Hat die EU bei der Sicherheitspolitik versagt? In Differdingen wirft ein Vortrag mit Diskussion viele Fragen auf

Hat die EU bei der Sicherheitspolitik versagt? In Differdingen wirft ein Vortrag mit Diskussion viele Fragen auf
Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überwachen den Rückzug ukrainischer Truppen aus der Donezk-Region am Samstag Foto: AFP

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 „Gesamteuropäische Friedensordnung zwischen Idee und Realität“ – so lautete das Thema des Vortrags, den Bruno Schoch als Experte für innergesellschaftliche und innenpolitische Konflikte am Samstagmorgen in Differdingen auf Einladung der Friedensinitiative „Ad pacem servandam“ gehalten hat. Bei der folgenden Diskussionsrunde mit Politikern wurde dann nicht nur die europäische Sicherheitspolitik hinterfragt – sondern auch die Vereinten Nationen, die NATO und das Verhältnis der EU zu Russland.

„Die multinationalen Institutionen wie die NATO befinden sich in einer Krise“, sagt Bruno Schoch. Der 72-Jährige ist Friedensforscher am Leibniz-Institut in Frankfurt. Schoch ist ein Experte, wenn es um Konflikte geht. Am Samstag diskutierte er über die Sicherheitspolitik der EU mit luxemburgischen und deutschen Politkern im Differdinger „1535° Creative Hub“. Für Schoch hat die EU es versäumt, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine kohärente und einheitliche Politik gegenüber Russland zu formulieren.

Seine Thesen: Die NATO hat nicht zuletzt dank des US-Präsidenten Donald Trump ein Glaubwürdigkeitsproblem, China verfolgt einen globalen Machtanspruch – und Russland hat sich komplett von demokratischen Werten verabschiedet und führt eine giftige Kampagne gegen den Westen. Dennoch scheint eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik trotz zahlreicher Initiativen noch immer in weiter Ferne.

Vor allem die Politik von und gegenüber Russland wurde ausgiebig diskutiert. Eine Politik, die geprägt ist von Gegensätzen. „Einerseits stellt Russland historisch und kulturell den Anspruch einer Großmacht, hinkt allerdings ökonomisch und militärisch den eigenen Ansprüchen hinterher“, sagt der Experte. Die ganze Situation komme einem neuen Kalten Krieg gleich, in dem allerdings mehr als nur zwei Akteure eine Rolle spielen. „Das macht das Ganze nicht weniger gefährlich“, sagt Schoch.

Komplettes Versagen der EU?

Dem gegenüber stehe eine unkoordinierte EU-Außenpolitik. „Diese sieht auf dem Papier stets gut aus, bei der Umsetzung allerdings hapert es gewaltig“, erklärt Schoch. Diesem Chaos gehe das Versäumnis voraus, Russland nach 1991 in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem zu integrieren. Hat die Europäische Union also auf ganzer Linie versagt? „Nein“, lautet die Antwort des Friedensforschers. Die Integration der osteuropäischen Länder sei eine Meisterleistung gewesen.

Die entscheidende Frage: Wie könnte eine Sicherheitsstruktur in Europa aussehen, die den Frieden garantiert?

Darauf konnte weder Bruno Schoch noch die anwesenden Politiker eine  Antwort liefern. Neben der grünen Europaabgeordneten Tilly Metz fanden sich Gary Diderich („déi Lénk“), der Chamberabgeordnete Sven Clement (Piraten) sowie die beiden deutschen Politiker Stefan Thielen und Thomas Barth (beide CDU) auf dem Podium wieder. Organisator Claude Pantaleoni vom Verein „Pour la paix et contre la guerre“  drückte gegenüber dem Tageblatt  sein Bedauern aus, dass sich nicht mehr nationale Luxemburger Politiker für den Gedankenaustausch begeistern ließen: „Ich habe Politiker aus allen Parteien eingeladen.“ „Die Parteien haben wohl Schwierigkeiten,  Politiker zu finden, die auf diesem Niveau mithalten können“, erklärt sich Pantaleoni das Fernbleiben von LSAP, DP und CSV sowie das unentschuldigte Fehlen des angemeldeten Fernand Kartheiser von der ADR.

Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis

Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Austausch zwischen Politik und Wissenschaft, Theorie und Praxis ergebnislos verlief. „Es gibt zahlreiche Forschungsinstitute, die sich mit den Fragen von Krieg und Frieden beschäftigen“, sagt Pantaleoni. „Ich habe das Gefühl, dass die in ihrem Elfenbeinturm sitzen“, erklärt der Gründer von „Ad pacem servandam“. Zwischen Politik und Wissenschaft bestehe noch immer eine große erkenntnistheoretische Diskrepanz. Zudem sollen die Konflikte wie zum Beispiel der Ukraine-Konflikt wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden. „Wenn Bomben fallen wie jetzt in Syrien, dann wird die Öffentlichkeit natürlich informiert.“

Die Veranstaltung war auch von jungen Politikinteressierten gut besucht. Unter ihnen waren Liam (20) aus Soleuvre und Joël (23) aus Petingen, beide Mitglieder bei „déi jonk gréng“. Beide haben die Diskussionen gespannt verfolgt. „Der Ukraine-Konflikt ist ein Konflikt, der hochaktuell ist, jedoch medial nicht immer thematisiert wird“, sagt Liam. Joël ist ähnlicher Ansicht: „Der Ukraine-Konflikt beschäftigt uns seit Jahren. Ich finde, dass wir die osteuropäischen Staaten in ihrem Streben nach Demokratie und freiem Entscheidungswillen unterstützen sollten.“ Dass die Ukraine weiterhin Aufmerksamkeit verdient, davon sind beide überzeugt: „Der Konflikt ist auf europäischem Boden – das ist den wenigsten wirklich bewusst.“

Ad pacem servandam – Pour la paix, contre la guerre a.s.b.l

Claude Pantaleoni gründete die Friedensorganisation im Juli 2017 in Folge des Krieges in der Ostukraine. Seitdem hilft der Verein den Opfern und Flüchtlingen von Konflikten und Kriegen in Europa. Die Mitglieder des Vereines wollen die Öffentlichkeit sensibilisieren und setzen sich für eine Kultur des Frieden ein. Anhand von Expertengesprächen und Diskussionsrunden sollen Politik und Wissenschaft näher zusammengebracht werden, um Lösungsvorschläge für bestehende Konflikte zu erarbeiten und zu verbreiten.

http://adpacem.org/de/