Ernährung „Geméiswierk“: Von der Schülerin zur Geschäftspartnerin 

Ernährung  / „Geméiswierk“: Von der Schülerin zur Geschäftspartnerin 
Das „Geméiswierk“ ist ein „Best Practice“-Beispiel für die Zusammenarbeit von Bioproduzenten und Schulkantinen Foto: Editpress/Tania Feller

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Der Rummel um ihre Person ist ihr fast ein bisschen unheimlich. Marie Goergen betreibt das „Geméiswierk“ in Contern und produziert biologisch angebautes Obst und Gemüse. Damit beliefert sie unter anderem auch ihre ehemalige Schule, das Lycée Ermesinde. Sie gilt nicht nur in der Bioszene als „Best Practice“-Beispiel, sondern ist auch eines der Projekte, von denen es aus Sicht des Landwirtschaftsministeriums noch mehr geben könnte. Sie hat den Willen, biologisch zu arbeiten.

Marie Goergen (23) hat nicht nur den Willen. Für die gelernte Gärtnerin ist es gar keine Frage, biologisch zu produzieren. „Ich finde, generell gesehen ist die Produktion von Lebensmitteln viel zu kommerziell“, sagt sie. „Sie muss etwas abwerfen und es wird nicht genug darauf geschaut, wie die Qualität ist.“ Das Prinzip Quantität statt Qualität will sie mit dem „Geméiswierk“ umkehren. Immerhin hat sie von Kindesbeinen an Erfahrung mit Gärtnern. Ihr Vater ist neben der Arbeit Hobbygärtner aus Leidenschaft, die Familie versorgt sich selbst aus dem eigenen Garten.

Als Kind hilft die Tochter, jetzt hilft ihr der mittlerweile pensionierte Vater auf den zwei Hektar Anbaugelände. Goergen hat ein klares Ziel. Ihre Kunden sollen etwas zu essen bekommen, welches sie reinen Gewissens verzehren – ohne Herbizide und Pestizide. Dafür investiert sie gerade. Vom Weg aus hinter den Häuserreihen ist die 600 Quadratmeter große, im Bau befindliche Halle neben dem Tunnelgewächshaus schon von weitem zu sehen. Hier sollen Lager für die Maschinen entstehen, ein Büro und endlich Platz, um die Lebensmittel zu waschen und zu verpacken. Am wichtigsten ist der Hofladen, der dort ebenfalls einziehen soll.

Produkte gehen unter anderem in eine Schulkantine 

Der Direktverkauf vom Hof ist der jungen Unternehmerin wichtig. Seit der Gründung von vor zwei Jahren liefert sie ausschließlich aus und fährt ihre Kunden an. Die wiederum bestellen. Rund 20 Kisten gehen bis jetzt wöchentlich an Privatleute, die über Mund-zu-Mund-Propaganda zu ihr finden. Ein weiterer ihrer Kunden ist ihre ehemalige Schule, das Lycée Ermesinde in Mersch mit 650 Schülern. Marie besucht sie bis zur 9. Klasse, um danach Richtung Ackerbauschule und Gärtnerausbildung aufzubrechen.

Salate, Kohl, Spinat, Fenchel, Radieschen, Gurken, Tomaten oder Auberginen sowie Melonen und Erdbeeren kommen je nach Saison aus Contern in die Schulküche. Direktor Jeannot Medinger (55) hat ein Kunststück fertiggebracht. Im Gesetz zur Versorgung der Schüler mit Essen, das 2009 verabschiedet wird, hat er für die Schule erreicht, dass sie unabhängig von großen Zulieferern ist. Die Schule ist die einzige im Land, die die Produzenten für das tägliche Essen der Schüler selbst auswählt.

Marie ist eine von den rund 20 Lieferanten. „Seefood“ heißt das Projekt schulintern und steht für „société“, „économie“ und „environnement“. Schulkoch und Schüler sind bei der Wahl der Lieferanten und den Produkten eingebunden. Ein Mal in der Woche kommen alle zusammen, um über den Speiseplan zu entscheiden und tauschen sich gemeinsam mit ihren Zulieferern aus. Unabhängigkeit von industrieller Produktion, soziales Miteinander und eine Reflexion über Nahrung und Nahrungsbeschaffung, gegessen wird täglich, sind der Schule wichtig. Ein „Outsourcing“ der Essensversorgung ist beim Ermesinde undenkbar.

Nahrungswissen als pädagogischer Nebeneffekt

Im Nebeneffekt ist das Thema ein Lernziel. Der persönliche Kontakt zu den Lieferanten spielt eine große Rolle. „Wir wollen diejenigen kennen, deren Produkte wir essen“, sagt Schuldirektor Medinger. „Das ist eine Frage des Vertrauens.“ Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass so Wissen über die „Saison“ von Gemüse und Obst vermittelt wird. Viele haben das verlernt, weil sie ganzjährige Angebote an Erdbeeren oder anderen Lebensmitteln bei den Lebensmittelhändlern als die Normalität ansehen und sich keine Gedanken machen.

Es ist das Resultat einer zunehmend industrialisierten Lebensmittelproduktion, gegen die sich Produzenten wie Marie Goergen stemmen, und globalisierter Lieferketten, die die Pandemie infrage gestellt hat. „Saisonal ist eigentlich das Normale“, sagt Schuldirektor Medinger. In der Bioszene gilt das Vorgehen des Merscher Lyzeums als ein Beispiel, das Schule machen könnte. „Es zeigt, wie die Zusammenarbeit zwischen Bioproduzent und Schulkantine erfolgreich gestaltet werden kann“, würdigt Daniela Noesen, Direktorin der „Bio-Vereenegung“, das Pionierprojekt.

Im Rahmen der ersten Biowoche, an der sich 50 Biobauer, Verarbeitungsbetriebe, Händler, Supermärkte, Restaurants, Schulen und Gemeinden beteiligt haben, stach diese Schulkantine besonders hervor. Biovereinigung und Landwirtschaftsministerium haben die Aktion ins Leben gerufen. Produzentin Marie Goergen, die sonst Arbeitshose und Gummistiefel dem Mikrofon und der Kamera vorzieht, ist wesentlicher Teil des Puzzles. Vor allem dann, wenn es darum geht, „Best Practice“-Beispiele vorzustellen.

Das „Geméiswierk“ hat das Biolabel und Betreiberin Goergen wertet es als Marketinginstrument und Belohnung ihrer Bemühungen zugleich. Als Bestätigung braucht sie es nicht, sie folgt einer eigenen persönlichen Agenda. „Ich mache einfach mein Ding“, sagt sie schlicht. Das „Ding“ ist neben den als qualitativ hochwertig ausgewiesenen Produkten, die es hervorbringt, ein Kreislauf, der sich selbst regeneriert. Es ist ihr zu wünschen, dass sie mit ihrer Geschäftsstrategie Erfolg hat. Mut und Willen sind da.

liah1elin2
4. Juni 2023 - 12.18

Danke Marie Goergen, Sie zeigen wie "aus der Region für die Region" funktionieren kann. Weiterhin viel Energie und Erfolg auf Ihrem Weg und mögen viele Leute im Land es Ihnen gleich tun???

mboor
2. Juni 2023 - 20.19

Gut so! Solche Leute braucht das Land!