fotoshootings und der „Dark Steam Society“-Kostümball am Samstagabend auf eine Zeitreise ein.

„Es ist eine Lebenseinstellung“

Für viele der in- und ausländischen Besucher bedeutet Steampunk jedoch nicht nur einen spaßigen Wochenendtrip. „Es ist eine Lebenseinstellung und nicht nur ein Hype. Man wächst in die Szene hinein, sucht sich einen eigenen Charakter und findet so seinen Platz“, erklärte „Eisenbahn-Baron“ Willy von Simonsdorf. Zusammen mit seiner Frau Petra, die sich „Holla von Dampen“ nennt, besucht der Saarländer schon seit Jahren ähnliche Veranstaltungen. Vor allem der höfliche Umgang untereinander lockt das Ehepaar immer wieder an. „Wenn man erst einmal mit dem Virus infiziert ist, dann ist man drin, das ist wie eine Epidemie“, erzählte Petra lachend.

Der „Sog der Zeitmaschine“ hat auch Mitorganisatorin Susanne erwischt, die das rege Treiben selber im viktorianischen Outfit auf dem Marktplatz miterlebte. Zum Schutz vor der „Strahlung der Zeitreise“ tragen die meisten „Steampunks“ sogenannte „Goggles“, eine Art Retro-Brille, doch auch ansonsten nimmt der Stil aus jedmöglichen Epochen etwas mit.

Hobby: Basteln

Auch Gaston Klares hat das „Steampunk“-Fieber erwischt. Neben seinem eigentlichen Job bei der Post Telecom bastelt der Betzdorfer in seiner Freizeit die kuriosesten Objekte zusammen und stellt sie regelmäßig auf Conventions zur Schau.

„Wenn ich die Elektronik satthabe oder einfach ein besonderes Teil auf dem Schrottplatz finde, bekomme ich ‚Appetit‘ und fange an, zu sägen und zu werkeln“, verriet der Luxemburger. Seine Kreationen reichen von Brillen über Rucksäcke bis hin zu Gewehren, allesamt gefertigt aus Alltagsobjekten wie zum Beispiel Telefonkabeln oder DSL-Routern. Als „Finish“ werden die Kreationen aus Messing oder Koffer dann noch „angesprayt“ und schon kann Gaston Klares andere vom „Retro-Futurismus“ begeistern.

Ideale Kulisse

Der besondere Stil lockt allerdings nicht nur Kenner der Szene an. Auch komplett Außenstehende fasziniert die Welt des Steampunk.

Myriam besuchte am Sonntag zum ersten Mal mit ihrer Tochter eine solche Veranstaltung und fand vor allem den Mix aus „normal und anormal gekleideten“ Menschen faszinierend: „Ich denke, ein solches Event ist – insbesondere für eine alte Stadt wie Echternach – ideal. Mittelaltermärkte kennt jeder, aber das hier ist etwas ganz Besonderes.“ Dem konnten auch „Holla“ und ihr „Eisenbahn-Baron“ nur zustimmen: „Der Marktplatz hat ja eh schon etwas ganz Schnuckeliges an sich, das Ambiente lockt auch Leute von weither an, denn die Kulisse hier eignet sich wunderbar für Steampunk.“

Dass die Convention womöglich nicht zum letzten Mal stattgefunden hat, verriet dann auch Raymond Becker. Echternach habe eine gute Kollaboration mit der bereits existierenden „Steampunk Society“ des Fond-de-Gras etabliert. Freunde von Dampfmaschinen und Co. dürfen also sicherlich auf weitere Events dieser Art gespannt sein.

Laura Tomassini