Zwei Amerikaner über ihr Leben als Schwarze in den USA„Ich habe Angst, und wegen dieser Angst bin ich wütend“

Zwei Amerikaner über ihr Leben als Schwarze in den USA / „Ich habe Angst, und wegen dieser Angst bin ich wütend“
„Wie der größte Teil des Landes war ich in einem Schockzustand“: Die USA erleben ebenso düstere wie historische Zeiten Foto: AFP/Kyle Grillot

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Es sind Zeilen der Wut, des Schmerzes – aber auch der Hoffnung. Die beiden Afroamerikaner James und Donovan haben für das Tageblatt aufgeschrieben, was diese Tage des Protestes in den USA in ihnen auslösen. Der eine arbeitet in der Finanzbranche, der andere in einem Buchladen. Rassismus ist für beide an der Tagesordnung.  

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Es gibt zwei Ebenen der gleichen Reaktion, des gleichen Gefühls, das schwarze Amerikaner im Moment haben. Das unmittelbare Gefühl ist Empörung. Die Ermordung von Schwarzen, öffentlich oder nicht, wird vom amerikanischen Mainstream stillschweigend und allgemein akzeptiert. Die erste Ebene ist das Gefühl des Entsetzens über diese reine Ungerechtigkeit. Die nackte Realität, dass es selbst 150 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei immer noch eine deutliche und ausdrückliche Missachtung des schwarzen Lebens gibt.

Die andere Ebene ist die Empörung darüber, wie alltäglich und routinemäßig dies ist. George Floyd ist nicht der erste Schwarze, der von Menschen getötet wurde, deren Job es sein sollte, sie zu beschützen. Diese Ebene der Wut geht tiefer, denn es gibt eine wachsende Furcht davor, dass eine bedeutsame Veränderung nur kommen kann, wenn ihr eine Eskalation vorausgeht. In der ganzen Welt steht Mord für „das Böse“, das größte Übel, doch unser Justizsystem hinkt hinterher.

„Ich bin wütend“

Diejenigen, die auf die Scheinheiligkeit des Systems hinweisen, wurden von seinem obersten Beschützer, dem Präsidenten, zu Feinden des Landes gemacht. Ich bin wütend, weil ich fürchte, dass unsere Energie für mehr nicht ausreicht, denn wir werden von einem Mann überwältigt, der die Vorstellungen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit durch rassistische Trennlinien verstärkt. Dies ist ein Moment in der Geschichte, den Amerika erkennen muss, um das größte Übel unter uns, das uns repräsentiert, abzuschütteln und positive Veränderungen in unseren Institutionen und Infrastrukturen zu bewirken. Bedeutet dies eine grundlegende Veränderung der Polizei, oder handelt es sich um eine Institution, die zu weit fortgeschritten ist, um repariert zu werden, und in dieser Form abgelehnt werden muss?

Wir sind wütend, und diese Wut kommt von der Angst, und diese Angst kommt von der Tatsache, dass der Rassismus in Amerika so tief in seinem Lebensnerv verwurzelt ist

Donovan

Wir sind wütend, und diese Wut kommt von der Angst, und diese Angst kommt von der Tatsache, dass der Rassismus in Amerika so tief in seinem Lebensnerv verwurzelt ist – wie es sogar schon vor der Gründung dieses Landes der Fall war. Kann der Rassismus vollständig besiegt werden? Denn Momente wie dieser, in denen Menschen von Polizisten – ihren BESCHÜTZERN – ermordet werden, sind Momente, die danach schreien, dass wir etwas ändern und die Dinge richtigstellen. Meine Befürchtung ist, dass die vor uns liegende Aufgabe entweder zu gewaltig ist, als dass wir versuchen könnten, sie zu bewältigen, oder dass wir so an Ungerechtigkeit gewöhnt sind, dass wir sie nicht als Chance erkennen können und noch mehr Menschen sterben werden.

Ich habe Angst, und wegen dieser Angst bin ich wütend.

Donovan


Hi, mein Name ist James, das Tageblatt hat mich gebeten, meine Gedanken und meine Sichtweise zu den jüngsten Ereignissen in den Vereinigten Staaten mitzuteilen, die in einem beispiellosen Ausmaß an Protesten und Unruhen, Vandalismus und Plünderungen in 30 Großstädten im ganzen Land gipfelten. Vor diesem Hintergrund einer Pandemie, von Lockdowns, wirtschaftlicher Not, 40 Millionen Arbeitslosen und einer Reihe explosiver rassistischer Ereignisse, die in der Ermordung von George Floyd, einem Schwarzen, durch die Polizei gipfelten, explodierte das Land in Wut und brannte in den letzten Tagen.

Wie der größte Teil des Landes war ich in einem Schockzustand, als ich die Aufzeichnung von Mr. Floyds Tod sah. Es ist nicht so, als wäre ich gegenüber dem Schrecken unbewaffneter schwarzer Männer, die in Polizeigewahrsam sterben, nicht desensibilisiert gewesen, aber die Handlungen von Officer Derek Chauvin waren so verdorben und quälend, dass sie verständlicherweise eine Welle von Emotionen auslösten, die zu der chaotischen Situation, die wir in den letzten Tagen gesehen haben, führte und in ihr gipfelte.

Obwohl ich zügellose Zerstörung und Vandalismus nicht gutheiße, betrachte ich diese als Folge des Versagens vieler unserer Städte, ihre marginalisierten Gemeinschaften angemessen zu schützen und zu verteidigen. Indem sie sich ihrer Verantwortung gegenüber ihrem Volk entziehen, haben sie ein Vakuum hinterlassen, das von Opportunisten und Anarchisten gefüllt wird, die legitime Proteste als Deckmantel benutzen.

Es ist immer verlockend, zu einer Abhandlung über die Beziehungen zwischen den Rassen innerhalb der Vereinigten Staaten überzugehen, wann immer sich diese Probleme zeigen, aber für diesen Text, und um die Dinge im Rahmen zu halten, werde ich mich auf die Polizeibrutalität konzentrieren.

„Ich gelte als Erfolgsgeschichte“

Als Schwarzer selbst bin ich mit der umstrittenen Beziehung zwischen schwarzen Amerikanern und der US-Strafverfolgung bestens vertraut. Da ich in der Innenstadt von New York aufgewachsen bin, gelte ich als „Erfolgsgeschichte“ – und es ist mir gelungen, viele der Fallstricke zu umgehen, mit denen junge Schwarze in unserem Strafrechtssystem konfrontiert sind, und zu einem Leben mit relativen Privilegien aufzusteigen.

Ich bin ein Militärveteran, in der Ivy League ausgebildet und Teil der wissensbasierten Wirtschaft mit weißen Kragen, die weitgehend von den negativen wirtschaftlichen Trends abgeschirmt ist, die das Leben unserer Arbeiterklasse stören. Trotz meiner relativen Erfolge wurde auch ich bei zahlreichen Gelegenheiten von der Polizei schikaniert. Keiner meiner Ausweise spielte bei einer diesen Kontrollen eine Rolle; was die Polizei sah, war meine Hautfarbe.

Während der Hochblüte der Stop-and-Frisk-Ära (als die Polizei völlig unbegründet Menschen kontrollieren und durchsuchen konnte, Anm.) in NYC wurde ich so oft belästigt, dass ich schließlich die Entscheidung traf, aus Angst, dass mir irgendwann Schaden zugefügt werden könnte oder Schlimmeres geschehen würde, ganz aus der Stadt zu fliehen.

Das Ergebnis ist eine Beziehung, die der einer Besatzungsarmee in einem eroberten Gebiet nicht unähnlich ist

James

Tatsächlich mussten Millionen unschuldiger schwarzer Männer in dieser Zeit die gleiche Behandlung erdulden (jede demografische Bewertung des Programms wird das bestätigen), denn Stop-and-Frisk wurde als effektive Taktik zur Verhinderung von Waffenkriminalität gepriesen, obwohl es im Wesentlichen eine weit verbreitete, staatlich sanktionierte Profilerstellung war.

Und da Schusswaffen nur in 0,1% der Fälle auftauchten, ist es nicht schwer zu erkennen, warum ein solches Programm das Vertrauen der Strafverfolgungsbehörden innerhalb der schwarzen Gemeinde untergraben würde. Wie viele unschuldige schwarze Männer wurden in dieser Zeit angegriffen oder wie Kriminelle behandelt? Eine solche Politik regt die Beamten dazu an, jedes schwarze Gesicht als kriminell anzusehen. Und wenn jeder „verdächtig aussieht“ oder „wie der Feind aussieht“, kann das bei den routinemäßigen Polizeiinteraktionen tödliche Folgen haben.

Die Schuld der Politik

Die Polizei steht auch unter enormem Druck, die Einnahmen für ihre Städte zu erhöhen, sodass dies als zusätzlicher perverser Anreiz wirkt, so viele Tickets, Vorladungen und Verhaftungen wie möglich in marginalisierten Gemeinden zu sammeln. Das Ergebnis ist eine Beziehung, die der einer Besatzungsarmee in einem eroberten Gebiet nicht unähnlich ist.

Dieser Druck, die Einnahmen zu erhöhen, manifestiert sich in der raschen – und manchmal gewaltsamen – Eskalation von Polizeieinsätzen selbst bei kleineren Vergehen. Eric Garner hatte Loosie-Zigaretten verkauft (Zigaretten einzeln, statt in der Schachtel verkauft, Anm.), als er getötet wurde. Laquan McDonald wurde erschossen und getötet, weil er ziellos herumgelaufen war und so unberechenbar gewirkt haben soll. Sandra Bland wurde „festgenommen“, weil sie sich weigerte, ihre Zigarette während einer Verkehrskontrolle auszumachen. George Floyd starb wegen eines angeblich gefälschten 20-Dollar-Scheins. Die Liste ist ebenso tragisch wie endlos.

„Die Liste ist endlos“

Wenn sich diese Tragödien ereignen, schieben Polizei-Apologeten den Opfern schnell die Schuld zu. „Warum hat er sich gewehrt?“ „Warum hat sie ihm geantwortet?“ Die diplomatischeren werden diese Vorfälle auf „faule Äpfel“ zurückführen. Als Amy Cooper ihre Drohung rassistisch formulierte und der Polizei ausdrücklich sagte, dass „ein afroamerikanischer Mann mein Leben bedroht“, war die Implikation klar: Sie hoffte nicht, dass ein „fauler Apfel“ auftauchen würde, sondern erwartete vielmehr, dass jeder, den die Institution Polizei vorbeischicken würde, ihre Zielperson – nämlich den schwarzen Mann, der im Central Park in New York seinem Hobby als Vogelbeobachter nachkam – beschimpfen, drangsalieren, verletzen würde.

Das ist kein Zufall. Sie erwartete, dass seine schwarze Hautfarbe allein ausreichen würde, um die Situation zu seinem Nachteil eskalieren zu lassen. Die Menschen sind sich dieser Dynamik von Natur aus bewusst, aber nur wenige erkennen/realisieren, dass es die tatsächlichen Mandate sind, die der Polizei erteilt wurden, um aggressive Taktiken gegen die schwarze Gemeinschaft anzuwenden. Sie werden ermutigt, Schwarze bei jeder Gelegenheit, bei jeder Begegnung als gefährlich und kriminell zu betrachten – entweder durch Profiling oder durch die Annahme, dass in solchen Fällen einfach ein Verbrechen vorliegen muss. Das verstärkt ihre implizite Voreingenommenheit und färbt ihre Interaktionen.

Sicher, es gibt „faule Äpfel“, aber müsste ich mein Geld darauf setzen, was die größte Gefahr ist, würde ich es auf die auf diese Ziele ausgerichtete Politik setzen. Ich hoffe, dass mehr Menschen anfangen zu fragen, wie viele dieser Vorfälle nicht auf Videos festgehalten werden.

Natürlich werden nicht alle polizeilichen Interaktionen mit dem Tod enden. Aber wie viele enden einfach in unnötigen Verhaftungen oder Belästigungen? Oder in Bußgeldern, die Menschen in einen noch tiefere Not treiben? Oder in gewalttätigen, wenn auch nicht unbedingt tödlichen Auseinandersetzungen? Die Versuchung, die schlagzeilenträchtigen Morde als isolierte Vorfälle zu betrachten, ist groß, wenn man diese polizeilichen Begegnungen unterm Strich nicht als Symptome eines systemischen Problems betrachtet. Eines, auf das Schwarze schon seit Jahren aufmerksam machen wollen, zuletzt mit der „Black Lives Matter“-Bewegung und den Protesten eines Colin Kaepernick (der American-Football-Spieler initiierte Proteste gegen Rassismus in der National Football League, indem er niederkniete, statt sich beim Abspielen der Nationalhymne zu erheben, Anm.).

Meine unmittelbare Hoffnung ist, dass jeder der an George Floyds Tod beteiligten Polizisten verhaftet, angeklagt und vor Gericht gestellt wird. Wenn wir vorankommen wollen, muss der Gerechtigkeit Genüge getan werden.

Mittelfristig wünsche ich mir, dass die Gewalt nachlässt und die Proteste in ihrer ursprünglichen friedlichen Absicht weitergehen, denn ich glaube, sie werden mehr denn je gebraucht. Vielleicht werden die Menschen, die Colin Kaepernick ignoriert und angegriffen haben, diesmal friedliche Proteste begrüßen, nachdem sie das Worst-Case-Szenario jetzt gesehen haben, und sie nutzen, um Reformen darin herbeizuführen, wie schwarze Gemeinden polizeilich überwacht werden.

Wir haben zwar bedeutende Fortschritte in Sachen Rassismus gemacht, aber da die Strafverfolgung in vielen Städten als sakrosankt und unantastbar gilt, ist es sehr schwer geworden, sie in der Art, wie sie funktioniert, zu reformieren.

„Sinnloses Sterben“

Ich bin kein Politikexperte, aber ich fordere ein sofortiges Ende der Quoten oder Einnahmeziele für die Polizei, obligatorische Bodycams für alle Polizisten und eine Erhöhung der Zahl der Streifenpolizisten in den Gemeinden, um etwas guten Willen aufzubauen und Beziehungen zu knüpfen.

Ich würde dies mit einem klar definierten Protokoll für die Beurteilung, Bestrafung und strafrechtliche Verfolgung von Beamten verbinden, die ihre Autorität nachweislich in irgendeiner Weise missbraucht haben. Es braucht aufrüttelnde Vorfälle wie die Ermordung von George Floyd, um ihre Praktiken auf den Prüfstand zu stellen.

Präsident Trumps First Step Act war ein großartiger Anfang, um das Leben derjenigen zu verbessern, die ungerechterweise in unser Justizsystem hineingezogen wurden – aber auf der Seite der Strafverfolgungsbehörden bleibt noch viel zu tun, um den systemischen Rassismus zu begrenzen, der zu nichts anderem führte als Masseninhaftierungen und uneinheitlichen Verurteilungen, zur routinemäßigen Verletzung unserer Rechte aus dem 4. Amendment, zur aggressiven, überzogenen Polizeiarbeit in unseren Gemeinden – und zu sinnlosen Todesfällen wie dem von George Floyd.

James