Do-it-yourselfHeiß begehrter Stoff: In der Corona-Krise boomt das Nähen

Do-it-yourself / Heiß begehrter Stoff: In der Corona-Krise boomt das Nähen
Das „Bitz a Kaffi Haus“ von Winny Keersmaekers erlebt seit der Corona-Krise einen wahren Boom Fotos: Editpress/Anne Lommel

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Corona hat dafür gesorgt, dass die Luxemburger das Fahrrad wiederentdeckt haben. Über Monate waren die Lager der Radgeschäfte im Land leergeräumt, die Lieferzeiten der Hersteller sind zum Teil noch immer lang. Aber nicht nur das Zweirad profitiert von der Pandemie: Covid-19 hat auch einen regelrechten Nähboom ausgelöst. 

Winny Keersmaekers vom „Bitz a Kaffi Haus“ in der Diekircher Fußgängerzone senkt etwas die Stimme, als wäre ihr die Situation ein wenig peinlich: „Corona ist nur positiv für uns“, sagt die aus der Provinz Antwerpen stammende Geschäftsinhaberin, „und der Boom ist noch nicht vorbei.“ Eröffnet hatte sie ihr Geschäft im April 2018 als Alleinunterhalterin, Anfang dieses Jahres stellte Keersmaekers eine Mitarbeiterin ein, unlängst kam eine weitere Stelle hinzu. Nun ist man also zu dritt, um die viele Arbeit zu bewältigen. 

Viel Zeit zu Hause und der große Bedarf an Schutzmasken brachten für das Nähen in der Corona-Krise einen Boom ähnlich dem des Fahrrads. Wobei die Renaissance des Nähens schon früher begann. Vor einigen Jahren schwappte die Welle von den Niederlanden aus auch auf Luxemburg über. Die zweimal im Jahr in der Luxexpo stattfindende Stoff-Messe zeugt hiervon. Die von Niederländern organisierte, rein kommerzielle Veranstaltung ist ein echter Publikumsrenner. Die Gründe, weshalb immer mehr selbst genäht wird, sind vielschichtig: „Dem einen sind die Preise in Kleidergeschäften vielleicht zu hoch, für andere ist die Qualität der dort angebotenen Ware nicht gut genug. Und dann spielt natürlich die Ethik eine Rolle, Stichwort Kinderarbeit und Ausbeutung der Näherinnen in den Produktionsländern“, sagt Winnie Keersmaekers. Schlussendlich sei Nähen aber auch Spaß und Therapie zugleich.

Lieferengpässe

Demnach ideal geeignet als Beschäftigung, vor allem in Corona-Zeiten. Auch das „Bitz a Kaffi Haus“ musste während des Lockdowns seine Türen schließen. Die Geschäftsaktivitäten wurden aufs Internet verlagert. „Wir verkauften über unsere Facebook-Seite Sets zum Nähen von Schutzmasken, die wir dann per Post verschickten. Wir hatten so viele Bestellungen, dass wir jeden Tag arbeiten mussten“, blickt Keersmaekers zurück. 

Doch Lockdown und gleichzeitiger Boom hatten auch Auswirkungen auf die Lieferzeiten der Hersteller von Nähzubehör. Der Engpass im Nachschub zieht sich bis heute hin. „Wir liefern momentan die Bestellungen vom Mai aus“, berichtet die seit 1993 in Luxemburg lebende gebürtige Belgierin. Im „Bitz a Kaffi Haus“ werden Maschinen des japanischen Herstellers Juki verkauft. Normalerweise lieferte der die Bestellungen in wenigen Tagen ans Geschäft. Nun dauert es mitunter Monate, je nach Modell. Bei Juki-Nähmaschinen kann man zwischen günstigen Modellen um die 300 Euro, mittelpreisigen sowie teuren Modellen ab 900 Euro aufwärts unterscheiden. Viele Kunden schraubten ihr Budget hoch, denn die teuren Maschinen waren naturgemäß am wenigsten von Engpässen betroffen. Gut 20% der Kunden aber warteten mehrere Monate auf ihre Bestellung.

Die Unterschiede zwischen günstig und teuer sind bei Nähmaschinen dem Vernehmen nach riesig. Es gilt hier mehr als in anderen Bereichen: Wer billig kauft, kauft zweimal. Trotzdem war es europaweit zuallererst der Markt im unteren Preissegment, der leergefegt war. Lieferengpässe gab und gibt es nach wie vor bei allen Herstellern von Nähmaschinen.

Keine Reparatur

Wobei die Corona-Krise auch bewirkte, dass viele Menschen ihre alten Nähmaschinen wieder aus dem Keller oder vom Speicher holten. In Deutschland konnten sich Reparaturwerkstätten kaum vor Arbeit retten. In Luxemburg aber sucht man Feinwerkmechaniker vergebens. Winnie Keersmaekers kennt lediglich ein Geschäft im belgischen Grenzgebiet, das Nähmaschinen repariert. Bei Stecker in Bertrix unweit von Neufchâteau kommt man allerdings momentan mit der Arbeit kaum noch nach. So nahm das Atelier diese Woche keine neuen Aufträge an. Man müsse erst die bestehenden Aufträge abarbeiten, heißt es auf der Homepage des Geschäfts. Die Nachfrage nach einer Reparaturwerkstatt für Nähmaschinen ist demnach groß, auch in Luxemburg. Ständig werde sie von Kunden darauf angesprochen, berichtet Keersmaekers. 

Ein heiß begehrter Nähartikel während des Lockdowns (und danach) waren die Gummibänder, in erster Linie natürlich zur Maskenproduktion. Der Engpass dauerte mehrere Wochen. Da Not erfinderisch macht, gab es auf der Facebook-Seite des „Bitz a Kaffi Haus“ eine Anleitung, wie man aus alten T-Shirts Bänder machen kann. Auch beim Stoff gab es Wartezeiten, vor allem bei einfarbigem Material. Von acht Wochen für schwarzen Stoff berichtet Winny Keersmaekers. „Noch heute ist es nicht immer einfach, Material zu bekommen, zum Beispiel schwarzen und weißen Zwirn, Scheren oder Rollschneider“, erzählt sie. „Der Zwirn kommt zum Beispiel aus Deutschland, der Basisstoff aus China. In Europa wird er gefärbt und gemustert. Wenn es da irgendwo stockt, dann kann es mitunter schwierig werden für die Bestellung.“

Fazit: Das Fahrrad hat eine ernsthafte Konkurrenz im Rennen um das Produkt des (Corona-)Jahres 2020 bekommen. Und zwar Nähmaschinen und Stoffe.