Alain spannt den Bogen / Große Namen garantieren große Kunst – meistens …
Störenfriede gibt es überall. Auch in der Philharmonie, wie man leider immer öfter feststellen muss. Besonders in den ersten Parkettreihen gibt es Zuschauer, die ihre Stars unbedingt fotografieren oder filmen wollen. In vielen anderen Konzertsälen gibt es vor dem Konzert eine Ansage über Lautsprecher, doch bitte während der Vorstellung nicht zu filmen, fotografieren oder aufzunehmen. Und meistens halten sich die Leute dann auch daran.
Wäre das auch in der Philharmonie der Fall, dann würde uns nämlich das lästige Eingreifen der Saaldiener erspart bleiben, die rücksichtslos durch den Saal laufen und sich, wie bei der Aufführung von Theodora am vergangenen Mittwoch, quasi vor die beiden Sänger stellen, die gerade dabei sind, ein Duett zu singen, um einen Zuschauer zu ermahnen. Nicht anders war es zwei Tage vorher beim Galakonzert mit Juan Diego Florez, wo das mehrmals passierte. Sorry, aber das ist nicht nur störend, das ist inakzeptabel!
Doch nun zur Aufführung selbst. Händels Oratorium Theodora ist mit seinen über drei Stunden Aufführungsdauer, seinem grässlichen Libretto und seiner verhaltenen, komplexen Musik ohne eigentliche Höhepunkte ein harter Brocken. Weshalb diesmal wohl auch viele Sitze im Saal leer blieben, und das trotz einer Weltklassebesetzung. An diesem Abend fühlte man sich an die großen Opernproduktionen von einst erinnert, wo alle Rollen mit Stars besetzt waren.
Theodora war dann auch auf allen Sängerpositionen optimal besetzt. Die Titelrolle wurde von der weltweit gefeierten Sopranistin Lisetta Oropesa gesungen. Ihre Gestaltung, ihre Phrasierung, ihr Technik, hier war alles makellos. Ihr wunderbares Timbre setzte sich dann auch gut von dem der sehr verhalten und präzise singenden Mezzosopranistin Joyce DiDonato auf, die hier nicht mit Stimmkraft und Spitzentönen agieren musste, sondern mit einem tief empfundenen Ausdruck und stimmlicher Zurückhaltung. Und man konnte nur den Atem anhalten, wenn man Joyce DiDonatos langsames, sich quasi in nichts auflösendes Pianissimo hörte. Exzellent auch der Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djan, dessen Stimme recht angenehm war und der es schaffte, der eher blassen Figur des Didymus ein gewisses Relief zu verleihen.
Der von der Stimmlage her heldenhaftere Tenor Michael Spyres, eine der großen Hoffnungen im lyrisch-dramatischen Fach, wusste sein Stimmpotenzial gekonnt und dezent einzusetzen. Überhaupt ist die Stimme, die über viel metallischen Glanz verfügt, sehr interessant, da sie sowohl über tenorale Höhen wie über eine gesunde baritonale Mittellage verfügt und Spyres zudem tolle Koloraturen singen kann. Der Bariton John Chest, den wir vor ein paar Wochen im Grand Théâtre als Graf in Mozarts Nozze di Figaro gehört hatten und nun hier den Bösewicht Valens sang, begeisterte mit seiner dramatischen Gestaltung und einer kräftigen, in allen Lagen sicheren Stimme. Hier wird von Händel schon Beethovens Don Pizarro vorweggenommen, was Chest sehr deutlich zeigt.
Der vielversprechende und aufstrebende junge Dirigent Maxim Emelyanychev erwies sich als Glücksfall am Pult des auf historischem Instrumentarium spielenden Ensemble Il pomo d’oro. Zudem begleitete er die Sänger in den Rezitativen auf dem Cembalo. Emelyanychev verfügt über ein sehr gutes Gespür für Händels Musik und lässt durch sein dynamisches Dirigat sein Ensemble auf Hochtouren spielen. Gute Leistung auch vom Il-pomo-d’oro-Chor und vom Solisten Massimo Lombardi, der aus dem Chor heraus die kleine Rolle des Boten sang. Ein großartiger Konzertabend und ein wenig gespieltes Werk aus Händels Spätphase, das man heute in einer makellosen Interpretation erleben durfte.
Weltklasse im Ettelbrücker CAPE
Leider muss man immer wieder feststellen, dass sich die Luxemburger Musik-Bourgeoisie nicht gerne bewegt. Wie letztens eine Dame der gehobenen Gesellschaft neben mir sagte: „Wir kommen nicht zu den normalen Konzerten, wir kommen nur zu den Events.“ Womit wohl eher die Stardirigenten und weltbekannten Orchester gemeint waren. Denn sonst wäre diese Dame sicher beim Konzert des Modigliani-Quartetts im Ettelbrücker CAPE anwesend gewesen.
Vor knapp 50 Zuhörern spielte dieses Ausnahme-Ensemble am 26. November die Streichquartette Nr. 11 D 353 op.125/2 und Nr.14 D 810 „Der Tod und das Mädchen“ sowie Bela Bartoks kurzes Streichquartett Nr. 3. Das Modigliani-Quartett gehört zweifelsohne zu den besten Quartettformationen der Gegenwart und begeistert immer wieder durch spannende und außergewöhnliche Interpretationen. Dass die vier Musiker keine Grenzen scheuen und bei ihrem Spiel gerne aufs Ganze gehen, das konnte man auch beim Ettelbrücker Konzert ganz deutlich spüren.
Mit unheimlichem Elan stürzte sich das Quartett in die Musik von Schubert und zeigte beim Op. 125/2 einen sehr markanten, männlichen, virilen Komponisten. Das Bild von dem zerbrechlichen, kranken Schubert bestimmt ja heute bei uns allen noch unbewusst, wie wir Schubert zu hören haben. Von Wehleid war dann auch bei der Interpretation des Modigliani-Quartetts nicht zu spüren. Quasi ideal fügte sich das moderne, einsätzige Streichquartett Nr. 3 von Bela Bartok zwischen den beiden Schubert-Werken ein. Auch hier gingen die Musiker bis an Grenzen und zeigten klangliche wie spielerische Extreme auf.
Grandios im Aufbau, tief empfunden im Andante und wild im Finale, so zerrissen zwischen musikalischer Schönheit und expressiver Dramatik hat man das Werk selten gehört. Wie ein Teufelsritt mutete da der virtuos gespielte Schlusssatz an, der nicht nur der Interpretation das letzte i-Tüpfelchen aufsetzte, sondern zugleich das spieltechnische Können des Ensembles in allen Bereichen unterstrich. Für das begeisterte Publikum spielte das Modigliani-Quartett dann noch als Zugabe den 2. Satz Andante aus dem 4. Streichquartett von Franz Schubert.
Geschmacksverirrungen im Labyrinth
So begeistert wir vom Modigliani-Quartett waren, umso enttäuschter waren wir von dem Konzert der jungen Starpianistin Khatia Buniatishvili. Eigentlich war das Konzert ein reines Promotion-Konzert für ihre neue CD „Labyrinth“ mit allerlei kleinen, bekannten Häppchen, ideal zum Genießen während des Weihnachtsessens. Denn zu mehr wird diese CD wohl nicht taugen, geht man davon aus, dass die Pianistin hier genau solchen Einheitsbrei bietet wie im Konzert vom 28. November im prall gefüllten großen Saal der Philharmonie.
Es war erschreckend, zu hören, wie diese begnadete Musikerin und Technikerin ihr Können dazu missbrauchte, alles gleich klingen zu lassen. Anders gesagt: Chopin klang wie Couperin, der wie Liszt klang und dieser wiederum genau gleich wie Bach, Schubert und Satie. Da gab es keine stilistischen Unterschiede mehr, keine Liebe zum Detail, alles klang gleich und wurde mit der gleichen aufgesetzten Emotionalität gespielt, wobei Buniatishvili bewusst auf eine reine, total überzogene und selbstverliebte Klangschönheit setzte, um damit gezielt das Publikum zu betören.
Wo blieben Relief, Tiefe, Akzente, Agogik? Die Musik wurde quasi zu Klangschmonzetten à la Richard Clayderman degradiert und das Publikum zeigte sich dennoch begeistert und erklatschte sich noch einige Zugaben. Ein bisschen mehr Kritikfähigkeit hätte ich mir schon vom Publikum gewünscht. Übrigens: Der Ehemann der Pianistin saß in der gleichen Reihe wie ich und spielte während des wirklich ganzen Konzerts auf seinem Handy und filmte Teile der Aufführung – ohne dass diesmal der Saaldiener, der knapp drei Meter von ihm entfernt stand, einschritt …
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