CoronavirusGesundheitssystem vor dem Kollaps – Briten hoffen auf Impfoffensive als Ausweg

Coronavirus / Gesundheitssystem vor dem Kollaps – Briten hoffen auf Impfoffensive als Ausweg
Ein britisches Impfzentrum: Bis Mitte Februar sollen 14 Millionen Menschen versorgt sein Foto: AFP/Owen Humphreys

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Täglich rund 60.000 Neuinfektionen bringen das britische Gesundheitssystem an den Rand des Kollaps. Einziger Ausweg scheint die Impfoffensive zu sein. Bereits zwei Millionen Dosen wurden verabreicht.

Bereits im Advent hatte Dawn Alexander-Joseph ihre örtliche Nord-Londoner Arztpraxis an der Strippe: Ob ihre 82-jährige Mutter Alti in vier Tagen in eine wenige Kilometer entfernte Poliklinik kommen könne? Begeistert willigte die Primarschullehrerin ein, vor Ort lief alles wie am Schnürchen, binnen weniger Minuten erhielt die an leichter Demenz leidende alte Dame den kleinen Pieks. „Das schien mir alles sehr gut organisiert zu sein“, erinnert sich Alexander-Joseph an den Tag Mitte Dezember.

Als um den Jahreswechsel die Regierung mitteilte, fortan werde der Abstand zwischen erster und zweiter Dosis von drei Wochen auf bis zu drei Monate vergrößert, „rechnete ich jeden Tag mit dem Anruf, wir sollten erst mal nicht wiederkommen“. Das Befürchtete blieb aus, die Patientin erhielt vergangene Woche die zweite Dosis – und Alexander-Joseph spürte Erleichterung: „Natürlich macht man sich immer Sorgen, zumal als Lehrerin, welche Viren man nach Hause mitbringt.“ Auch ihre beiden Söhne, 19 und 22 Jahre alt, mussten der Großmutter zuliebe besondere Vorsicht walten lassen. Die Vorsicht bleibt, Altis Gefährdung aber ist stark reduziert.

Wenige Häuser weiter hat eine Nachbarin der Familie ebenfalls beide Dosen erhalten, ein weiterer Nachbar berichtet Gleiches von seiner im westenglischen Plymouth lebenden Mutter. Und plötzlich wird spürbar, wie sich in dieser ganz normalen Wohnstraße, sieben Kilometer Luftlinie von Boris Johnsons Amtssitz in der Downing Street entfernt, die graue Wolke der Corona-Bedrohung ein wenig zu lichten beginnt.

Zwei Millionen geimpft

An die zwei Millionen Menschen genießen auf der Insel bereits Immunität gegen Sars-CoV-2, die meisten mithilfe des Biontech/Pfizer-Medikaments, seit vergangener Woche auch zunehmend durch den Oxford/AstraZeneca-Wirkstoff (AZ). Zuletzt waren es täglich rund 200.000 Alte oder gesundheitlich Vorbelastete, hat Gesundheitsminister Matthew Hancock am Sonntag der BBC berichtet. Dazu zählten am Samstag auch Königin Elizabeth II, 94, und ihr Prinzgemahl Philip, 99.

Diese Woche sollen Dutzende riesiger Impfzentren ihre Arbeit aufnehmen. Dazu gehören die berühmte Galopprennbahn von Epsom (Grafschaft Surrey) sowie ein Teil des Kongresszentrums Excel im Osten von London, das im Frühjahr zur Notfallklinik umgebaut wurde. Wie schon in der Krise um die Nachverfolgung von Kontaktinfizierten eilt auch diesmal die Armee dem Gesundheitssystem zu Hilfe, gestützt auf die Erfahrung beim Aufbau von Lieferketten in Kriegsgebieten. Man stehe vor einer Aufgabe „von beispielloser Komplexität“, glaubt Brigadegeneral Phil Prosser.

Wir stehen vor dem bisher schwierigsten Moment

Christopher Whitty, höchster britischer Gesundheitsbeamte

Gute Nachrichten von der Impffront haben die Briten, zumal im Südosten des Landes, bitter nötig. In einzelnen Bezirken Ost-Londons und der angrenzenden Grafschaft Kent wurden zuletzt bis zu 1.603 Neuinfektionen pro Woche gezählt. Landesweit gab es am Freitag den Tagesrekordstand von 68.053, im Durchschnitt der vergangenen Woche wurden täglich knapp 60.000 Corona-Positive gezählt, beinahe doppelt so viele wie Ende Dezember. Täglich sterben im Durchschnitt 900 Patienten an den Folgen einer Coronainfektion, der Statistikbehörde ONS zufolge nähert sich die Gesamtzahl der 100.000er-Marke. Im Kampf gegen Sars-CoV-2 stehe man „vor dem bisher schwierigsten Moment“, warnt Christopher Whitty, der höchste Gesundheitsbeamte des Landes.

Schon werden Polizisten zum Dienst als Ambulanzfahrer herangezogen, schicken Londoner Spitäler ihre Patienten ins 360 Kilometer entfernte Plymouth. Der gerade erst verschärfte Lockdown wird erstmals durch saftige Geldstrafen durchgesetzt. Die für Mai geplanten Kommunal- und Regionalwahlen dürften mindestens bis zum Sommer verschoben werden.

Merkwürdige Hindernisse

Umso willkommener ist den Briten ihr relativer Erfolg beim Impfen. Allerdings gibt es auch auf der Insel merkwürdige Hindernisse. So müssen die rund 40.000 Ruheständler, die sich zum freiwilligen Dienst zurückgemeldet haben, erst mal stundenlange Online-Schulungen über sich ergehen lassen. Man sehe sich mit „exzessiver Bürokratie“ konfrontiert, klagt Martin Marshall vom Berufsverband der Allgemeinärzte.

Auch die regionale Verteilung der Impfstoffe lässt zu wünschen übrig. Gesundheitsminister Matthew Hancock erlebte die Probleme aus erster Hand, als er vergangene Woche eine zum Impfzentrum umgewandelte Arztpraxis im Londoner Norden besuchte: Peinlicherweise war die angekündigte Lieferung des AZ-Vakzins ausgeblieben.

Wie stets verbreitet Premier Johnson Optimismus. Gewiss werde es in den kommenden Wochen „Stückwerk und Holprigkeiten“ (lumpiness and bumpiness) geben. Der Regierungschef zeigt sich aber überzeugt: Bis Mitte Februar werde genug Impfstoff zur Verfügung stehen, um die wichtigsten Risikogruppen zu versorgen. Dazu zählen alle Briten über 70 Jahre, gesundheitlich Vorbelastete sowie das Personal in Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen, insgesamt knapp 14 Millionen Menschen.

HTK
11. Januar 2021 - 9.37

Ob wohl nach Corona über das marode Gesundheitssystem der Briten nachgedacht wird? Was seit 50 Jahren bekannt ist fordert heute seinen Tribut. Mit der Privatisierung hat das Gesundheitswesen in allen Ländern Europas mehr oder weniger gelitten.Gesundheit als Marktlücke? Ja,so scheint es allerdings. Wie in den USA,wer reich ist ist auch gesund? Da stehen wir Luxemburger ja noch recht gut da.Noch.