EditorialHeilige Kuh: Wir geben alles, außer Sonderurlaub

Editorial / Heilige Kuh: Wir geben alles, außer Sonderurlaub
Es werden sämtliche Kräfte vereint, um den Schülern den Zugang zur Bildung zu ermöglichen. Leider wird dabei eine sehr effiziente Lösung links liegen gelassen. Foto: dpa/Felix Kästle

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Es ist ein Experiment. Ein Biegen und Brechen. Es ist die Quadratur des Kreises. Was bei den Sekundarschülern und Primanern einigermaßen leichtfüßig über die Bühne geht, ist bei den Grundschülern eine wahrhaftige Herkulesaufgabe. Die Prämisse: Die Gruppen, die bei der Halbierung der Klassen entstehen, dürfen nie gemischt werden. Nie. Niemals.

Um diese Prämisse herum wird alles aufgebaut. Schulbusse müssen in der Anzahl verdoppelt werden oder den Weg zweimal fahren. Für jede Gruppe muss eine Betreuungsmöglichkeit gefunden werden. Und ein eigener Raum. So müssen nun Sporthallen, Kulturzentren oder stillgelegte alte Schulen dafür herhalten, sofern sie nicht baufällig sind.

Und dann ist da noch das Problem mit dem Personal. Bestehende Lehrkräfte und Erzieher müssen ihr Stundenpensum pro Woche hochfahren. Nach der Devise: Mach aus 23 Stunden 25 oder aus 20 Stunden 40. Die „große Mehrheit“ soll das nicht stören, sagt der Bildungsminister. In normalen Zeiten wäre die „große Mehrheit“ mit Plakaten und Sprechanlagen bewaffnet auf die Straße gegangen und hätte protestiert. Das geht aber nicht in Corona-Zeiten.

Dass viele nicht zufrieden mit den Entscheidungen sind, sieht man auch daran, dass täglich Pressemitteilungen verschiedener Akteure des Bildungswesens verfasst werden. Auch die Zahl eingereichter Petitionen zum Thema „Rentrée“ sagt vieles aus.

Claude Meisch spricht von „Personalreserven“, die man nun anlegen möchte. Ein Drittel des benötigten Personals fehlt. In diesem Fall braucht man keine Reserven, sondern Arbeitskräfte. Aber auch dazu gibt es Pläne. Neben der Aufstockung des Arbeitspensums sollen nun auch Erzieher aus dem privaten Bereich sowie Studenten und Animateure hinzugezogen werden. Der Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt.

Weniger kreativ zeigte sich die Regierung bei der Möglichkeit, den Eltern weiter den „Congé pour raisons familiales“ zu bewilligen. Zwar wurden mittlerweile ein paar Ausnahmen ausgearbeitet, doch wirklich zunutze hat sich die Regierung die Möglichkeit dieses Sonderurlaubs nicht gemacht. Vielleicht nicht alle Eltern, aber sicherlich einige würden gerne von diesem Sonderurlaub Gebrauch machen, um ihre Kinder in den Übungswochen selber zu betreuen. Das Recht sollte den Eltern gerade in dieser Pandemie zustehen. Zudem könnte der „Urlaub“ mehrere Probleme der Herkulesaufgabe auf einmal lösen: Personalmangel, Räumlichkeiten, Transport.

Die Gruppen sollen so effizient wie möglich eingeteilt werden. Es soll vermieden werden, dass am Ende ein oder zwei Kinder den ganzen Tag in der B-Woche von einem Erzieher betreut werden. Dass diese Situation aber vorkommen könnte, kann auch Meisch nicht leugnen. Auf die Frage, ob das nicht eine Verschwendung von Ressourcen wäre und ob man nicht stattdessen den Eltern dieses einen oder dieser zwei Kinder den Sonderurlaub gewähren sollte, sagt Meisch: „Es ist nicht nur eine Verschwendung von Ressourcen, sondern auch pädagogisch nicht sinnvoll.“ Man werde diese Frage aber dem Gesundheitsministerium stellen. Dies gehöre zum Bereich der „Santé“. Vielleicht könne man in diesen Fällen über eine Umgruppierung nachdenken, so Meisch.

Die Frage zielte eigentlich nicht auf eine Umgruppierung, sondern auf den Sonderurlaub. Denn eine Umgruppierung würde ja die Grundprämisse brechen. Der Sonderurlaub scheint irgendwie eine heilige Kuh zu sein. Nach dem Motto: Lieber die Prämisse brechen und darüber nachdenken, ob man Gruppen vermischen sollte, statt den „Congé pour raisons familiales“ zu bewilligen. Schade. Denn das Beibehalten des Sonderurlaubs würde von der Herkulesaufgabe als solcher massiv entlasten.

xavier
6. Mai 2020 - 1.36

Sonderurlaub nur für über 100-jährige in Begleitung ihrer Eltern.