London / Gesundheitsminister Hancock stürzt über Foto, das ihn im Lockdown mit seiner Affäre zeigt
Der britische Gesundheitsminister Hancock ist zurückgetreten. Premierminister Johnson zeigt sich darüber „betrübt“. Zuerst hatten beide die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Alles an Matthew Hancocks Erklärung war richtig. „Wer die Regeln macht, muss sich auch selbst daran halten“, teilte der britische Politiker am Samstagabend mit treuherzigem Augenaufschlag auf Twitter mit. Und weil er gegen geltende Covid-Bestimmungen verstoßen hatte, habe er bei Premierminister Boris Johnson seinen Rücktritt eingereicht. Jetzt müsse er sich um seine Kinder kümmern.
Erneut entschuldigte sich der 42-Jährige für die Szene, von der ein Foto auf allen Titelseiten der Londoner Zeitungen prangte: der verheiratete Gesundheitsminister in seinem Regierungsbüro, eng umschlungen und in zärtlichem Kuss mit einer Mitarbeiterin – und das zu einer Zeit, da den Briten intimer Kontakt mit Menschen außerhalb ihrer Familie verboten war.
Alles an Matthew Hancocks Erklärung war falsch. Tags zuvor – da war die peinliche Affäre erstmals im Boulevardblatt Sun aufgetaucht – hatte sich der mit überaus gesundem Selbstbewusstsein ausgestattete Politiker kurz entschuldigt und hinzugefügt: „Ich konzentriere mich weiter auf meine Arbeit gegen die Pandemie.“ Kurz darauf teilte Downing Street mit, der Regierungschef habe „volles Vertrauen“ in den Minister und betrachte die Angelegenheit als erledigt.
Aufträge an Bekannte
Da hatten Johnson und Hancock die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Über den Gesundheitsminister ergoss sich nicht nur ein Schwall von Hohn angesichts seiner Doppelzüngigkeit. In den Medien kontrastierten wütende Briten auch ihre eigenen Opfer im Kampf gegen Sars-CoV-2 mit der Laissez-faire-Haltung des Duos. Kabinettskollegen, die Hancock zu Hilfe eilten, wurden in Radio- und TV-Sendungen ausgelacht.
Als am Samstagmorgen erste prominente Konservative wie Tim Montgomerie und Hinterbänkler wie Duncan Baker Konsequenzen forderten, muss den Verantwortlichen in der Regierungszentrale gedämmert haben: Hancock war nicht zu halten. Vor die Twitter-Kamera trat also nicht ein demütiger und geläuterter Mann in Sorge um seine minderjährigen Kinder – der Ehefrau hatte er Presseberichten zufolge bereits zugunsten seiner Geliebten Gina Coladangelo den Laufpass gegeben. Vielmehr musste Hancock eine unhaltbar gewordene Position aufgeben, um weiteren Schaden von Regierung und Partei abzuwenden. Bereits am Donnerstag steht den Torys eine heftig umkämpfte Nachwahl zum Unterhaus bevor.
Der Entlassungsbitte des Ministers kam Johnson nur „betrübt“ nach. Dem 57-Jährigen muss klar sein, was Paul Goodman von der Website „Conservative Home“ kühl auf den Punkt bringt: In Zukunft seien sämtliche Minister für die Medien „Freiwild“, was ihre Beachtung der Covid-Restriktionen angeht. Dies gelte auch für andere Konflikte zwischen Privatleben und Regierungshandeln – nicht zuletzt für die ungeklärte Frage, wer eigentlich für Johnsons Luxus-Urlaub auf Mustique an der Jahreswende 2019/20 bezahlt habe.
Bisher, fünf Jahre nach dem Triumph beim Referendum im Juni 2016, schienen für Chef-Brexiteer Johnson die normalen Regeln britischer Politik nicht zu gelten. Rücktrittsforderungen der Labour-Opposition oder der Medien gegen ihn selbst und seine Minister ließ der Ex-Journalist an sich abperlen. Hancock selbst, so stellte es der High Court fest, hatte in der Pandemie mehrfach gegen öffentliche Beschaffungsregeln verstoßen; Aufträge des nationalen Gesundheitssystems NHS erhielten Firmen enger Bekannter sowie einer Schwester des Ministers.
Innenministerin Priti Patel konnte ungestraft den höchsten Beamten ihres Hauses aus dem Job mobben. Kommunalminister Robert Jenrick verstieß im ersten Lockdown eklatant gegen die Einschränkung der bürgerlichen Bewegungsfreiheit, ebenso wie Johnsons damaliger engster Berater Dominic Cummings. Alle Vergehen blieben ebenso ohne Konsequenz wie die Tatsache, dass eine langjährige Geliebte des damaligen Londoner Bürgermeisters Johnson lukrative Förderung aus der Stadtkasse erhielt. Da lässt sich ahnen, wie jene regierungsinterne Untersuchung ausgehen wird, die klären soll, wie Hancocks Kusspartnerin und alte Uni-Freundin Coladangelo zu einem bezahlten Job im Ministerium kam.
Kamera im Ministerbüro
Spannender dürfte die Beantwortung zweier anderer Fragen werden: Wie kam die Sun an den Film aus einer Überwachungskamera, die offenbar in einem Rauchmelder installiert wahr? Und was hat eine Kamera überhaupt in einem Ministerbüro verloren?
Hancocks Nachfolge im Gesundheitsministerium hat nun ein alter Rivale des Premiers übernommen. Der frühere Investmentbanker und einstige Bewerber um das konservative Spitzenamt Sajid Javid war im Februar 2020 nach heftigem Streit mit Cummings und Johnson als Finanzminister zurückgetreten. Dass er 16 Monate später wieder dem Kabinett angehört, dürfte Hancock als Ansporn dienen.
Geheimdokumente an Bushaltestelle
In Großbritannien sorgt der Fund geheimer Dokumente des Verteidigungsministeriums für Furore: Wie die BBC am Sonntag berichtete, wurde sie am Dienstagmorgen von einem anonymen Bürger auf den Fund hinter einer Bushaltestelle im südenglischen Kent hingewiesen. Laut BBC enthielt der von dem anonymen Bürger gefundene durchnässte Haufen Papiere fast 50 Seiten vertraulicher Dokumente; darunter E-Mails und Powerpoint-Präsentationen. Sie bezogen sich unter anderem auf die umstrittene Passage der „HMS Defender“. Daraus geht hervor, dass sich London durchaus einer möglichen scharfen Reaktion Moskaus auf die Durchfahrt des Kriegsschiffes vor der Küste der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel bewusst war.
Das russische Verteidigungsministerium hatte am Mittwoch mitgeteilt, wegen der Verletzung russischer Hoheitsgewässer Warnschüsse auf das britische Kriegsschiff abgegeben zu haben. London wies die Darstellung zurück. Demnach war die „HMS Defender“ lediglich auf einer „friedlichen Durchfahrt durch ukrainische Gewässer“ gewesen.
Die Dokumente scheinen jedoch zu zeigen, dass die britischen Ministeriumsvertreter durchaus mit einer Reaktion des russischen Militärs rechneten, sich aber bewusst gegen eine alternative Route entschieden – unter anderem, weil Moskau dann denken könnte, das Vereinigte Königreich sei „verängstigt“ und „rennt weg“. Zu den weiteren verlorenen Dokumenten zählten Pläne für eine mögliche britische Militärpräsenz in Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte. (AFP)
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