LISER-StudieIm Job fühlt jeder zweite Luxemburger sich fehl am Platz

LISER-Studie / Im Job fühlt jeder zweite Luxemburger sich fehl am Platz
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass sich viele Menschen immer noch schwertun mit dem digitalen Wandel. Dabei sind gerade diese Kompetenzen gefragt – und das nicht nur im Home-Office. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

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Luxemburg hat ein Kompetenzproblem: Fast jeder zweite Arbeitnehmer ist fehl an seinem Platz. Das Phänomen scheint unter den OECD-Mitgliedstaaten weit verbreitet zu sein. Dabei hat vor allem die Corona-Krise gezeigt, wie wichtig es ist, über die richtigen Kompetenzen zu verfügen, damit strategische Wirtschaftszweige am Laufen gehalten werden und die Menschen die Übergänge im Beruf und im Privatleben meistern können.

„Kompetenzen sind der Schlüssel zu nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit“, betonen Laetitia Hauret und David Marguerit. Die beiden Ökonomen des „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (Liser) haben sich in den vergangenen Monaten näher mit dem Ungleichgewicht von Kompetenzen am Arbeitsplatz beschäftigt und eine Studie zu dem Phänomen verfasst. Darin unterstreichen die zwei Forscher, dass sich die Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten eines Angestellten und den für einen bestimmten Arbeitsplatz erforderlichen Kompetenzen durchaus negativ auf die Produktivität einer Wirtschaft auswirkt.

Je kleiner dieses Missverhältnis, umso größer die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit: Laut einer  Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) könnten die Mitgliedstaaten ihre Produktivität um bis zu zehn Prozent steigern. Das haben inzwischen auch die Führungskräfte erkannt: So hat die EU-Kommission im Juli dieses Jahres eine neue Kompetenzagenda veröffentlicht. Ziel sei es, „einen neuen und dynamischen Ansatz bei der Kompetenzstrategie zu verfolgen, die die Mitgliedstaaten dabei unterstützen soll, den ökologischen und den digitalen Wandel zu meistern“.

Zudem soll die Agenda den EU-Staaten dabei helfen, sich von den sozioökonomischen Auswirkungen der Pandemie zu erholen. Die Corona-Krise habe deutlich gemacht, wie wichtig es sei, über die richtigen Kompetenzen zu verfügen. „Damit strategische Wirtschaftszweige am Laufen gehalten werden und die Menschen die Übergänge im Beruf und im Privatleben meistern können“, heißt es in der Präsentation der Agenda.

In vielen Aspekten des Alltags und der Wirtschaft fehlt es immer noch an digitalen Kenntnissen. Während Telearbeit und Fernunterricht für Millionen von Menschen zum Alltag wurden, gelangte die digitale Einsatzbereitschaft an ihre Grenzen. Tatsächlich erfordern mindestens 85 Prozent der Arbeitsplätze aktuell ein gewisses Maß an digitalen Kenntnissen. Allerdings verfügten laut der EU-Studie im vergangenen Jahr nur 56 Prozent der Erwachsenen über zumindest grundlegende digitale Kompetenzen. Dabei entfielen zwischen 2005 und 2016 rund 40 Prozent der neuen Arbeitsplätze auf stark von der Digitalisierung betroffene Branchen.

Kompetenzstrategie im Koalitionsabkommen

„In dieser Wiederaufbauphase Europas müssen also zwingend die Kompetenzen verbessert und angepasst werden“, unterstreicht der für Beschäftigung und soziale Rechte zuständige EU-Kommissar Nicolas Schmit. „Menschen die Möglichkeit zu geben, benötigte Kompetenzen zu erwerben, ist bei der Vorbereitung auf den ökologischen und den digitalen Wandel von entscheidender Bedeutung. So kann jeder von den neuen Chancen in einem schnelllebigen Arbeitsmarkt profitieren.“

Mit dem neuen Kompetenzpakt der EU sollen vor allem Ressourcen mobilisiert und alle relevanten Akteure dazu angeregt werden, konkrete Maßnahmen für die Weiterbildung und Umschulung von Arbeitskräften zu ergreifen. Weiter soll sich auch die Forschung verstärkt dem Thema widmen. Insgesamt sind zwölf sogenannte Leitaktionen vorgesehen.

Luxemburg war der EU indessen einen Schritt voraus – zumindest ideologisch: Im aktuellen Koalitionsabkommen haben die Regierungsparteien eine Kompetenzstrategie verankert, die bis spätestens Ende 2022 umgesetzt werden kann. Und die Zeit drängt: Bereits 2015 waren 46 Prozent der einheimischen Arbeitnehmer der Meinung, dass ihre Kompetenzen eigentlich nicht den Job-Anforderungen entsprachen, wie die beiden Liser-Forscher feststellen mussten.

Ähnlich auch die Situation in den Nachbarstaaten: In Frankreich und Deutschland gaben 45 Prozent der Befragten an, eine gewisse Diskrepanz zwischen den eigenen Kompetenzen und Anforderungen zu verspüren. Nur Belgien lag mit 40 Prozent unter dem EU-Schnitt von 42 Prozent. In Luxemburg befürchten rund 21 Prozent der Menschen, unterqualifiziert zu sein – also nicht jene Kompetenzen zu besitzen, die ihr Job voraussetzt. Zusammen mit Deutschland hat das Großherzogtum in dieser Hinsicht den höchsten Prozentsatz in der EU (Durchschnitt: 14 Prozent). In Belgien gaben nur 16 Prozent der Arbeitnehmer an, nicht ausreichend Kompetenzen zu haben. In Frankreich waren es deren immerhin schon 19 Prozent.

Unzufrieden im Job

Jeder vierte Arbeitnehmer in Luxemburg fühlt sich der Studie zufolge übrigens überqualifiziert. Genau 25 Prozent der Befragten gaben an, mehr Kompetenzen zu haben als jene, die ihr Job voraussetzt. Damit liegt das Großherzogtum auf einer Linie mit Frankreich, Belgien (beide 25 Prozent) und Deutschland (24 Prozent), aber immer noch zwei Prozentpunkte unter dem EU-Schnitt.

Die Unterscheidung zwischen den zwei Formen des Ungleichgewichts sei von hoher politischer Bedeutung, betonen Hauret und Marguerit. Denn: „Beide ziehen nicht unbedingt die gleichen Maßnahmen mit sich.“ Unterqualifizierte Arbeitnehmer benötigten beispielsweise Zugang zu Aus- und Weiterbildungen, während überqualifiziertes Personal im Job mehr gefordert werden muss. In dem Fall sollte man auch über eine Verbesserung des Einstellungsprozesses nachdenken, sagen die Liser-Forscher.

Die meiste Aufmerksamkeit sollten die politischen Entscheidungsträger aber Arbeitnehmern entgegenbringen, deren Kompetenzgrad nicht ausreicht: „Ihnen fällt es schwerer, sich den wandelnden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt anzupassen – vor allem im Hinblick auf den digitalen Wandel“, erklären Hauret und Marguerit. Bedenklich: Der Prozentsatz der überqualifizierten Arbeitnehmer ist zwischen 2010 und 2015 von 39 auf 25 Prozent gefallen. Der Anteil an unterqualifiziertem Personal ist hingegen in derselben Periode um fast sieben Prozentpunkte gestiegen.

Auswirkungen hat die Diskrepanz nicht nur auf die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität Luxemburgs, sondern auch auf die Arbeitsbedingungen jedes Einzelnen. So sind unterqualifizierte Arbeitnehmer in der Regel unzufriedener als Menschen, die über die benötigten Kompetenzen verfügen.

Blanchet
21. September 2020 - 12.12

Natierlech! De Stacklëtzebuerger ass gemaach fir Pensionär ze sinn, net fir ze schaffen. Allefalls nach Staatsbeamten.

Knutschfleck
21. September 2020 - 11.19

Ich wollte zum Beispiel schon immer Formel 1 Fahrer werden. Was muss ich dafür tun?

Grober J-P.
21. September 2020 - 8.58

Falsche Bildung "genossen". Was ist wenn man die Quali mitbringt und jahrelang auf eine Stelle hingearbeitet hat, am Ende aber keine oder welche nur noch begrenzt offen sind. Lifelong learning wird einem immer wieder vorgekaut, ja wenn man die nötigen Mittel hat um auf Arbeit zu verzichten.