Geschäftsmann und Gastronom Charles Munchen philosophiert über Gott und die Welt

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Man hatte eine Weile nichts mehr von ihm gehört. Dann wurde die hauptstädtische „Brasserie Guillaume“ Opfer der Flammen und Charles Munchen, als ehemaliger Besitzer, ein viel gefragter Interviewpartner. Das Tageblatt unterhielt sich mit „Münchens Charel“, wie ihn seine Freunde nennen.

Von Carlo Kass

Tageblatt: Wir wollen mit Ihnen über Gott und die Welt sprechen, obwohl, laut Ihren eigenen Schriften, Gott für Sie, jedenfalls als universeller Schöpfergott, keine Option sein dürfte?

Charles Munchen: Richtig! Ich kann nicht an eine spirituelle Präsenz glauben. Mir genügt der Mensch. Ich glaube an die Kraft seines Geistes, der sicher nicht heilig ist. Auch wenn er noch viele Mängel hat, ist der Mensch das Beste, was die uns bekannte Welt bisher zu bieten hat. Ich jedenfalls bin ein optimistischer Transhumanist.

Sie wollen aber nicht ewig leben?

Um Gottes willen, Nein! (lacht und überlegt) Nun habe ich doch den Begriff Gott in den Mund genommen. Also nein, ich bin schon froh, wenn mir mit meinen 85 Jahren, die ich am kommenden 21. September hoffentlich feiern darf, von der Natur noch einige Zeit gegönnt sein könnte. Doch laut meinem Wahlspruch Carpe diem von Horaz feiere ich jeden Morgen beim Frühstück Geburtstag.

„Pflücke den Tag“, ein Vorsatz, mit dem Hedonisten das Jenseits leugnen. Doch als Sie sechs waren und die Nazi-Truppen Luxemburg überfielen, war das wohl nicht einfach umzusetzen.

Nun, wir waren Kinder und ich hatte mit den Eltern – meine Mutter war jüdischer Abstammung – und meiner älteren Schwester Marianne und meiner Cousine Colette Flesch im französischen Département der Corrèze unterhalb von Limoges und jenseits der damaligen Demarkationslinie Unterschlupf gefunden. Der Krieg war also weit weg und sonntags hatten wir sogar Butter auf dem Brot. Nach dem Krieg war es dann meine ältere Schwester Marianne, die die gesamte Familie sehr früh und mit strenger Hand unter ihre Fittiche nahm. Deshalb brachte ich eine in mich zurückgezogene Pubertät hinter mich und wurde auf diesem Weg zum Einzelgänger. Noch heute fühle ich mich angezogen vom Thema der Einsamkeit, sowohl in der Kunst wie auch oder besonders in der Literatur.

Wie zum Beispiel im unvollendeten Werk „Les Rêveries du promeneur solitaire“ von Jean-Jacques Rousseau, das beim Leser eine Empathie entstehen lassen soll, mit der er sich besser erkennt.

Ja, denn auf diese Mitmenschlichkeit müssen wir weiter aufbauen können. Ich lege sehr viel Wert auf Freundschaft und genieße die Lebensgleichzeitigkeit mit Gleichgesinnten sowie auch das Gespräch auf Augenhöhe, wie das, das wir hier führen. Auch in meiner 13-jährigen Tätigkeit bei RTL lernte ich viele interessante Menschen kennen. Das galt auch für die 13 Jahre, in denen ich das Patentamt meines Onkels Charles Munchen führte, auch wenn es sich um total verschiedene Charaktertypen handelte.

Ihre wahre Berufung aber fanden Sie, als Sie mit Ihrem Freund René das von Andy Warhols Magazin Interview inspirierte Bistro bei der Post, später den „Club 5“ in der Dreikönigsgasse und dann die „Brasserie Guillaume“ auf dem Marktplatz mit Ihrem Stil prägten, oder?

Ja, das war eine schöne Zeit, die ich auf keinen Fall missen möchte. Leider konnte ich bei der Übernahme der „Brasserie Guillaume“ den „Club 5“ nicht wie geplant weiterführen, weil mir der Hausbesitzer einen Strich durch die Rechnung machte, doch deshalb führt mein Geschäftspartner – ich habe mich zurückgezogen – nun auch „L’Osteria“ im Nachbarhaus auf dem „Knuedler“.

Was interessant ist, da Ihre Premiumadresse „Brasserie Guillaume“ kürzlich einem folgenschweren Kaminbrand zum Opfer fiel. Dazu nur eine kurze praktische Frage: Wann können Ihre Stammkunden, von denen Sie reichlich hatten, mit der Wiedereröffnung rechnen?

Wenn alles gut geht, am 1. Oktober dieses Jahres, wenn nicht, dann hoffentlich einen Monat später.

Sie lebten zeitweilig in Paris und waren auch dort in der Gastronomie tätig. Hört man in der französischen Hauptstadt nicht oft den Vorwurf, Luxemburg würde auf Kosten seiner EU-Partner leben?

In Paris und seinem Speckgürtel vielleicht weniger als im ländlichen Raum, wie man an der Bewegung der Gelbwesten erkennt. Doch wenn wir ein gerechteres und soziales Europa wollen, was besonders nach dem bedauerlichen Austritt der Briten von Vorteil wäre, müssen wir Luxemburger uns auch diesem Vorwurf stellen. Meine Generation sollte den jungen Leuten jedenfalls ans Herz legen, nie wieder einem Krieg auf dem alten Kontinent zuzustimmen.

Was uns wieder zum Transhumanismus führt, der u.a. die intellektuellen, körperlichen und seelischen Möglichkeiten des Menschen mit Technik erweitern will. Befürchten Sie nicht, dass unter dem biologischen Ewigkeitswahn diese Mitmenschlichkeit arg leidet?

Wie gesagt, ich will nicht ewig leben. Diese sogenannte „Verpflichtung zum Fortschritt“ muss natürlich und im Interesse der humanen Werte stattfinden. Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Das sehen wir allein schon beim Klimawandel, wo wir endlich auf unseren Nachwuchs hören sollten.

Umso mehr, da das Individuum Selbstmord begehen kann und seine Gemeinschaft es in der Hand hat, die Schöpfungsabsicht, ob sie nun von der Natur oder von Gott stammt, zu vereiteln?

Ein interessanter Gedanke.

Danke, er stammt vom ontologischen Denker Hans Jonas, laut dessen Werk „Materie, Geist und Schöpfung“ der Mensch in diesen säkularen Zeiten „Gott jetzt nicht im Stich lassen darf!“ Nun aber die Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit der Religion?

Ich respektiere Religion wenig, den Klerus überhaupt nicht, gläubige Menschen jedoch respektiere ich total. Doch wie kann man heute noch an so etwas wie eine noch im Jahre 1950 von Papst Pius XII. zum Dogma ausgeschriebene Himmelfahrt der Muttergottes glauben? Elf Jahre bevor Gagarin als erster Mensch ins All flog! Und auch wenn Papst Franziskus den Big Bang als Gottes Wille interpretiert, glaube ich, dass Materie schon immer bestand und damals lediglich mit einem gehörigen Knall mutierte. Auch war es wohl kaum Satan, der die Kinder der Kirche missbrauchte. Doch will ich mich zu diesem Thema nicht weiter auslassen.

Beim Rennen um den Fortschritt rückt die Digitalisierung immer mehr in den Mittelpunkt. Doch wie schon bei der Dampfmaschine, welche die militärische Industrie beflügelte oder der Atomspaltung, die u.a. in Hiroshima Tausenden Menschen den Tod brachte, kann sie Segen oder Verderbnis bringen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Auch sie muss mit dem nötigen humanistischen Spitzenfingergefühl weitergetrieben werden. Wobei die politische Aufgabe sein müsste, dass die großen transnationalen Konzerne, die finanziell und informell davon profitieren, einen gerechten Obolus an die menschlichen Gemeinschaften leisten. Die Wirtschaft sollte immer noch für den Menschen da sein, und nicht umgekehrt!

Nun bedingen sich die Bürger einer Demokratie – der einzigen Staatsform, die dem Menschen nicht von außen aufgezwungen werden kann – aber gegenseitig. Wie halten Sie es mit der Demokratie?

Wenn ich mir mit aller kognitiver Sorgfalt eine Meinung gebildet habe, dann teile ich sie auch mit. Sei es verbal oder über einen Text, den ich dann zur Publikation freigebe. Das ist keinesfalls wissenschaftlich zu betrachten, sondern spiegelt lediglich meine Gedanken wider. Und ich liebe den freien Gedankenaustausch, der nur in einer gut funktionierenden Demokratie möglich ist.


Steckbrief

Charles Munchen ist 84 Jahre alt und das, was man gemeinhin als Selfmademan bezeichnet. In seiner langen beruflichen Karriere war er 13 Jahre lang in der Programmkontrolle bei RTL aktiv, wo er unter anderem für die „régie finale“ zuständig war. Zudem leitete er das Patentamt seines Onkels auf Limpertsberg. Munchen lebte ebenfalls in Paris. Seine heimliche Liebe aber gilt der Gastronomie. Nicht missen möchte er seine Jahre als „Patron“ des „Club 5“ und der „Brasserie Guillaume“.