Österreich / Ikarus statt Phönix – Sebastian Kurz’ Rückzug aus der Politik war ohne Alternative
Paukenschlag in Österreich: Der kürzlich als Bundeskanzler zurückgetretene Sebastian Kurz nimmt nun auch als ÖVP-Vorsitzender seinen Hut und kehrt der Politik zur Gänze den Rücken.
„Bei der Geburt meines Kindes ist mir bewusst geworden, wie viel Schönes und Wichtiges es auch außerhalb der Politik gibt“ – fünf Tage nachdem seine Freundin Susanne Thier Sohn Konstantin zur Welt gebracht hatte, begründete Kurz am Donnerstag seinen Abgang aus der Welt der Politik nicht zuletzt mit dieser privaten Freude. Erleichtert hatte ihm diesen Schritt aber vor allem „die Abwehr von Vorwürfen, Unterstellungen und Verfahren“, welche seine „eigene Flamme ein bisschen kleiner werden lassen“ hat.
Was im Oktober nur als „Schritt zur Seite“ gedacht war, mündete nun doch in einen kompletten Rücktritt: Sebastian Kurz verlässt die Politik und damit auch den Wartesaal für jenes Comeback, auf das der Ex-Kanzler und seine Entourage inständig gehofft hatten. Dieses (vorläufige?) Ende einer der aufregendsten Politikerkarrieren Europas, vielleicht der Welt, hat sich in den vergangenen Wochen aber abgezeichnet.
Selbst den vom messianischen Nimbus ihres Idols lange geblendeten Türkisen musste allmählich dämmern, dass es auf absehbare Zeit kein Phönix-aus-der-Asche-Wunder mehr geben wird. Denn so berechtigt das Beharren auf der strafrechtlichen Unschuldsvermutung für Kurz auch sein mag, musste gerade den Christdemokraten klar sein, dass Politik neben der juristischen auch eine ethische Dimension hat. Die Chat-Protokolle, in denen die Kurzianer in vermeintlicher Vertraulichkeit kaltschnäuzige, bisweilen menschenverachtende Machtfantasien auslebten, konnten den moralischen Ansprüchen einer christlichen Partei nicht genügen.
Kurz untragbar
Abgesehen davon gibt es auch eine pragmatische Dimension von Politik: Ein unter Lügen- und Korruptionsverdacht stehender Ex-Kanzler ist auch als Parteichef handlungsunfähig. Die Rechnung, nach dem Abgang am Ballhausplatz als Schattenkanzler weiter die Fäden zu ziehen, konnte nicht einmal mit Alexander Schallenberg als willfährige Marionette ohne eigene Ambitionen aufgehen. Nicht zufällig und nicht nur wegen des erwarteten Nachwuchses war Kurz quasi in der Versenkung verschwunden. Denn jeder öffentliche Auftritt außerhalb der geschützten Parteiwerkstätte, in der ihm seine Hardcore-Fans huldigten, wäre ein Spießrutenlauf. Nicht einmal die eigentliche Causa prima – die Corona-Pandemie – könnte verhindern, dass Kurz ständig konfrontiert wäre mit alten oder neuen Chats, mit staatsanwaltschaftlichen Verfahrensschritten sowie mit erwartbaren Pikanterien aus dem bald beginnenden „ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss“ im Parlament.
Verloren ging zudem das Trouble-Shooter-Image, das Kurz als Balkanrouten sperrender Außenminister aufgebaut und in der ersten Coronawelle noch bestätigt hatte. Mittlerweile ist Österreich eines der am meisten betroffenen Länder – auch, weil die ÖVP wegen der Landtagswahl in Oberösterreich Ende September das Thema Corona runtergeschluckt hatte.
Zudem wurde zunehmend vielen Österreichern klar, dass Kurz gleich Ikarus zu hoch geflogen, also dem Absturz preisgegeben war. Und es wäre nicht die zum Nekrophilen neigende Alpenrepublik, bereitete dieser Niedergang nicht vielen ein schaurig-schönes Gefühl.
Auf die seit dem von den Grünen erzwungenen Kanzlersturz erschütterte türkis-grüne Koalition dürfte sich das Tohuwabohu bei der ÖVP vorerst eher festigend auswirken. Der Störfaktor Kurz fällt weg. Keine der beiden Parteien hat derzeit ein Interesse an Neuwahlen. Die ÖVP ist in zwei Umfragen schon vor Kurz‘ Abgang Richtung 24 Prozent abgestürzt und von der SPÖ knapp überholt worden. Die FPÖ käme auf 20 Prozentpunkte, Grüne und die liberale Neos-Partei würden mit 13 bzw. 10 Prozent leicht verlieren.
Nehammer ÖVP-Chef?
Schon heute könnte im ÖVP-Bundesparteivorstand die Entscheidung über den neuen Parteichef fallen. Als heißester Kandidat dafür wurde gestern Innenminister Karl Nehammer gehandelt. Er stünde auch für eine Fortsetzung des von Kurz eingeleiteten Law-and-Order-Kurses, mit dem die Christdemokraten der rechtspopulistischen FPÖ in den vergangenen Jahren das Wasser abgegraben hatten.
Schallenberg hat am Donnerstag auch sofort den Kanzlersessel frei gemacht für Nehammer. Das war auch nur konsequent, verstand sich der scheidende Amtsinhaber doch von Anfang nur als Platzhalter für den nun nicht mehr zur Verfügung stehenden Kurz.
Ob es das für Kurz in der Politik wirklich schon gewesen ist, steht in den Sternen: Mit 24 Staatssekretär, mit 27 Außenminister, mit 31 Kanzler, nun mit 35 Politpensionär. Da könnte sich nach längerem Respektabstand irgendwann noch locker ein Comeback ausgehen. Ohne wirklich weiße Weste wird daraus aber nichts.
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Der mann hat recht.
Nach einer kurzen polit karriere kommt fuer den kurz nun eine lange zeit in der privatwirtschaft,wo er sicherlich nicht kuerzer treten wird beim gehalt.
Tja so geht es früher oder später allen Blendern, Akkus leer und kein Freund ist da um sie wieder aufzuladen. Wird er jetzt betteln müssen? Freund Herbert aus Innsbruck habe ich gefragt, bisher keine klare Antwort erhalten. Er vermutet, dass der Seb Chefredakteur bei OE24 werden wird.
Kurz bleibt als Ikarus der österreichischen Politik in Erinnerung. Ganz nahe an der uneingeschränkten Macht stürzte er jäh ab. Wie man weiß, kommt Hoffart vor dem Sturz, und Hochmut kommt vor dem Fall. Unter seinen vielen Chat-Nachrichten und denen seiner Mitstreiter schmolzen sein guter Ruf und sein Image wie Wachs in der Sonne. Seine Glaubwürdigkeit ging verloren, menschliche Schwächen kamen zum Vorschein.