Retro 2020Ich hör’ nix: Die Tücken der Technik und des Plastik-Fußballs

Retro 2020 / Ich hör’ nix: Die Tücken der Technik und des Plastik-Fußballs
Die moderne Version der Hand Gottes berührt 2020 nicht mehr den Ball, sondern macht eine unnatürliche Armbewegung in Richtung Ohrstöpsel Foto: John Sibley/AFP

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2020 erlebte das wenig geschätzte Jargon namens Neudeutsch in der Fußballwelt seinen unerwarteten Höhenflug. Trainingseinheiten dank Zoom-Call, Synlab-Teststäbchen tief in der Nase und Stadion-Sound aus der Sky-Dose sind nur ein paar der Mode-Begriffe, für die man 2019 noch absolut keine Verwendung hatte. 

Internationaler Fußball – der letzte, der in Luxemburg zum Jahresende übrig geblieben ist – ist nicht mehr, wie er jemals war. Maradona ist weg, VAR noch immer da. Die moderne Version der Hand Gottes berührt 2020 nicht mehr den Ball, sondern macht eine unnatürliche Armbewegung in Richtung Ohrstöpsel. Während der Schiedsrichter zumindest visuell noch diesen einen Kontakt zur „Außenwelt“ aufrechterhalten kann, sind die Zuschauer in den vergangenen Monaten beim Stadiongefühl im TV deutlich schlechter weggekommen. Eisige Schauer laufen im Dezember zwar niemandem mehr den Rücken hinunter, trotzdem hinterlässt das dumpfe Geräusch eines Querpasses im blutleeren Stadion noch jedes Mal ein ekliges Gefühl im Magen. Es fehlt etwas. Außer eben in den TV-Kassen. 

Kein 12. Mann, sondern nur die Zwischenrufe der Trainerbank unterbrechen die Kommentatoren im Covid-19-Jahr. Wer möchte, kann sich mittlerweile die zusätzliche Tonoption „Stadionatmosphäre“ zum Spiel reinziehen. Aber wer will das schon?

Dabei hatten Ende Februar die beiden Bundesliga-Profis Laurent Jans und Leandro Barreiro (gegeneinander) noch vor über 24.000 Menschen gespielt. Es war aus Journalisten-Sicht aber auch der Anfang vom Ende. Ab dann ging es aus nationaler Sicht um FLF-Pläne für den Ausgang der Saison, die erste 16er-BGL-Ligue und mögliche Testpflicht für die Nationaldivision. 

Und in der Zeitung tauchten plötzlich Begriffe auf, die es vorher noch nie in einem Fußball-Bericht gegeben hatte: Die Nationalspieler haben eine Toilettenpapier-Challenge ins Leben gerufen und der F91 Düdelingen hat erste Fotos seiner Zoom-Trainingseinheit auf Facebook veröffentlicht. Zugegeben: In den ersten Wochen hatte das etwas lockerere Programm sicherlich ein paar Vorteile und bot etwas Abwechslung. Inzwischen aber (und da dürfte es vielen Leuten ähnlich ergehen): Die Pandemie hat mehr Frust bei den Fans hinterlassen, als verurteilte FIFA-Funktionäre jemals hinter Gittern erleben werden …

Bei den vier Europapokal-Teilnehmern ragte der Name Synlab heraus. Eine blonde Dame mit keckem Kurzhaarschnitt steckte an einem nicht ganz normalen Dienstagnachmittag geschätzt 80 Menschen ihr Teststäbchen in die Nase und verschwand dann wieder mit ihrem Köfferchen über die belgische Grenze. Die Anspannung vor der rettenden SMS war mit Sicherheit bei allen größer als bei Bayern-Stürmer Lewandowski vor dessen FIFA-Wahl-Triumph vor ein paar Tagen. Gehört hat man von CR7 an diesem Abend zwar nichts, doch sein Gesichtsausdruck verriet ihn und seine Siegermentalität. Ehre, wem Ehre gebührt: Beim Blick auf seinen Wahlzettel hat der Weltstar jedenfalls mehr Lob verdient. 

Es ist leider auch sehr stark davon auszugehen, dass Presse-Videokonferenzen und Zoom-Versammlungen weiterhin Teile des Programms der nächsten Wochen sein werden. Dazu gehören glücklicherweise auch immer wieder wild gestikulierende Menschen, die ihre Stumm-Taste nicht ausgeschaltet haben – und das Ganze mit einem Lacher dann wieder erträglicher machen werden.